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Seite:Die Gartenlaube (1882) 464.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Stamme, für eine Entehrung desselben halten, einen Spanier zu heirathen; so zahlt sie, die das Herz des Spaniers unfehlbar zu fesseln und zu entflammen weiß, dem Volke die Behandlung, die unwürdigen Verfolgungen heim, denen ihr Stamm dort so lange ausgesetzt worden ist. Bis vor wenigen Jahrzehnten galt dies als völlig unverbrüchlich; bis dahin lebten die Zigeuner überall nach ihren ungeschriebenen, althergebrachten einfachen Satzungen, und besonders die Sittengesetze waren sehr streng; nichts vermochte sie zu bestimmen, dem Wanderleben zu entsagen, Boden und Besitz zu erwerben.

Was die Gefühle der mittelalterlichen Menschen, den Zigeunern gegenüber, besonders verletzen und manche Verordnungen gegen dieselben hervorrufen mochte, war vornehmlich auch der völlige Mangel an Religiosität bei den Letzteren. Schon die Orientalen bezeichneten frühzeitig die Religion der Zigeuner als eine halbe; in der That kann man im günstigsten Falle nur von einem wenig entwickelten Naturcultus sprechen; hier und da zeigen sich Spuren buddhistischen Einflusses; auch solche eines Gestirncultus sind bemerkbar, von einer ausgebildeten selbstständigen Religion kann aber bei den Zigeunern nicht die Rede sein.

Ueberall, wohin die Zigeuner kamen, nahmen sie äußerlich – zum Theil dazu gezwungen, zum Theil, weil sie darin ihren Vortheil erkannten – den herrschenden Glauben und Cultus des Landes an, lebten darum aber doch in alter Weise, in absoluter Glaubenslosigkeit und nur die Moralgesetze ihres Stammes anerkennend, fort; sie dürfen trotzdem, z. B. in Spanien, als entschieden sittlich betrachtet werden, und auch in manchen anderen Beziehungen stehen sie höher als die vom orthodoxesten Glauben erfüllten niedern Schichten der spanischen Gesellschaft.

Woher die eigenthümliche Erscheinung, daß dieses wunderbare Volk im Allgemeinen keine der Religionen annahm, mit denen es in Berührung kam?

Auch dies ist auf die Existenz ihrer indischen Vorväter zurückzuführen. Ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft, durften sie keinen Glauben haben; der innige Anschluß an die Natur machte ihnen das Product priesterlicher Speculation überflüssig; überall, wohin sie kamen, fanden sie anderen Glauben vor, Vorstellungen, die ihnen fremd waren, und die sie, weil eben nicht zigeunerisch, verachteten; so lebten sie, auf ihre alten Satzungen vertrauend, ruhig hin, unbekümmert um die Culte, die sie sahen, und an denen ihnen höchstens der Glanz imponiren konnte, da sie wie alle Naturmenschen an bunter Farbenpracht, an Putz und Schmucksachen Gefallen finden und solche zu besitzen streben.

Wie die Sprache, so waren auch die Gewerbe, die sie betrieben, allen Zigeunern gemein; überall finden wir die Männer als Pferdehändler, als Schmiede, Kesselflicker, Verfertiger von hölzernem Hausrath, als Bärenführer und Goldwäscher, wozu in Spanien noch die Stierfechter und Wollscheerer kommen. Die Frauen traten überall als Wahrsagerinnen, als Zauberfrauen, als Sängerinnen in Rußland, als Tänzerinnen in Spanien auf; an sie wandte man sich, wenn man heilsame Zauber- und Liebestränke, wenn man Medicamente verschiedenster Art brauchte. Die musikalische Befähigung war und ist das Gemeingut aller Zigeuner und kommt bei jedem in irgend welcher Form zum Ausdruck. Aus den ungarischen Zigeunern sind viele Geigenvirtuosen, aus den russischen berühmte Sängerinnen, aus den spanischen die besten Tänzerinnen hervorgegangen.

Was nun endlich ihre physische Beschaffenheit anbetrifft, so ist dieselbe in Folge des Umstandes, daß in vielen Ländern die Zigeuner nur unter sich heirathen, daselbst noch so rein erhalten worden, wie sie war, als ihre Ahnen von Indien auswanderten, so rein, wie wir sie heute noch an ihren Verwandten finden. Die dunkle Hautfarbe, die großen lebhaften, von langen Wimpern beschatteten, meist dunklen Augen lassen auf den ersten Blick den fremdländischen orientalischen Ursprung erkennen.

Die Gestalten sind stets wohlproportionirt, mittelgroß, die Füße und Hände fein und zierlich, und so lange die Körperkräfte noch nicht durch schwere Arbeit, durch klimatische Einflüsse geschwächt sind, darf man die Zigeuner für schön erklären, und wenn auch die körperlichen Reize nicht lange andauern, so bleiben doch selbst dem Alter noch die hohe geistvolle Stirn, die schön geschnittenen Gesichtszüge und das feurige Auge eigen.

Ihre Eigenart haben die Zigeuner auch heute noch in vieler Beziehung am reinsten in Spanien bewahrt, wie auch die Verhältnisse, unter denen sie daselbst leben, zu den eigenthümlichsten gehören, die der Reisende auf dem Boden des europäischen Continents finden kann. Besonders Granada, wo sie sich in großer Zahl aufhalten und wo sie wie Troglodyten in unterirdischen Höhlen hausen, bietet in dieser Hinsicht des Interessanten sehr viel, wie auch die granadinischen und sevillanischen Zigeunerinnen als die schönsten und als die vorzüglichsten Tänzerinnen gelten können. Aber selbst dort fangen die charakteristischen Stammeseigenthümlichkeiten an, unter dem nivellirenden Einfluß der Civilisation zu schwinden, und es wird vielleicht nicht mehr lange dauern, bis in Spanien und Ungarn wie in allen anderen Ländern die Zigeuner sich völlig mit den Nationen amalgamiren, deren Feindschaft sie lange genug empfunden haben, deren Dichtern, darstellenden und bildenden Künstlern sie so vielen dankbaren Stoff geboten haben, der auch in ergiebigster Weise ausgenutzt worden ist.




Spuren und Fährten.

Ein Capitel aus der Jägerpraxis.0 Von O. von Riesenthal.

„Jeder Jäger soll genau wissen, wie viel und welches Wild auf seinem Revier sich aufhält; vom Hochwild soll er wissen, wie viel Stück nach Alter und Geschlecht es sind, und er soll sich bemühen, die einzelnen Glieder dieser seiner wilden Heerde alle zu sehen und kennen zu lernen.“

Wenn man diesen wichtigen Grundsatz der Jagdpflege einem Laien mittheilt, so umspielt seinen Mund wohl ein ungläubiges, überlegenes Lächeln, aus welchem spricht:

„Ach sieh mal, also du hältst mich für naiv genug zum Glauben an deine Lügen und dein Jägerlatein, doch du kommst bei mir nicht an; ich kenne das Verslein:

‚Der Jäger nur die Wahrheit spricht.
Daher das Wörtlein: Jagdgeschicht‘!“

Aber der Ungläubige hat hier, wie nur gar zu oft, Unrecht, der Waidmann ist, bezüglich der Wahrheitsliebe, viel besser als sein Ruf, und so widersinnig es klingen mag, man müsse sein Wild nach Alter und Geschlecht kennen, ohne es gesehen zu haben, so richtig ist es; freilich muß man dies nicht vom Sonntagsjäger verlangen, vom Jagdonkel, der, nachdem er wohlhabender Rentier geworden ist, „es haben kann“, eine Jagd zu pachten, Hunde und Gewehre anzuschaffen und im vollsten Glanze Nimrod’s, mit schöner Joppe, geschmücktem Hut und großem Frühstücksmaterial, der Residenz den Rücken zu kehren; denn dieser Jagdfreund wird manchmal sein Wild noch nicht kennen, selbst wenn er es gesehen hat; es gehört zu diesem Können und Wissen doch etwas mehr, was Einem nicht so ohne Weiteres anfliegt; es kostet manchen Schweiß, manchen Gang, manche schlafgestörte Nacht, wenn man die Zeichen verstehen lernen will, welche das Wild hinterläßt, mit anderen Worten: wenn man der Spuren und Fährten des Wildes kundig, wenn man ein „fährtengerechter Jäger“ sein will.

Versuchen wir im Nachstehenden, den Laien, wenn auch nur flüchtig, mit der Bedeutung dieser geheimnißvollen Zeichenkunde vertraut zu machen!

Aus dem von Alters her gebräuchlichsten Ausdruck „hirschgerecht“ ergiebt sich, daß die Fährtenkunde vom Hirsch, das heißt vom Edelhirsch, als die vornehmste, edelste und schwierigste galt. Die Hirschjagd blühte Jahrhunderte hindurch neben der ihr ebenbürtigen Falkenbeize, und wenn es schwer zu sagen ist, welche von beiden Jagdarten im Mittelalter über der andern stand, und wir dies der Falkenbeize zugestehen, über welche selbst Kaiser Friedrich der Zweite ein noch heute werthvolles Lehrbuch schrieb, so trat doch nach ihrem Erlöschen die Hirschjagd die Erbschaft voll an und wurde zu einer staunenswerthen Technik entwickelt, in welcher die Fährtenkunde die Hauptrolle spielte.

Der Jagdherr wollte ja nicht nur überhaupt Wild schießen, sondern auch eine gewisse Art: heut starke Hirsche, ein anderes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_464.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)