Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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laß’ ich stecken oder ich schiebe ihn oberhalb des Eingangs zwischen Balken und Mauerwerk. Führt Dein Weg Dich vorüber, so nimm ihn an Dich! Magst auch hineingehen und Alles schmücken, aber nicht mit heilsamem Kraut und Tannenzweigen, sondern mit Rosmarin, wie für einen Todten. Kannst den öden Bau zerfallen lassen, mir ist’s einerlei – mich sieht der Lyster-Fjord nicht wieder.“
Er kehrte sich ab und schritt davon. Schwer, wie unter einer unerträglichen Bürde, berührten seine Füße die staubige Straße. Es war, als ob ein Schlag ihn halb betäubt hätten; denn statt die Richtung nach Lärdalsörne einzuschlagen, bewegte er sich dahin, wohin sein Antlitz stand, woher er nach seinem Besuch bei dem Müller gekommen war. Die Hälfte des Weges nach dem Gehöfte hatte er schon zurückgelegt, als er seines Irrthums inne wurde.
Er blieb stehen und sah zurück. Engelid folgte ihm in einiger Entfernung, und wie ein schwarzer Schatten hob ihre Gestalt sich von der ein wenig lichteren Umgebung ab. Um keinen Preis hätte er ihr noch einmal begegnen mögen. Er sagte sich, daß auch ihr ein neues Zusammentreffen peinlich sein müsse, sie aber nimmermehr mit ihm zugleich unter Ornesen’s Dach weilen würde, wohin er doch seine Schritte lenkte. Um ihr den Wahn zu rauben, daß er sie erwarte, setzte er mit beschleunigter Eile seinen Weg fort; statt indessen nach dem Gehöfte hinaufzugehen, bog er eine kurze Strecke vor demselben ab, die Richtung einschlagend, welche ihn nach dem Wehre hinführte. Auf der andern Seite des Elfs lief ebenfalls ein Weg neben demselben hin, um dahin zu gelangen, brauchte er nur das Wehr als Brücke zu benutzen. Was galt es ihm, daß dasselbe nur aus Planken bestand, die von einer Anzahl in das Flußbett tief eingerammter Balken gehalten wurden? Was galt es ihm, daß der Elf sein Wasser in breitem Strahle über das Wehr hinweg in einen schäumenden Trichter hinabsandte? Was galt ihm das Tosen und Brausen oberhalb und unterhalb, ihm, der so oft auf schwankem Taue dem Andrang des Orkans wie der auf ihn hereinbrechenden Sturzsee zugleich Widerstand leistete? Und was galt es ihm endlich, wenn er, in den schäumenden Strudel hinabgerissen, tief unten zwischen den Geröllblöcken zermalmt wurden? Es war nichts Aergeres, als er überhaupt über kurz oder lang erwartete, und je schneller das Verhängniß über ihn hereinbrach, um so früher fand er Ruhe.
Vor dem Wehre angetroffen, betrachtete er dasselbe ein Weilchen scharf, um seine Augen mit der Richtung der Planken vertraut zu machen und sich zugleich an die durch den weißen Schaum unterhalb des Wehrs veränderte Beleuchtung zu gewöhnen. Dann nahm er ein zur Hand liegendes schmales Bret, und dasselbe als Stütze benutzend, schritt er auf der kaum drei Finger breiten Bahn nach dem nächsten Balkenpfosten hinüber, der ein wenig über den abwärts gleitenden Wasserstrahl hinausragte. Auf diesem blieb er wieder stehen, um die Strecke bis zu dem nächsten Pfosten hinüber mit den Blicken zu prüfen. Was hinter ihm vorging, sah er nicht, noch weniger hörte er bei dem ihn umringenden Brausen, daß flüchtige Schritte sich vom Hofe her näherten und eine kurze Strecke unterhalb des Wehrs auf dem äußersten Uferrande verstummten. Und durch das ihm bis halb zu den Knieen hinaufspülende Wasser schritt er weiter auf dem schmalen Stege. Engelid’s Blicke folgten ihm mit Todesangst, und mit angehaltenem Athem neigte sie sich weit über die zu ihren Füßen brandenden Fluthen hinab.
Ein leises: „Gott sei Dank!“ entwand sich ihren Lippen, als sie ihn auf dem zweiten Pfosten festen Fuß gewinnen sah, aber noch sechs Pfosten lagen vor ihm, und zwischen diesen ebenso viele Plankenwände, von welchen die leiseste Störung des Gleichgewichtes ihn in den brausenden Gischtkessel hinabsenden mußte.
So erreichte er den dritten, den vierten Pfosten, und nun stieg er mit dem einen Fuße abermals hinab, und nach kurzer Prüfung des schmalen überspülten Steges zog er auch den andern nach sich. Es war dies die Schleußenpforte, welche bei allzu schwerem Andrange der Fluthen aufgezogen werden konnte und zwar mittelst von beiden Ufern aus hinüberreichender Schwebebalken. Während der nächsten Schritte hielt er sich an der ersten der vor den Schwebebalken niederhängenden Ketten. Drei weitere Schritte mußten ihn in den Bereich der zweiten bringen. Doch kaum hatte er die Hand von der ersten Kette zurückgezogen, als plötzlich die unter seinen Füßen befindliche Planke, wohl durch den Bruch weniger verrosteter Nägel, nachgab und sich zur Seite neigte. Eine Sekunde kämpfte er um’s Gleichgewicht. Durch einen Sprung suchte er die andere Kette zu erreichen, aber von den in verstärktem Maße hereinbrechenden Fluthen wurden die Füße unter ihm fortgezogen, und im nächsten Augenblicke verschwand er unten in dem Schaumkessel.
Ein durchdringender Schrei zitterte über das Gehöft hin, und hülferufend eilte Engelid eine kurze Strecke stromabwärts, wo das Ufer sich fast bis zudem auf dieser Stelle nur über Geröll hintobenden Flusse hinab senkte. Gleich darauf trafen die Müllerknechte bei ihr ein. Mit gutem Rathe waren alle bereit, sobald sie Kunde von dem grausigen Ereignisse erhielten, doch was galt Engelid jetzt noch Rath! Was sollten Stangen und Taue, während jede neue Secunde über Leben und Tod entscheiden konnte! „Eine lebendige Kette!“ – dieser Gedanke war es, der wie ein Blitz Engelid’s Geist durchzuckte, und fast ebenso schnell stand sie bis an die Hüften in dem wirbelnden Wasser, gehalten von einem Manne, der ihr ungesäumt nachfolgte und dem andere, so viele ihrer da waren, die Fäuste eng in einander verschränkt, sich anschlossen. Und so war in fast verschwindend kurzem Zeitraume in der That eine lebendige Kette geschaffen, welche bis über die Mitte des wüthenden Elfs hinausreichte, vom Ufer aus aber noch, um sie zu verlängern, durch ein Tau gehalten wurde.
Eine grauenvolle Minute folgte, indem die Kette sich unter Aufbietung der äußersten Kräfte stromaufwärts dem Wasserfall zu bewegte und Einer dem Andern rieth, sich aufrecht zu erhalten, nicht im festen Griffe der Hände zu ermüden. Nur über Engelid’s Lippen kam kein Laut. Allen voraus, die nächsten Nachbarn sogar nach sich ziehend, als ob ihre Kräfte sich verzehnfacht hätten, kämpfte sie der Strömung entgegen. Das Wasser selbst, welches ihr nur wenig über die Kniee reichte, hinderte trotz des heftigen Anpralls weniger, als die Geröllblöcke, über welche die Fluthen schäumend hinbrandeten.
Knut konnte sich nur auf dem zwischen Kette und Wasserfall sich ausdehnenden, verhältnißmäßig kleinen Flächenraume befinden. Aber wer sagte ihr, ob er sich beim Hinabstürzen nicht tödlich verletzte? Wer, ob er nicht in dem unterhalb des Wehrs von den kämpfenden Fluthen ausgewühlten Trichter festgehalten wurde oder ob der gischtgefüllte Schlund ihn nicht bereits ausgespieen?
Und weiter kämpfte Engelid gemeinschaftlich mit den Gefährten auf den Wasserfall zu, bis endlich die Schaumballen ihr bis zur Brust hinaufschlugen und sie sich kaum noch aufrecht zu halten vermochte.
„Es ist vergebens,“ hörte sie einen der schwer arbeitenden Männer den Gefährten zurufen.
„Nicht vergebens!“ herrschte sie den Leuten zu, daß ihre Stimme das Poltern und Tosen des Wassers übertönte. „Ich muß ihn finden, und wäre ich gezwungen, tief unten in dem Trichter nach ihm zu suchen –“
Plötzlich entwand sich ein unbeschreiblicher Ausruf, in welchem Entsetzen und tiefe Herzensfreude sich einten, ihrer Brust, und mit der freien Hand vor sich in’s Wasser hinabgreifend, tastete sie einige Augenblicke umher. Da sie selbst in dem Hauptcanal des Stromes stand, war Knut gerade vor sie hingeschoben worden. Wie ein elektrischer Strom erschütterte es sie bei seiner ersten Berührung, und als sie darauf sein Handgelenk umspannte, da fragte sie nicht, ob noch Leben in ihm wohne, oder ob er dem wüthenden Elf nur entrissen wurde, um demnächst sein Grab in der Nachbarschaft der alten Borgundkirche zu finden. Sie hielt ihn, und das galt ihr als gleichbedeutend mit Rettung; sie fühlte seine Hand in der ihrigen und meinte, ihn allen Mächten des Himmels und der Erde abstreiten zu können.
Ihn mit der einen Hand über Wasser zu heben, fehlte ihr die Kraft, und so begann denn auf ihren Zuruf ein neues gewaltiges Ringen mit dem erzürnten Element, bis andere kräftige Arme sich ihr zugesellten und Knut behutsam nach dem Ufer hinaufgehoben wurde.
Regungslos lag er da. Eine herbeigebrachte Kienfackel beleuchtete ein Bild des Todes. Doch die Verzweiflung, welche sich Engelid’s bei diesem Anblick bemächtigte, erschütterte nicht die geisterhafte Ruhe, störte nicht die Umsicht, mit welcher sie selbst die Wiederbelebungsversuche leitete, indem sie zugleich das Blut forttrocknete, das einer schmalen Wunde auf Knut’s Stirn entströmte, und immer wieder die Hand auf sein Herz legte.
Endlich brach sie, wie bis zum Tode erschöpft, zusammen.
„Er lebt,“ flüsterte sie den neben ihr beschäftigten Männern
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_423.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)