Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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„Laßt mich’s vermitteln!“ erbot Wilhalm sich eifrig.
Da richtete sich Elsbeth jäh auf.
„Nimmermehr! Leichtfertige Frauen mögen sich putzen! Mein Gewand ist die Zucht, mein Mantel die Ehre; ich verlange keine andere Zier.“ Sie neigte das Haupt und schritt zur Thür.
Haller zog die Augenbrauen zusammen. Er vertrat ihr den Weg.
„Laßt mich Euch geleiten!“ sprach er. „Es ist dunkel geworden, und der Gedrang in den Straßen ist jetzt groß.“
„Mich schützt der Sturz besser denn Ihr,“ erwiderte Elsbeth mit gedämpfter Stimme. „Wie wolltet Ihr Andern die Ehre wahren, da Ihr doch die eigne hintansetzt um einer verbotnen zärtlichen Leidenschaft willen.“
Haller horchte auf. Dann flüsterte er:
„Ihr thut mir Unrecht.“
Sie sah ihn über die Schulter an.
„Ihr verschmäht auch die Lüge nicht.“
„Treibt’s nicht zu weit,“ fuhr er auf, „daß nicht die Stunde kommen möge, wo Ihr in bittrer Reue den Wilhalm Haller zu Eurem Beistand herbeisehnt!“
„Wenn Ihr nur dann beihanden seid,“ hauchte sie in düstrem Spott, „und Euch nicht etwa versteckt wie heut’!“
Er ballte die Faust und wandte ihr zornig den Rücken. Die Frauen schritten hinaus. Die Künstler aber blickten dem schönen Mädchen bewundernd nach.
„Sie glich einer Himmelskönigin im Strahlenkranz,“ sprach Peter Vischer.
„Und um den Mund,“ rief Altdorfer, „lag es wie eine stille Klage.“
„Ihre zwo Aeuglein,“ sagte Hieronymus Bock, „schauten aus wie die Blüthen des Kräutleins Wegewart, von dem ein Märlein sagt, es sei eine verwunschne Jungfrau, die ihres Geliebten am Kreuzweg harre. In jedem Jahrhundert einmal verwandelt sie sich, um auszuspähen, ob der Ungetreue noch nit heimkehrt.“
Der Dürer aber sprach sinnend:
„Nicht als Heilige und nicht als verwünschte Jungfrau möchte ich sie malen und beileibe nicht als Nonne, sondern als eine tapfre schöne Hausehre mit dem Schlüsselbund an der Seite.“
Da stürmte Wilham ohne Gruß zur Thür hinaus und rannte in das Menschengetümmel auf den Straßen hinein, als müsse er etwas Entflohenes einholen.
Aber verschmähtes Glück hat flüchtige Sohlen; ein ganzes Menschenleben reicht oft nicht aus, es wieder einzufangen. Der Wilhalm gewahrte nirgends die einstige goldhaarige Braut.
Hingegen rannte er einen Perlenmacher über den Haufen, daß die Schachteln und Beutel durch einander rollten. Der Mann schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und verkündete zeternd, daß nunmehro der Einzug nicht von Statten gehen könne, dieweil er nicht mehr vermöge, den schwarzen Atlasrock der Schultheißen gänzlich mit Perlen zu besticken. Wilhalm brachte den Mann mit einer Hand voll Weißgroschen zur Ruhe. Etwas abgekühlt schritt er ruhiger fürbaß.
Also sie hatte ihn in einem unehrbaren Verdacht? Sie glaubte, er, der Wilhalm Haller, habe ein frevles Liebesspiel mit einer Ehefrau eingefädelt? So gering schätzte sie ihn? Und sie wollte in ein Kloster gehen, aber vorher noch weltliche Luft kosten? Er lachte höhnisch. Das kannte er. Das Kloster sollte der letzte Nothbehelf sein. Zuvor gedachten die Eltern zu versuchen, ob sie nicht einen Herrn aus dem Gefolge des Erzherzogs für ihre schöne Tochter fischten.
Ja, schön ausschauen konnte sie. Diese Gerechtigkeit ließ er ihr widerfahren und gestand sich offenherzig ein, daß er das früher nie vermuthet hatte. Aber sie sah sonst auch nie so aus. Was mußte nur in sie gefahren sein, daß sie so verwandelt erschien? O, wenn sie den fremden Gästen entgegentrat wie heut ihm, dann widerstand ihr Keiner. Dann kam sie vielleicht nach Venezia und verdunkelte mit ihren goldnen Haarwecken die röthlich schimmernden Flechten der schönen Tochter des Tizian.
Schon wieder stürmte er dahin. Ein „Auweh!“ erscholl, und ein Schneiderjunge lag unter einem Haufen von seidnen und sammetnen Puffen in der Gasse.
„O das kunstvoll verhauene Wams! Was hat es für Mühe gemacht! Rock und Hose auf einer Seite ganz grün, auf der andern weiß, gelb und roth getheilt! Was wird Herr Imhof sagen?“
Wilhalm erschrak. Mußte ihn sein Schicksal immer den Imhof’s feindselig gegenüber stellen? Er half mit eignen Händen das Gewandzeug wieder in den Korb packen, und es fiel ihm in seiner Sorge nicht einmal ein, die Nase über die veraltete getheilte Tracht zu rümpfen.
Dann wandelte er weiter. Was war es doch gewesen, woran er eben gedacht hatte, und was ihm die Brust einklemmte, daß er nicht frei athmen konnte? Richtig! Die Elsbeth als Ehegemahl eines welschen Herrn, von Tizian gemalt und berühmt vor aller Welt ihrer Schönheit halber. Nein, da war es doch besser, das Goldhaar fiel unter der Scheere; sie barg im Nonnenschleier ihr Antlitz und weinte sich die Wegwartenäuglein in einsamer Zelle roth, daß sie dem Wilhalm so schwer Unrecht gethan hatte durch ihren Verdacht. Dann war es freilich zu spät für sie, wenn sie etwa noch eine zärtliche Leidenschaft für den einstigen Bräutigam faßte, den sie so hart von sich gestoßen hatte. Aber besser späte Einsicht als gar keine!
Er seufzte tief auf, und es war ein herber frischer Duft, den er dabei in seine beklommene Brust einsog.
Die ganze Stadt duftete wie ein Maienwald; überall saßen die Leute unter den Laubengängen und wanden Kränze; Karren mit Fichten und Birken fuhren durch die Straßen. Das deutsche Volk kennt nichts Schöneres als seine uralte Heimath, den Wald. Wenn es freudig bewegt ist, trägt es ihn herein in die festen Städte und haust für eine kurze fröhliche Zeit unter den geliebten grünen Bäumen. Auch aus Wilhalm’s Seele wich bei dem Duft der heimathlichen Wälder das Gedenken an welsches Gepränge. Die spinnende Dämmerung, der weiche Abendwind stimmten ihn sanfter. Das Gewissen regte sich in ihm.
Hatte er nicht auch ihrer ledig sein wollen? O nein, er wußte es jetzt ganz genau: nur umbilden wollte er sie, damit sie sei, wie er es von seiner Ehefrau wünschte. Aber hatte er nicht ihren Verdacht absichtlich genährt? Ja, um zu prüfen, ob er ihr wirklich so gleichgültig sei.
Vielleicht kam doch in der Zukunft das Stündlein, da er ihr das Alles sagen konnte. Das Mißverständniß, die Rotmundin betreffend, mußte sich bald lösen. Der Einzug brachte alles an den Tag, auch die Ursache der hänfnen Verbindungsbrücke. Dann aber – dann?
Wie ihm das Herz klopfte! Welche Bilder vor ihm aufstiegen! Vor allem ein trauliches Heim mit einer tapfren Hausehre, wie der Dürer sagte, die ihre Schönheit züchtig für den Eheherrn hütete.
Da stand er vor seinem Hause, das ihn zerklüftet und zerborsten angähnte. Seufzend ließ er die Ballen und Kisten, die er aus Italien geschickt hatte, auspacken und die Mauern und Lücken mit so prächtigen Tapezereien behängen, daß bald ganz Nürnberg davon sprach. Man sagte auch auf Märkten und Gassen, daß der Altdorfer für das Gemälde, welches doch nur für den einzigen Tag dienen sollte, weit über die geforderte Summe hinaus von dem Haller bezahlt worden war.
Von außen war sein Haus schön anzuschauen wie die Paläste in Welschland, aber innen sah es um so trostloser aus. Als er die alten Schreine, Tische und Bänke von Fußboden und Wand, wo sie früherem Brauch gemäß befestigt waren, hatte abreißen und aus den Gemächern schaffen lassen, als seine aus Italien mitgebrachten Geräthe ausgepackt worden waren, hatte das Ingesinde alles durch einander gesetzt. Neben der riesigen mit geschnitzten Engelsköpfchen verzierten Brauttruhe seiner Mutter selig standen auf hohen, schlanken Beinen ein Marmortischchen; auf der alten braunen Eichenholztafel prangten kostbare Majolikaschalen, und an dem urväterlichen Schrein, der mit Rosen bemalt war, lehnte ein herrliches Gemälde von Tizian.
Ja, es herrschte eine große Unordnung im Haller’schen Hause; das zeigte sich auch am Vorabend des Einzugs, als Herr Wilhalm die Rüstung auspacken wollte, die er aus Mailand mitgebracht hatte, und den Panzer des Pferdes, auf dem der Amazonenkrieg aus funkelndem Erz und edlem Metall abgebildet war – die Kiste war nirgends zu finden und fand sich erst nach langem Suchen im Holzstadel. Während Wilhalm schier in Verzweiflung treppauf, treppab rannte, fielen ihm Elsbeth’s Worte ein: „Es muß jedes Ding in der Reih bleiben, so ein Hauswesen
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