Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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Was war aus den frommen Wünschen geworden?
Es hatte sich nirgends ein Plätzchen für ihn gefunden. Er konnte nicht schweigen und nicht dulden. Ans Bologna wurde er verwiesen, als er in der Fastnacht einen Rock aus Ablaßbriefen trug. Aus Pisa, wo er seine Studien fortsetzen wollte, mußte er bei Nacht und Nebel flüchten, weil er ein Spottgedicht auf Mönche und Nonnen gemacht hatte. – Sein kleines Erbtheil war aufgezehrt. Er zog über die Alpen zurück. In Tirol kam er in einen Schwarm fröhlicher Herren, die sich mit Falkenbeize, schönen Frauen und rothem Veltliner ergötzten. Seine übermüthige Lustigkeit gefiel den Ausgelassenen. Sie nahmen ihn mit nach Innsbruck.
Dort lernte er seinen jetzigen Herrn kennen. Aber dort war es auch, wo ihn die Zügellosigkeit seiner Zunge zu Fall brachte. An der Tafel trieb er es so weit mit beißenden Spottreden, bis die hohen Prälaten wüthend verlangten, daß er dem Ketzerrichter überliefert werde. Da rettete ihn der junge Erzherzog, der ihn gern um sich hatte.
War es eine Rettung zu nennen?
Der nächtliche Wandrer fühlte nach den Schlag, mit dem sein hochstrebender Sinn in den Staub geworfen wurde, als der junge Fürst der Tafelrunde erklärte:
„Der Mann ist mein lustiger Rath.“
Mit dem einen Wort ward ihm klar, wofür er den Menschen galt. Für einen Narren! die Freiheit, die man ihm gestattete, war die Narrenfreiheit.
Ja, so war es – so war sein Leben, und all das überdenkend, eilte er jetzt rastlos vorwärts durch die Straßen Nürnbergs, als könne er den quälenden Gedanken entfliehen. Jetzt stand er in dem St. Rochus-Kirchhof, wo seine Eltern schliefen. Hastig zog er den grauen Mantel über der Brust zusammen; er schämte sich hier seiner bunten Dienstkleider. Aber wie er auch emsig suchte, er fand die Stätte nicht, da die Seinen ruhten.
„Wo Ihr auch schlaft, Gott schenk Euch eine fröhliche Urstand,“ sprach er endlich leise über das Gräberfeld.
Lieblicher Duft stieg zu ihm auf, und als er sich bückte, sah er zu seinen Füßen den Rasen mit Veilchen durchflochten. Der Narr pflückte einen Veilchenstrauß, ein halbes Lächeln um die feinen Lippen, feuchten Schimmer im Auge. Dann schritt er zurück.
Am Panierberg stand er lange still vor dem Haus, das ihm in den Jünglingsjahren eine Heimath war. Das Mondlicht beleuchtete hell das steile Schieferdach. Nichts glänzte mehr an dem alten Gebäude; selbst der geharnischte Ritter, der auf der höchsten Spitze den Wetterhahn hielt, sah geschwärzt aus. Aber ungebeugt trug das Haus seinen Scheitel wie seine Insassin den Sturz.
Als er einst diese Stätte seiner Jugend grollend verließ, da hatte er sich gelobt, Ursula solle das Haupt noch demuthsvoll vor ihm neigen. Er wollte die Vorurtheile zerbrechen, die Mauer niederreißen, welche die Menschen wider göttliche Ordnung gegen einander aufgerichtet haben; ein Mann, hochangesehen wie ein Rathsherr, wollte er werden aus eigner Kraft. Sie sollte es bereuen, ihn einen Narren genannt zu haben. Und nun hatten sie Beide Recht gehabt.
„Als Narrenrath kehre ich zurück,“ flüsterte er mit dem zur Gewohnheit gewordnen spöttischen Lachen, während seine Stirn dunkel glühte.
Ja, wäre er ein Andrer gewesen! Das Gute und Wahre hatte er gewollt, aber er hatte den falschen Weg eingeschlagen. Jetzt sah er es klärlich. Mit der Pritsche wird kein großer Sieg erkämpft – dazu bedarf es des schneidenden Schwertes; mit Spott und Hohn wird der Wahrheit nicht Bahn gebrochen – dazu braucht es wuchtigen Ernst.
Was half dem lustigen Rath die späte Erkenntniß? Wenn die Wahrheit in herbem Wort sich einmal über seine Lippen drängte, lachten die Leute erst recht. Auch der Ernst ward bei ihm für eine Posse genommen.
So konnte er nur im Verborgnen wirken. Es vermuthete Keiner, daß unter dem Narrenkleid einer jener Streiter für die neue Lehre sich barg, die Dunkelmänner genannt wurden, weil ihren Namen Niemand kannte, und die mit Flugblättern und Briefen gegen die Tyrannei der Mönche kämpften. So suchte er zu helfen an dem Werk des großen Mannes, der aus der Hütte des Mansfeldischen Bergmannes hervorging. Nur Weniges zwar konnte er leisten, aber das Wenige war sein einziger Halt im Leben.
Noch immer stand er vor dem alten Hause am Panierberg, und nun wollte er gehen. Doch als zwinge ihn eine unsichere Macht – er wandte sich noch einmal zurück und bückte sich zur Schwelle nieder – was begann der seltsame Mann – –? Dann stieg er zur Burg hinauf. – –
Am andern Morgen brachte die Köchin der herben Ursel einen Veilchenstrauß, den sie aus der Thürschwelle gefunden hatte. Sie stieß ein Lachen dabei aus über die Blumenspende, aber es erstarb ihr sofort; denn die Hausherrin legte die Hand über die Augen und weinte. –
Als die Sonne dieses Tages in Gold unterging, zogen die Patricier zum Geschlechtertanz nach dem Rathhaus. Auf dem Platz davor lies das Volk zusammen und übte eifrig sein altes Recht aus, Gewandung und Prunk nach dem Werthe abzuschätzen. Es billigte die brokatne Schleppe der Schultheißin, unter deren Last fast der kleine Page erlag; es begrüßte mit lautem Ah! die Rotmundin, die in einem goldstucknen mit Granatäpfeln durchwebten Gewand anlangte, und als die herbe Ursel aus ihrer von Maulthieren getragnen Sänfte stieg, flüsterte es tadelnd:
„Sie trägt wieder den schwarzen Sammetrock und nit einmal ihr wunderbarliches Geschmeide von Edelsteinen. Welche Zier bleibt für uns, wenn eine reiche Geschlechterin sich einen Veilchenstrauß vor die Brust steckt?“
Am Eingange zum Saale standen die Junker und ließen die Gäste durch ihre Reihen ziehen. Auch Wilhalm Haller war unter ihnen. Aber er hatte für keine Frau Augen, selbst für die Rotmundin nicht. Er schaute unverwandt den Kommenden entgegen, bis die Imhofischen erschienen, und es fuhr ihm wie ein Stich durch das Herz, als endlich hinter der Mutter die schlanke Gestalt Elsbeth’s im violenfarbnen Damastrock in den Saal trat. Ihr Gesicht war nicht verhüllt wie das einer Klosterjungfrau. Der Wilhalm, der sonst so heftig gegen den Sturz geeifert hatte, sah mit Schrecken, wie das Gebände so weit zurückgeschoben war, daß ihr herrliches Goldhaar sichtbar wurde, und auch den stillen Mund gewahrte er, um den es lag wie eine stumme Klage. Er hatte ihr gern über ihre freiere Tracht ein spöttisches Wort gesagt, aber sie stand unter den Frauen, welche unter dem Wandgemälde Albrecht Dürer’s, das eine Spielmannsgruppe darstellt, sich an einander reihten, und er mußte an der Pforte des Saales auf den Erzherzog harren.
Da begann zwischen Beiden das, was die Elsbeth einst als nicht geziemend für eine Geschlechterin gehalten hatte: ein Augenspiel. Er sah sie melancholisch und mit ernstem Vorwurf an – sie blickte abweisend zu ihm hinüber, und es war ihnen Beiden süß und weh dabei zu Muthe.
Endlich erschallte Hufschlag. Seine fürstliche Durchläuchtigkeit langte mit Gefolge an. Der Schultheiß und die vornehmsten Herren des kleinen Rathes empfingen ihn an der Pforte und geleiteten ihn durch das Stiegenhaus, das Wappner in lichten Harnischen besetzt hielten Sie pflanzten den Spieß, da er vorüberschritt, und als er den Saal betrat, ertönte eine Trompetenfanfare vom Pfeiferstuhl, in welche Querflöte, Zinke und Pommer, Laute, Harfe und Geige mit Macht einfielen.
Der Erzherzog lächelte gnädig, und seine Augen flogen mit freudiger Spannung nach den Frauen hinüber.
Durch die von Veit Hirschvogel gemalten Fenster fielen die Strahlen der untergehenden Sonne; sie spielten auf den silberweißen, pomeranzenfarbigen und karmoisinenen Gewändern der Frauen, weiche diese zierlich emporrafften, auf daß die hellfarbigen seidnen Unterkleider sichtbar würden.
Und da sie sich jetzt tief mit gesenkten Köpfen neigten, sprach der Erzherzog:
„Sie gleichen Matthiolenblumen, Näglein und Gilgen, über die der Gott Zephyros hinweht.“
Da erhoben sich die gebeugten Köpfe, und der Erzherzog schrak zusammen.
„Soll das Vexiren nimmer ein Ende nehmen? Führt man uns auch hier in ein Ziergärtlein, wo alle Blumen unter unholden Kappen verborgen sind?“
Er warf einen zornigen Blick hinüber. Aber da schauten ihn unzählige schöne Augen vom hellsten Himmelblau bis zum tiefsten Schwarz mit so stehender, sehnender Inbrunst an, daß sein Herz weich wurde.
Und sein Grimm schmolz vollends dahin, als eine schmeichelnde Stimme leise neben ihm sagte:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_586.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)