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Seite:Die Gartenlaube (1882) 538.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Die Welt geht halt aus dem Leim. Der fremde Fürst bringt einen Hofnarren mit; der wird gar Rath genannt.“

Da richtete sich die Gestrenge auf, daß das mit Juwelen besetzte Kreuz an der güldnen Halskette klirrte.

„Der Narr ist zum lustigen Rath geworden, und die Stürze sollen den Weg alles Fleisches gehen? Wie lautete doch das Wort, das mein Vater, Gott tröst’ ihn! sprach, so er einen Urteilsspruch fällte? ‚Dessen genössen sie billig!‘ So war’s.“

Die Mägde und der Knecht sahen sich verblüfft an. Hatte die Gestrenge in der Dunkelheit vielleicht geschlafen und sprach noch im Traume?




Die ganze Stadt summte wie ein Bienenvolk, das sich zum Schwärmen rüstet. Der Besuch des Erzherzogs hielt Alle in Athem: Die Plattner schmiedeten Krebse; die Panzermacher machten Panzer; die Schneider saßen auf ihren Tischen und schwitzten über geschäubten Röcklein; die Fahnenschmiede schlugen lange roth und weiß getheilte Tücher an die vergoldeten Stangen, und im Bauhof hielt Herr Paumgartner Musterung über die Pferde der Stadt. Die Rathsherren aber wußten nicht, wo sie anfangen und wo sie aufhören sollten.

Am übelsten erging es dem Imhof; denn bei aller Arbeit hatte er noch seinen schweren häuslichen Kummer. Was war der Zwist, der wegen der Haube in den andern Geschlechterhäusern tobte, gegen die Noth, die hinter dem gothischen Thürmchen brütete?

Denn eine Noth durfte er es wohl nennen, daß sein Kind, nachdem es tapfer den Verspruch mit dem Gecken, dem Haller, gelöst hatte, so ganz verändert sich zeigte. Die Elsbeth war sonst so sicher, gemächlich und mit sich zufrieden gewesen, wie es der Tochter aus einem der reichen Nürnberger Geschlechter zukam. Und nun? Es schnürte ihm das Herz zu, wenn er früh aus seinem Geheimstüblein heraus trat und sie stumm und starr durch das Haus schreiten sah, mit dem Schlüsselbund läutend, wie zu einer stillen Messe. Sie schaffte und hantirte den ganzen Tag; sie klagte nie, aber sie hing den Kopf, als sinne sie über etwas Unbegreifliches nach, und wenn er sie anredete, fuhr sie auf, wie aus schwerem Traum.

Kam er, müde gehetzt, vom Rathhaus und allen Vorbereitungen zum Einzug des Erzherzogs nach Haus und begehrte sein Haupt auf den Pfühl zu legen, dann klagte ihm sein Ehegemahl in die Ohren:

„Wenn i nur wüßt’, was wir anfangen sollen! Die ganze Stadt kennt die verabredete Heirath, und in den Häusern der Geschlechter denkt deshalb kein Junggeselle an unsre Elsbeth, erst recht nit, da der Haller sie sitzen gelassen. Und Töchter sind kein Lagerobst. Wenn i nur wüßt’!“

Unter so bewandten Umständen war es dem Imhof nicht zu verargen, daß er ein Wirrsal in den ihm übertragnen Geschäften stiftete. Er vergaß das Gewerk der Fingerhüter zum Festzuge aufzufordern. Die nahmen es übel, machten einen Aufruhr und stürmten aus das Rathhaus, begehrend, auch vor seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit unter den langen Spieß zu treten. Der Imhof half sich, wie uralter Brauch ist, indem er die Schuld des Versehens auf seine Diener, die Stadtknechte, schob. Dann aber stürmte er nach Hause, und als sein Weib ihm thränenden Auges entgegenkam und wieder seufzte:

„Wenn i nur halt wüßt, wo wir einen andern Eidam herschaffen thäten,“ schrie er sie an:

„Mag die Elsbeth den Kriegsschreiber heirathen, damit dem Geklag nur ein End gemacht wird! Der nimmt sie gleich.“

Da erlosch die blühende Farbe der Elsbeth. Sie wurde bleich. Den Wocken legte sie aus der Hand und ließ die Spindel nicht mehr tanzen, sondern schlich still in ihr Gemach. Dort saß sie im Winkel, und die fleißigen Hände ruhten müßig im Schooß. Sie dachte nach.

Ach, das Sinnen ist auch eine Arbeit wie das Spinnen, und sie war nicht geübt darin. Bisher hatte sie alle ihre Gedanken zu den häuslichen Verrichtungen gesammelt. Gesponnen, gewebt, genäht, gekocht und gebacken mußte den lieben langen Tag werden, als sei das die Hauptsache im Leben. Und wozu hatte sie nun die Hände gerührt und Alles erlernt, was eine Hausfrau wissen mußte? Um dem Kriegsschreiber damit seine alten Tage zu versüßen, dem alten Kröpel, der so knickebeinig in seinen Schnabelschuhen stand, die sich bis an die Kniee emporbogen?

Sie stutzte. War sie auch prängisch wie die Rotmundin?

Nein, die Schnabelschuhe störten sie nicht. Einen Andern konnte sie sich darin denken, und er wurde ihr nicht widerwärtig dadurch, aber der war stattlich gewachsen, trug einen braunen Schnauzbart über den vollen Lippen und schaute sie aus braunen, zornigen Augen an.

Da war es ihr, als ob ein Schleier zerrisse, der bis dahin ihre Seele umhüllte, wie der Sturz ihr Angesicht. Jetzt wußte sie es: es war ihr doch nicht das Wichtigste gewesen, die Hühnerpastete gut zu backen. Wenn sie auch ihre zwo Aeuglein fest auf Salbei und Peterla gerichtet und eifrig daran gedacht hatte, Ingwer, Pfeffer und Zimmetrinde abzuwiegen, den Wein zuzumessen und mit Saffran dem Gemengsel eine gäle Farbe zu geben – das Bild des schönen Junkers, für den sie dereinst eine solche Pastete backen sollte, hatte doch über allen Gewürzen geschwebt, süßer und lieblicher als Zimmetrinde und Näglein.

Und war es wirklich nur der Eltern Wille gewesen, dem sie hatte gehorsamen wollen? Warum konnte sie nicht daran denken, dem alten Kriegsschreiber den Leckerbissen zu bereiten als sein trautes Ehegespons?

Und urplötzlich ging ihr ein Verständniß auf für Haller’s Wort über das neue Recht des Herzens. Sie hielt das zwar für eine schwere Anfechtung, aber das Herz pochte dennoch für und für in seiner dunklen Kammer auf sein Recht.

In ihre Noth hinein klang das Geläut der Messe. Hülflos, trostbedürftig griff sie nach ihrem Gebetbüchlein und ging nach der Frauenkirche.

Sie lag in ihrem Betstuhl, das Gesicht in die Hände vergraben, und betete mit Inbrunst, bis die Messe vorüber war. Da hörte sie plötzlich ein Trippeln und Rauschen um sich, und als sie aufschaute, sah sie, wie der alte Pater Christophorus, der sonst nur berufen war, die im Fasching wüst gewordenen Köpfe zu waschen und zu salben, die Kanzel bestieg und gar grimmig auf die Gänge zwischen den Kirchenstühlen herabschaute, durch welche eben die Geschlechterinnen, van der Rotmundin geführt, sich entfernten. Nur Elsbeth und einige andächtige Mütterlein blieben zurück und hörten es mit an, wie er zornig auf den Predigtstuhl paukte und donnerte:

„Die Zeichen mehren sich, daß der jüngste Tag vor der Thür ist,“ sagte er. „Der Versucher geht um mit einer neuen Falle, die er klüglich unter dem Namen der Augsburger Haube versteckt. Ganz eine Schand ist’s, daß die Frauen dieses Nest, das aller Hoffart, Tücke und Eitelkeit voll ist, sich auf das Haupt setzen wollen. Denn es steigt nur deshalb hoch empor wie der St. Lorenzothurm, daß das kleinste Weib dem größten Mann gleich erscheine, was doch gegen alle göttliche Ordnung ist. Mit Perlen und Gold ist es umstarrt gleich einem Heiligenschein, und wissen wir doch, wie selten die Heiligen unter den gedankenlosen Evastöchtern sind. Auch einen Schleier hat’s, aber nicht um züchtig damit das Antlitz zu verhüllen, sondern um prängisch damit zu wedeln wie der Teufel mit seinem verfluchten Schweif. Hütet Euch! Satanas ist von Anbeginn nie so grimmig und zornig gewesen als itzo, wo das Ende der Welt bevorsteht.“

Nun ging es freilich dem guten Pater wie den meisten Bußpredigern: Die, für welche die Rüge bestimmt war, hatten sich heim begeben. Aber Einer that seine Predigt doch gut – der Elsbeth Imhofin. Sie richtete sich auf an dem Bewußtsein ihrer größren Tugendhaftigkeit. Sie hatte Recht gehabt – der Pater sagte es ja auch.

Hochgehobnen Hauptes verließ sie die Kirche. „Wenn nur der Wilhalm die Predigt gehört hätte!“ dachte sie und wagte einen Blick zu seinem Haus hinüber. Aber was sich ihr zeigte, ließ sie erstarrt still stehen mitten aus dem Herrenmarkt.

Dort auf der dicken Mauer der aufgerissnen Wand seines Hauses stand Wilhalm und schaute ganz erpicht hinüber nach dem Rotmundischen Haus, wo die Frau aus ihrem Chörlein sich bog. Elsbeth’s Herz zog sich schier zusammen. Wie war er doch so ganz anders denn der Kriegsschreiber! Wie war er schön anzuschauen! Das leicht gebräunte Antlitz vom dunklen Haar umrahmt, die kräftige Gestalt anmuthig der holden Nachbarin zugeneigt, die nach Augsburgischer Manier im Haus nur ein feines Schleiertuch um das Haupt geschlungen trug und leichtfertig vor Aller Augen im langen seidnen Schlafrock sich zeigte! O, die gottlose Spinne, die nur darauf sann, wie man die Männer berückte und vom Tugendpfad ablenkte!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_538.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)