Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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mit der Poesie Goethe’s, Heine’s, W. Müller’s, Platen’s, Mosen’s und des ihm in seinem Wesen so nahe verwandten Uhland.
Longfellow war von keinem eigentlichen schöpferischen Genius beseelt; er war nicht wie das trutzige Genie darauf erpicht, völlig Neues zu schaffen; er setzte keinen Stolz darein, einsam und allein ausschließlich eigene Wege zu wandeln; er verfügte über keine originelle Erfindungskraft, aber die Gabe, sich an bereits Vorhandenes anzulehnen, war ihm in vollem Maße eigen; seine Dichtungen reißen nicht hin mit phänomenaler Urgewalt, aber sie erwärmen und ziehen an; sie fesseln durch ihre Innigkeit und ihren Schwung, durch den frischen Natursinn, der aus ihnen spricht, und die sanft geklärte Wehmuth, welche sie athmen.
Charakteristisch für Longfellow, den Idealisten, ist der Umstand, daß er gern rein ideale Gestalten, Christusmenschen, zu Helden seiner Dichtungen machte. Sein Bestes hat er wohl auf dem Gebiete der Lyrik geleistet, aber auch einzelne seiner Balladen und episch-dramatischen Dichtungen werden nicht vergessen werden.
Wie jedem bedeutenderen Poeten war auch Longfellow die Vorstellung von der Vergänglichkeit alles Irdischen allezeit geläufig, und er verlieh ihr bisweilen einen originellen und charakteristischen Ausdruck, so in dem eigenthümlichen, stimmungsvollen Gedichte „Die alte Uhr im Treppenhaus“[WS 1] mit dem einförmig-melancholischen, das Ticken der Uhr andeutenden Refrain:
„Immer – nimmer!
Nimmer – immer!“
Als eine Perle unter den Longfellow’schen Gedichten möchten wir aber den „Regentag“[WS 2] bezeichnen, ein tief empfundenes Lied, Welches in der Spielhagen’schen Uebersetzung folgendermaßen lautet:
„Der Tag ist kalt und trüb und traurig;
Es regnet, und der Wind weht schaurig;
Die Rebe hängt noch an der modernden Wand,
Doch die Blätter rascheln in’s weite Land,
Mein Leben ist kalt und trüb und traurig;
Es regnet, und der Wind weht schaurig;
Mein Herz hängt noch an der modernden Zeit,
Die hinter mir liegt, so weit, so weit –
Sei still, mein Herz, laß ab vom Klagen!
Die Sonne scheint, ob die Wolken auch jagen;
Dein Loos – es ist das Loos von Allen:
In jedes Leben muß Regen fallen,
Zu Longfellow’s mystisch-religiösen Dichtungen gehören die dramatischen Rhapsodien: „Die goldene Legende“, welche die Geschichte vom armen Heinrich behandelt und kürzlich von Elise von Hohenhausen trefflich übersetzt wurde, „Die Tragödien Neu-Englands“ und „Die göttliche Tragödie“, deren Held Christus ist. Einen mehr idyllischen Charakter hat dagegen die Erzählung „Kavanagh“ und das in Hexametern verfaßte Gedicht „Evangeline“, welches einen amerikanischen Stoff behandelt. Aber sein populärstes Werk ist ohne Zweifel der vielgerühmte „Sang von Hiawatha“, den Freiligrath der deutschen Literatur einverleibt hat. Der Erfolg dieser Dichtung erhellt deutlich aus der Thatsache, daß die Bostoner Originalausgabe derselben binnen einem halben Jahre dreißig Auflagen, jede tausend Exemplare stark, erlebte.
Der „Sang von Hiawatha“ behandelt auf Grund mehrerer, den Werken des gelehrten Schoolcraft’s entnommenen indianischen Sagen die Geschichte eines Messias der Rothhäute und darf mit einigem Rechte die „indianische Edda“ genannt werden; ohne Frage ist „Der Sang von Hiawatha“ das Originellste, was Longfellow geschaffen, und es läßt sich wohl begreifen, daß die Anglo-Amerikaner ihm begeistert entgegenjubelten. Für uns Deutsche jedoch hat die exotische Phantastik dieser Dichtung etwas Kaltes; der Reiz, den sie auf uns ausübt, ist lediglich der des Fremdartigen, und kein unbefangener Beurtheiler wird sich der Wahrheit verschließen können, daß unsere Romantiker uns mit rein phantastischen Dichtungen beschenkt haben, welche bei viel geringerer Popularität jene an Tiefe und Genialität weit übertreffen.
Longfellow ist neben William Cullen Bryant (vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1878, S. 541), dem ihm im Tode um einige Jahre vorangegangenen Lyriker und Journalisten, der Hauptvertreter der Kunstpoesie des englisch-amerikanischen Volkes, und als er neulich von seinen Landsleuten zu Grabe getragen wurde, haben sie auf’s Neue dargethan, daß Amerika seine geistigen Führer zu lieben und zu ehren weiß.
Zwischen Vater und Sohn.
Ein heißer ägyptischer Sommertag war endlich vorüber. Mit dem Untergang der Sonne hatte sich ein leiser Wind erhoben, der nun sanft, gleichsam liebkosend über die Wipfel der Palmen hinstrich. Säuselnd bewegten sie ihre Zweige und neigten ihre Kronen gegen einander, als hätten sie sich Geheimnisse, süße, zart gewobene Geheimnisse anzuvertrauen.
Unter diesen hohen Palmen, welche das reizende, von üppigen Gartenanlagen eingeschlossene Landhaus Ibrahim Bey’s, unweit Kairos, umgaben, lustwandelte eine Schaar unverschleierter, in weiße, duftige Gewänder gekleideter Sclavinnen, die soeben in’s Freie getreten waren, um sich in der kühlen Abendluft von der erschlaffenden Hitze des Tages zu erholen.
Auch sie – so schien es – trugen Geheimnisse, denn so oft ihre drei Herrinnen, die greise, erhabene Mutter, die wohlbeleibte Gattin und die elfenartig schöne junge Nichte Ibrahim Bey’s, welche in ihren edelsteingeschmückten weißen Battistgewändern etwas abseits auf und nieder gingen, ihren Sclavinnen den Rücken wandten – ebenso oft neigten diese ihre Köpfe gegen einander und flüsterten sich heimliche Reden zu. Sobald aber die Herrinnen ihr Gesicht den Frauen wieder zukehrten, richteten sich diese flugs in die Höhe und standen vorschriftsmäßig in gerader Haltung mit verschränkten Händen regungslos da. Aber es war wie ein Zauber: ihre Augen ruhten immer und immer mit unverkennbarer Bewunderung, wenn auch sehr vorschriftswidrig auf der Gestalt ihrer jüngsten Herrin. Die Schönheit ist eben eine Macht, der niemand widersteht. Wie die Blumen zum leuchtenden Tagesgestirn, so richten sich alle Augen auf sie, wo sie immer erscheint.
„Wie anmuthig ist die Bewegung, mit der Nefiseh-Hanem die langen schwarzen Flechten über die Schultern zurückwirft!“ raunte eine junge Sclavin ihrer Nachbarin in’s Ohr.
„Ibrahim Bey hat Recht, wenn er sagt, sie sei so schön, wie die verführerische Rhodopis,[1] welche, auf der Pyramidenspitze thronend, den Wüstenwanderer in’s Verderben lockt,“ sagte eine andere Sclavin.
„Weißt Du, man sieht es ihr nicht an, daß sie die Gattin eines Greises gewesen,“ meinte wieder eine Andere.
„O, er sah ihre Pantöffelchen öfter als ihre kleinen Füße,“ flüsterte erröthend die Leibsclavin Nefiseh’s.
„Das glaube ich Dir nicht,“ erwiderte ein geschwätziger Mund, „der alte Herr soll sie gar sehr gequält haben.“
„Jawohl,“ flüsterte die Andere zurück. „Dafür hat sie ihm aber den Einlaß verwehrt, indem sie ihre hübschen Schuhe vor die Thür stellte.“
Alle verstummten; denn die Herrinnen näherten sich ihnen von Neuem. Sobald diese sich jedoch wieder gewendet, wurde die Conversation in gedämpftem Tone fortgeführt:
„Was für schöne Augen sie hat!“
„Ob es wohl ihre Augen sind, welche Abd-er-Raschid allnächtlich lobpreist?“
„Unser junger Geliebter singt jetzt oft zur Laute.“
„Ja, ich höre es fast allabendlich.“
„Ich auch.“
„Und ebenso ich.“
Das Geflüster wurde durch einen Neger-Eunuchen unterbrochen, der so plötzlich zwischen die Frauen trat, daß sie kreischend aus einander stoben. Er brummte nach Art der Haremswächter unverständliche Worte vor sich hin und trat dann ehrfurchtsvoll zu seinen Herrinnen. Die Hand am den rothen Tarbusch führend, meldete der Schwarze mit breitem Grinsen, daß der junge Bey
- ↑ Aegyptische Lorelei.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ im Original: en:The Old Clock on the Stairs
- ↑ im Original: en:The Rainy Day
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_300.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2023)