Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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bald war die Höhe erklommen, und ein lautes „vive la compagnie!“ tönte durch die Stille. Dann zogen sie am Böschungsrande dahin, bogen ab und gaben uns durch ein paar Raketen, welche vom Schiffe aus erwidert wurden, ein Lebenszeichen.
Bald verbreitete sich unter den Passagieren die Kunde, daß sonderbare „Ruinen" in der Nähe zu sehen seien, und so wallfahrteten denn auch Manche von uns an’s Land. Ich schloß mich dem letzten Zuge an, der am weitesten vordrang. Wir verschmähten es nicht, einen gut vorgerichteten Landungsplatz am westlichen Canalufer aufzusuchen, und hatten daher den großen Vortheil, vom Boote aus mittelst einer Holztreppe die Hohe des Wüstenplateaus erklimmen zu können. Immerhin war das Hinaufsteigen nicht ohne Beschwerde; denn manche der Stufen waren förmlich vom Sande verweht. Ich machte hier schon die Bemerkung, daß der Wüstensand jetzt ebenso angenehm die Füße kühlte, wie er zur Tageszeit gebrannt haben mußte.
Nichts beschreibt meine Ueberraschung, als ich oben statt der Ruinen in lautloser, nur selten von einem Schakal- oder Eulenrufe unterbrochener Stille eine anscheinend vollständige Stadt erblickte. Freilich gewahrte ich, sobald ich hineintrat, hier eine niedergestürzte Reihe von Fensterläden – mit dem orientalischen schrägen Gitterwerke –, dort halbdemolirte Wände und zerstreute Dachtrümmer. Aber noch hielt das Ganze nothdürftig zusammen; noch hielt man selbst die Haus- und Gartenthüren geschlossen, und zuletzt, am äußersten Ende, fanden wir eine Wache von drei Aegyptern – die einzigen menschlichen Wesen weit und breit. Sie hießen uns, wenn auch in fremder Zunge, doch augenscheinlich herzlich willkommen, befragten uns so lange, bis sie von unserer Herkunft genugsam unterrichtet zu sein glaubten, und reichten uns die rasch bereitete Schale mit Mokka, den unausbleiblichen Willkommen der Orientalen. Tabak besaßen sie nicht und waren daher hocherfreut, als wir sie zum Lohne ihrer Gastlichkeit damit beschenkten. Als wir durch den Sand der geisterhaft leeren Straßen und durch das eigenthümliche Gemenge künstlicher Vegetation und echten Wüstengestrüppes unseren Rückweg antraten, begleiteten sie uns zur Landungsstelle, um vom Schiffe aus noch eine kleine Gabe der ihnen überaus werthvollen Cigarren zu erlangen.
Sonderbar schien es mir später, daß kein Grauen vor der Zerstörung, die unserem Auge in fast taghellem Mondscheine sich darbot, in meine Seele fließen wollte. Es war ein stiller Tod, der das Menschenwerk hier getroffen, der Tod durch die allmächtige Hand der Natur. Die kleine Stadt war durch Mangel an Trinkwasser zu Grunde gegangen.
Der Wind ruhte völlig, und wir konnten ohne alle Störung die Schönheit der nächtlichen Wüstenlandschaft genießen, durch die friedlichste Ruhe der Natur von den friedlichen Söhnen der Wüste geleitet. Die Kühlung war uns werthvoll; sie labte uns hier zum letzten Male für lange, lange Zeit.
Mit Sonnenaufgang setzte sich das Schiff wieder in Bewegung, zunächst in der gewohnten langsamen Weise, bis wir den Timsahsee erreichten, dessen breitere Fläche die ängstlichen Vorsichtsmaßregeln unnöthig macht. Hier sieht man westwärts die freundliche Oasenreihe, aus deren Palmenzweigen Ismailia mit seiner Eisenbahnstation und dem khedivischen Palaste hervorleuchtet. Dann durchfuhren wir wieder langsam eine tiefer in geschichtetes Erdreich eingeschnittene Canalstrecke, darauf die großen Bitterseen, welche wiederum rasch passirt wurden und sehr wesentlich zur Abkürzung der Fahrzeit beitrugen, endlich noch eine kurze Strecke schmaleren Wassers, auf welcher uns die schwarzen Fellahknaben unablässig begleiteten und um Kupfermünzen bettelten, welche sie – wie immer zur Zeit der Ebbe, die sich von Suez bis zu den Bitterseen wohl bemerkbar macht – gierig aus dem Uferschlamm hervorholten.
So ging es weiter und weiter, bis wir am frühen Nachmittage unter immer glühenderem Sonnenbrande im Hafen von Suez anlangten. Die Stadt selbst zu besuchen, war leider nicht möglich; wir sahen sie nur als malerische Gruppe massiger Steinhäuser inmitten des herrlichen Panoramas, das uns hier die Felsenwüste darbot. Vor uns im seichten Meere tummelten sich Schwärme großer Delphine und umkreisten das Schiff mit drolligen Sprüngen; nahe bei uns, auf einer Landzunge neben der Canalausfahrt, war ein Lager ägyptischer Truppen aufgeschlagen, deren braune Gestalten im bunten Waffenschmucke zwischen den Zelten ein anziehendes Bild friedlichen Soldatenlebens gewährten. Die zackigen Höhenzüge ringsum waren von jenem zauberhaften rosigen Lichte übergossen, das wohl nur in Aegypten zu voller Geltung kommt. Annähernd so schön sieht man es in Italien, doch jene Klarheit und zauberhafte Harmonie der Farben habe ich nirgendwo gesehen, als in der Landschaft um Suez.
Unwillkürlich mußte ich an die Aquarelle denken, durch welche Hildebrand uns Deutsche in der That mit diesem Farbenzauber bekannt gemacht hat. Die Wiedergabe desselben ist so überraschend treu, daß ich oft den Namen des Künstlers ausrief, wenn ich eines seiner Bilder gleichsam in der Natur vor mir sah.
Vor Sonnenuntergang verließen wir den Hafen, doch es dunkelte, bevor wir uns vom Anblicke der Uferfelsen losrissen. Das war meine erste Fahrt durch den Suezcanal. – –
Mehr denn zwei Jahre waren verflossen – der Januar 1882 näherte sich seinem Ende – als ein Dampfer derselben
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_580.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2023)