Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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unter solchen Verhältnissen war es für die Bernauer ein Leichtes, heißen Brei und Wasser als Mittel zur Vertheidigung zu benutzen.
So lagen die Verhältnisse, als Kosca am 2l. April nördlich der Stadt vor dem Mühlenthor auf den dortigen Feldern mit seinen Schaaren die Wagenburg aufschlug. Mit Schrecken und Bangen sahen die Bernauer von der Stadtmauer herab, wie der Feind die Vorbereitungen zum Angriff traf; mit fieberhaftem Eifer wurden in der Stadt alle Vertheidigungsmittel an die Mauer herangeschafft; Alles bereitete sich zum energischsten Widerstande vor.
Der Angriff ließ auch nicht lange auf sich warten. Während der Tage vom 21. bis 23. April wurde von den Hussiten die St. Georgs-Capelle vor dem Mühlenthor zerstört; einen Angriff über dieselbe hinaus auf die Stadtmauer wagten sie jedoch für's Erste nicht zu unternehmen, denn sie hatten die energischen Maßregeln der Bernauer gesehen; dennoch ließen sie sich am 23. April zu solchem verleiten. Der Erfolg war ein kläglicher; denn der von der Bevölkerung herabgegossene „heysse Brei“ hatte den feindlichen Schaaren bedeutende Verluste bereitet. Erbittert über den ihnen geleisteten Widerstand und durch die gehabten Verluste eingeschüchtert, standen die Hussiten von weiteren Sturmversuchen ab, zogen sich in ihre Wagenburg zurück und beschränkten sich lediglich auf die Beobachtung des Mühlenthores und seiner Umgebung.
Die Kraft der Bernauer Bürger war durch diese rasenden Angriffe, wenn auch nicht gebrochen, so doch beinahe erschüttert worden. Persönliche Kraft vermochte nichts mehr, und man griff deshalb zur List: das Bernauer Bier sollte die Hussiten verderben.
„War einst ein Brauer in Bernau,
So lang als dick so fromm als schlau!“
So beginnt Schmidt-Cabanis sein „Bernauer Biermärlein“! — Und dieser Brauer war der Sohn des Stadtsyndikus Bütten! Er schlug vor, eine große mit „Tollkirschen, Quassianholz und sonstigem Teufelszeug“ versetzte Quantität des Bernauer Bieres auf Wagen zu laden und diesen Transport aus dem Berliner Thore so zu dirigiren, daß er absolut den Hussiten in die Hände fallen müßte. Dieser Vorschlag wurde mit Freuden begrüßt und angenommen. Die List gelang. Die Hussiten nahmen den Transport mit großem Jubel in Empfang und überließen sich mit noch größerem Behagen dem Genusse des Bieres. Die Wirkung dieses aus „Quassianholz, Tollkirsche und sonstigem Teufelszeuge“ zusammengesetzten Getränkes konnte nicht ausbleiben — ein tiefer Schlaf übermannte bald das ganze hussitische Lager.
Durch genaue Nachrichten waren die Bernauer über die Vorgänge im Hussitenlager unterrichtet worden, und man beschloß, den günstigen Augenblick zu einem Ueberfall zu benutzen. Unter Zurücklassung der nöthigen Posten auf der Stadtmauer rückte, den Bürgermeister Lüttcke an der Spitze, der waffentragende Theil der Bernauischen Bevölkerung auf Schleichwegen an das Hussitenlager; die böhmischen Wachtposten waren bald überrumpelt; die Bernauer bestiegen die Verschanzungen, machten Alles, was sich ihnen entgegenstellte, nieder, und nur ein Theil der Hussiten rettete sich in den nahe gelegenen Wald; selbst dem grimmen Hussitenführer Kosca gelang es nur mit Mühe, auf einem fremden Pferde zu entfliehen. — Das ganze Hussitenlager fiel in die Hände der Bernauer, und die noch heute im Bernauer Rathhause aufbewahrten Beutestücke, unter andern der Küraß und die hölzerne Bratenschüssel Kosca's, sind sprechende Beweise für den Umfang der damals gemachten Beute.
So lebt im märkischen Volksmunde die Geschichte der Belagerung und Befreiung Bernaus. Geschichtlich läßt sich indeß nachweisen, daß durch die glücklich bestandene Belagerung Bernaus allein die Vertreibung der Hussiten nicht herbeigeführt worden ist; auf Grund der historischen Quellen ergiebt es sich nämlich, daß Markgraf Friedrich der Zweite mit 6000 Brandenburgern den belagernden Hussiten in den Rücken fiel, während zugleich die Bernauer einen Ausfall auf den Feind gemacht hatten; nach denselben Quellen fand auf dem „Ruthenfelde“ vor Bernau (Feld vor dem jetzigen Bahnhofe) in Folge dieses gemeinschaftlichen Zusammenwirkens eine Schlacht statt, in welcher die Böhmen total geschlagen wurden.
Die Idee und Ausführung einer würdigen Feier jenes vierhundertfünfzigjährigen Gedenktages in Bernau ist in erster Linie den Bemühungen des dort lebenden bekannten Geschichtsforschers, Herrn Dr. Jacobsen, in zweiter dem aus Bernauer Bürgern bestehenden Festcomité zu danken. Fiel dem letzteren ausschließlich die Erledigung der örtlichen Festarrangements zu, so hatte Herr Dr. Jacobsen die Absicht, dem Feste auch einen künstlerischen Werth zu verleihen, und diese Idee fand einen lebhaften Widerhall in den Berliner Künstlerkreisen. Der Erfolg war, dank dieser Theilnahme, der Art, daß man wohl behaupten darf: das Bernauer Hussitenfest war ein echt deutsches Künstlerfest.
Der Plan des Herrn Dr. Jacobsen fand in dem Maler Herrn C. Röchling-Saarbrücken und dem Herrn Professor von Heyden die lebhafteste Unterstützung. Alle drei Herren entwarfen Costümbilder der damaligen Kriegertracht, und den freudig beistimmenden Jüngern der Kunst, dem Berliner Künstlerverein und den Kunstakademikern blieb es überlassen, auf Grund dieser Bilder sich selbst zu „equipiren“. Ein lebhaftes Schaffen und Treiben regte sich schon wochenlang vor dem Feste in den Berliner jüngeren Malerkreisen; die Mittel zur Beschaffung der Costüme waren gering, und die leihweise Ueberlassung derselben aus Berliner Staatsinstituten stieß vielfach auf Schwierigkeiten; somit blieb nichts Anderes übrig, als selbst Hand anzulegen. Fürwahr! So mancher Künstler, vielleicht einst eine Koryphäe der Zukunft, hat, mit Nadel und Scheere bewaffnet, sich in seinem Atelier das Hussiten- oder Brandenburgerwams selbst angefertigt, und so ist denn auch der nähende Künstler auf dem hübschen Wittig'schen Initial, welches unsern heutigen Artikel schmückt, wirklich dem Leben abgelauscht.
Es handelte sich nicht um schmuckes, tadellos propres Aussehen, sondern um die gewissenhafte Darstellung der Wirklichkeit; es galt, das ernste Werk des Krieges in den Costümen und der Ausrüstung in gleicher Weise plastisch zur Darstellung zu bringen, wie die Wirklichkeit von damals sie vorschrieb. Und die Liebe und Treue zur Sache hat reichliche Früchte getragen: die Costüme waren mit bewundernswerther Gewissenhaftigkeit und den geringsten Mitteln geschaffen; einfache Kaffeesäcke, unten und oben angeschnitten, mit Adler- und Sternenbildern besäet und mit Tuchkanten besetzt, dienten als Wämse; alte, in historische Form gebrachte Filzhüte, mit Graphit überstrichen, vertraten den Helmpanzer; aus Pappe täuschend nachgemachte Brustpanzer, Morgensterne, Sensen, Lanzen, Dreschflegel mit eisernen Spitzen besetzt, Streitäxte, Hämmer, Bogen, Büchsen — alle diese Geräthe waren das Ergebniß langtägiger Arbeit: die Kunst hatte aus geringem Stoff Großartiges gebildet. Das Mittelalter schien wieder auferstanden; das Hussitenwesen zeigte sich in seinem malerischen Schmuck, ebenso aber auch in seiner bizarren Zerlumptheit und Naivetät der Sitten.
Sehr trübe gestalteten sich die Auspicien am Festtage: Regenwetter, mit Hagel untermischt, war ein schlimmes Prognostikon für das Fest, und schon der Anblick der durch den Regen durchnäßten Hussiten- und Brandenburger-Gestalten stimmte das Gemüth herab. Mit der Ankunft des kronprinzlichen Paares stellte sich indessen das Hohenzoller-Wetter ein.
Am Bahnhofe mit Ansprache und Begrüßung empfangen, zog das kronprinzliche Paar durch das Königsthor in die Stadt ein; an demselben hatten sich die Ehrendamen — in mittelalterlicher Tracht, langen Kleidern in „Gretchen-Art“ mit langer Schleppe, den Kopf zum Theil mit weißen spitzen Hauben bedeckt, zum Theil mit einem Hopfenblüthenkranz im Haar — auf einer Estrade niedergelassen, von welcher aus eine Begrüßung des kronprinzlichen Paares und die Ueberreichung von Bouquets erfolgte. Auf der beigegebenen Abbildung (S. 428) versuchte der Künstler möglichst getreue Portraits dieser liebenswürdigen „Ehrenjungfrauen“ den Lesern vor die Augen zu führen. Hierauf begaben sich die hohen Gäste nach der Marien-Kirche, wo der Festgottesdienst stattfand, darauf nach der St. Georgs-Capelle vor dem Mühlenthor, in welcher sie durch den „Kürfürsten von Brandenburg“ mit drei Rittern ehrerbietigst empfangen wurden. Ein Frühstück im Rathhause — dem kronprinzlichen Paare von der Stadt Bernau gegeben — beendete diesen ersten Theil der Festfeier.
Inzwischen lagerten die Hussiten, friedlich mit den Bernauern und Brandenburgern vereint und „lechzend nach Bernauer Bier“, vor dem Mühlenthor. Der Anblick dieser wilden Gestalten, das bunte Durcheinander, war ein ungemein farbenprächtiger und bizarrer, wie auch die Eigenthümlichkeit des im Festzuge darzustellenden Bildes gerade hier noch mehr als beim Festzuge in den Vordergrund trat. Die wilden Horden bewegten sich im buntesten Gewimmel unter einander, wilde Rufe wie: „Slava“, „Zivio“ erschütterten die Luft
— das Mittelalter schien vor dem Mühlenthor alle seine Furien
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_426.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)