Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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der Großmutter und der Mutter seine Aufwartung zu machen wünsche.
„Holt Eure Schleier!“ befahl die greise Frau den Sclavinnen.
Die Mädchen huschten in’s Haus und erschienen nach einigen Secunden verschleiert wieder.
Unterdessen hatte auch Nefiseh-Hanem eine blauseidene Hülle umgeworfen und sowohl den unteren Theil ihres schönen Antlitzes wie Haar und Stirn mit einem duftigen Schleier verhüllt, was ihren großen braunen Augen einen unsagbaren Zauber verlieh.
Nur Abd-er-Raschid’s Großmutter und seine Mutter blieben unverschleiert; denn der Muslime darf das Antlitz nur derjenigen Frauen sehen, welche er nicht heimführen darf oder die er bereits heimgeführt hat.
Da war er schon, der schöne Abd-er-Raschid. Wie stolz und männlich er einherschritt! Der Säbel klirrte an seiner Seite, und Kraft und Selbstbewußtsein strahlte aus seinen Augen. In der That, man sah ihm an, daß er edlem Geschlechte entstammte; das heiße Blut der Beduinenfürsten, das Blut seiner wüstenbeherrschenden Vorfahren, rollte in seinen Adern und lieh ihm ein königliches Ansehen.
Mit strahlenden Augen betrat er den Palmenhain und sich tief verneigend, führte er die Hand an Lippen und Stirn. Die beiden älteren Damen umarmten ihn herzlich, während Nefiseh die langen geschweiften Wimpern senkte und den üblichen Gruß vernehmen ließ:
„Lelteksaid – Dein Abend sei glücklich!“
Es wehte ein eigenthümlicher Hauch unterdrückter Zärtlichkeit in diesem „Dein Abend sei glücklich!“
„Und auch der Deine!“ flüsterte Abd-er-Raschid, ohne seine liebliche Muhme anzublicken.
„Wir sind im Begriff zum Teiche zu gehen; Du magst uns begleiten,“ sagte die Mutter in jenem befehlenden Tone, welchen Eltern im Orient ihren Kindern gegenüber anzuschlagen pflegen.
Großmutter und Mutter, Nefiseh und Abd-er-Raschid schritten paarweise voraus, die Schaar der Sclavinnen aber folgte schweigsam in einiger Entfernung.
Es war ein anmuthiges Bild, wie sie so dahinschritten zwischen blühenden Orangenbäumen. Der Wind strich leise durch die Wipfel hoher Pinien und wehte den Luftwandelnden die berauschenden Düfte der Orangenblüthen zu.
Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, doch goß der aufgegangene Vollmond, welcher gleich einer goldenen Riesenkugel über dem Horizonte stand, eine Fülle magischen Lichtes über die parkartigen Anlagen. Es war jenes eigenthümliche goldene Licht, das der Vollmond nur in Aegypten und nur in der Dämmerstunde ausstrahlt. Nichts regte sich rings umher, als die hin und wieder zusammenschauernden Bäume. Da hub plötzlich eine Nachtigall ihr verliebtes Klagelied an.
„Verstehst Du dieses Klagelied, Nefiseh?“ fragte der Jüngling, indem er seine schöne Begleiterin zärtlich ansah.
„Ja, ich verstehe es,“ hauchte sie leise, ohne aufzublicken.
„Und verstehst Du auch das meine?“ Er beugte sich zu ihr herab und senkte seinen Blick in den ihren. „Dringen die Töne meiner Laute bis zu Dir, wenn ich ihr Klänge der Klage entlocke, so wild oder auch so schmelzend weich, wie sie einst in den Melodien der Wüstengebieter erklangen, in den Melodien meiner beduinischen Vorfahren? O Nefiseh, diese Laute entströmen den tiefsten Tiefen meiner Seele.“
„Und sie ergießen sich in die meine,“ sagte sie mit bebender Stimme. „O Abd-er-Raschid, ich hatte einen so schönen Traum! Es trennten mich keine Haremsmauern, kein Schleier von Dir, doch man sagt, daß die Träume der Kummervollen und der Verliebten fruchtlos bleiben, wie ein dürrer Baum im Wüstensand.“
„Man erntet, was man säet,“ gab ihr der Jüngling mit Bitterkeit zurück. „Die Träume der Verliebten bleiben fruchtlos? Ach, Du wärest schon längst mein eigen, wenn Du mich liebtest, wenn Du nicht schwanktest zwischen ihm und mir, zwischen Vater und Sohn. O, es ist furchtbar für den Sohn, den Vater, den er ehren und lieben sollte –“
„Abd-er-Raschid,“ unterbrach sie ihn vorwurfsvoll, „ich ihn lieben? Ich darf ihn ja nicht lieben; denn der Koran – Du weißt es ja – verbietet dem Onkel seine Nichte zu freien – und ich lieb’ ihn auch nicht – wo denkst Du hin?“
Er lachte höhnisch.
„Als ob die Liebe nach Gesetz und Sitte fragte! Das Herz des Menschen folgt nicht unwandelbaren Gesetzen gleich den Sternen dort oben. Es wendet sich dorthin, wohin es sich gezogen fühlt. Mein Herz ist Dir zugeflogen, Nefiseh, das Deine aber flattert noch immer unstät umher.“
Sie schüttelte das liebliche Köpfchen.
„Er ist Dein Vater. Muß ich ihn nicht versöhnen?“
„Durch Betrug versöhnen, Nefiseh? Warum hast Du nicht den Muth, ihm, der, weil er Dein Onkel ist, ja doch nie Dein Gatte werden darf, das süße Wort zu sagen, das ich mit Entzücken so oft von Deinen Lippen vernahm, das Wort: ich liebe Abd-er-Raschid!? Ist’s nicht, weil Du weißt, daß dieses Wort sein Herz tödtlich verwunden würde? … und doch muß Einer von uns Beiden, der, den Du nicht liebst, diesen Todesstoß empfangen – er oder ich!“
In diesem Augenblicke fragte plötzlich eine rauhe Stimme vor ihnen: „Kommt Ihr endlich?“
Im Eifer der Rede hatte Abd-er-Raschid nicht bemerkt, daß sein Vater, der den Lustwandelnden schon lange auf Schleichwegen gefolgt war, ungesehen zu den beiden vorausgehenden Damen getreten war, und die Drei nun auf das langsam folgende Paar harrten.
„Kommt Ihr endlich?“ fragte der hohe stattliche Mann vor ihnen, indem er seinen schwarzen Schnurrbart strich, gedehnt und mit finster drohenden Brauen. Seine Falkenaugen schweiften forschend von seinem Sohne zu Nefiseh, von Nefiseh zu seinem Sohne, und die Hand auf seinen Säbelknauf stützend, trat der stolze Bey an Nefiseh’s linke Seite, während Abd-er-Raschid ihr zur Rechten blieb. Als so die Drei, schweigend und in sich gekehrt, die kurze Strecke bis zum Teiche zurücklegten, da war es, als schritte der lichte, rosige Mai zwischen dem blühenden Frühling, dem er von natur- und rechtswegen angehört, und dem kalten, neidischen Winter dahin, der so gern herrschen möchte, wo sein glücklicherer Nebenbuhler regiert.
„Befiehl dem Reitknecht, der beim unteren Gartenpförtchen meiner harrt, den Rappen in den Stall zu führen!“ herrschte der Vater den Sohn an, als sie am Teiche angelangt, und tiefsten Groll im Herzen, ging Abd-er-Raschid, den Auftrag des Vaters vollziehen.
Hohe marmorne Arcaden, deren Dach auf der inneren Seite von schlanken, gleichsam aus dem Wasser herauswachsenden Säulen getragen wurden, umschlossen in echt orientalischer Art den Teich im Garten Ibrahim’s, während die äußere Stütze aus einer dicken Mauer bestand, die sich an den vier Ecken ausbauchte, wodurch lauschige, nur von innen zugängliche, mit Oberlicht versehene Pavillons entstanden. Sowohl die Thüren, welche in diese mit morgenländischem Luxus ausgestatteten Räume führten, wie die Wandflächen und die Wölbung der den Teich umgebenden luftigen Arcaden, waren mit kunstvollen Arabesken ausgeschmückt. Marmorfliesen, spiegelglatt wie die Säulen, bekleideten den Boden, und an den vier Ecken des Prachtbaues streckten sich kleine Landzungen in anmuthig geschwungenen Linien in’s Wasser hinein, aus denen berauschend duftende Riesenblumen, von frischem Grün umgeben und sich in den lauen Lüften wiegend, dem azurnen Himmel entgegenwuchsen.
Neben einer dieser Halbinseln schaukelte sich ein zierlicher vergoldeter Kahn, der dazu bestimmt schien, die Frauen des Harems nach dem grünen Eiland hinüberzuführen, das sich dort, in der Mitte des Teiches, von einer einsamen Palme überragt, erhob. Dort, unter dem duftenden Jasmingebüsch, hat, wenn man der unter den Sclavinnen des Hauses lebenden Ueberlieferung Glauben schenken darf, vor Zeiten Ali Ibn Jussuf, der verweichlichte Sprosse eines berühmten Beduinenstammes, ein Ahne Ibrahim’s, auf schwellendem Pfühl sein Leben verträumt, während seine Odalisken ihm verlockende Tänze vorgaukelten oder in den klaren Fluthen ihre schönen Leiber badeten.
Dieses feenhaften Teiches und seiner verschwiegenen Pavillons mußte Abd-er-Raschid gedenken, als er sich im Auftrage seines Vaters auf dem Wege zum Gartenpförtchen befand – Nefiseh’s mußte er gedenken – seines Vaters – da flammte die Eifersucht heiß in ihm auf. Sein Haupt glühte; sein Puls fieberte – was sollte er beginnen? Ist die Pflicht kindlichen Gehorsams höher, heiliger als die süße Macht der Liebe, die er in allen Adern feurig schlagen fühlte? Noch hatte er das untere Gartenpförtchen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_302.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2023)