Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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„Nein, in den wilden Jäger,“ sagte Dora jetzt. „Dann mußt Du, statt eine reizende Oberförsterin im Spessart zu bekommen, auf einem klapperdürren Gaule hinter einer großen Eule her Nachts über die weiten dunklen Wälder da fahren und immer hoho! brüllen und mit der Peitsche knallen.“
„Wie schauerlich! Du könntest mir Angst machen vor Deiner Oberförsterei im Spessart.“
„In der bist Du sicher. In der ist es ganz reizend. – Tannen stehen umher, wie Ihr sie hier gar nicht kennt, so groß und schön, und ein prächtiger Wildbach kommt hinter dem Hause aus den Bergen geschäumt und füllt einen schönen und weiten Teich –“
„Mit dicken alten Karpfen darin, welche Deine Tante jeden Morgen füttert – ich weiß, Dora – ich kenne ja die ganze Oberförsterei auswendig – wenn ich nur das Schicksal, welches mich dort erwartet, ebenso gut auswendig kennte!“
Edwin sagte dies leiser, wie mit einer Anwandelung tieferen Ernstes.
„Das Schicksal, welches Dich dort erwartet?“ versetzte Dora aus ihrer „Pose“ fallend und vorgebeugt das Kinn auf den aufgestemmten Arm stützend – „habe ich Dir denn das nicht auch gesagt?“
„Du hast mir Alles gesagt: der Oberförster, der Mann Deiner Tante, braucht einen Gehülfen, einen Vertreter, einen jüngeren Mann, der ihm die viele Arbeit tragen hilft – die freiherrlich Ramsfeld’schen Waldungen müssen eben sehr, sehr ausgedehnt sein –“
„Sagst Du das spöttisch? Sie sind auch ausgedehnt – ganz furchtbar. Leider gehört nur uns nichts mehr davon, sondern den Vettern Alles. Aber das thut nichts. Wir werden ja bald wieder reich genug sein. Wenn der alte Onkel hier stirbt, was ja nicht lange mehr währen kann, erben wir die Hälfte von Dortenbach, der Damian und ich; es wird gleich verkauft und dann …“
„Verkauft – zersplittert – die Wälder niedergehauen! Es ist eigentlich ein Jammer,“ unterbrach Edwin sie nachdenklich.
„Was willst Du – was könnten wir sonst damit beginnen? Und also – Du gehst, statt in die Stadt, wohin sie Dich senden wollen, das Examen zu machen, mit einem Briefe von mir zu meiner Tante. Du bleibst bei ihnen als Stellvertreter des Oberförsters – dazu brauchst Du das abscheuliche Examen nicht, durch das Du ja doch glänzend durchfallen würdest, Du dummer Edwin – und dann, wenn wir heimkommen, bin ich ganz schrecklich reich und wir heirathen uns.“
Edwin nickte dazu und wiederholte: „Ja, wir heirathen uns.“ Vielleicht that er es nicht mit einem Ton des Entzückens, der Dora befriedigte; denn diese beugte sich setzt ganz vor, faßte mit beiden Händen in sein dichtes dunkles, leicht sich kräuselndes Haar und zauste ihn ganz fürchterlich dabei.
Edwin wehrte sie ab und band dann ruhig seinen Strauß fest, während er nachdenklich sagte:
„Wenn ich nur am Ende nicht der Klügere bin mit meiner Sorge, daß die Tante und der Onkel Oberförster nicht damit einverstanden sind und nicht thun, was Du willst!“
„Oho,“ rief Dora, indem sie ihm den Strauß aus der Hand nahm, „die Tante ist meine Pathe; die Tante betrachtet mich wie ihr Kind; die Tante hat längst gewollt, die Mutter soll mich ganz zu ihr gehen lassen – der Umgang mit dem Damian verderbe mich nur, sagt die Tante, und was ich will, das thut sie, schon um die Mutter zu ärgern – denn die Mutter und die Tante, mußt Du wissen, Du dummer Edwin, haben einen recht herzlichen Haß wider einander …“
Regine hatte, halb widerwillig, soweit gehört; sie fand nicht nöthig, sich durch weiteres Lauschen in diese angenehmen Familienbeziehungen einweihen zu lassen – unhörbar trat sie zurück und schritt betroffen über das, was sie vernommen, in den Wald hinein. Sie kannte Edwin, den sie ein- oder zweimal im Laufe dieser Tage flüchtig gesehen, zu wenig, um anders als indirect an ihm, als dem Bruder Leonhard’s, Theil zu nehmen, aber Dora, welche ja zur „Sippe“ gehörte, forderte ihr strengstes Urtheil heraus, und dies lautete: Welch unerhörter Leichtsinn von dem ruchlosen jungen Mädchen, das doch kein Kind mehr ist, so den jungen Mann aus seiner Laufbahn heraus und in ein unsäglich einfältiges Abenteuer zu locken! Man wird ihn in der gepriesenen Oberförsterei natürlich heimsenden, und er wird verwildert, erbittert und weniger als je im Stande, seine Gedanken auf seine Studien zu richten, wieder im Vaterhause anlangen, nachdem er seinen Eltern Sorge, Kummer und Angst bereitet.
Hatte sie nicht die Pflicht, die Eltern zu warnen? Die Frau Försterin, welche sie ein paarmal besucht, war eine so würdige, gutmüthige Frau, die ihr mit warmem Wohlwollen, mit ihrer ganzen Herzensoffenheit entgegen gekommen – die arme Frau mußte vor dem Kummer bewahrt werden, welchen die Verschwörung der beiden jungen Leute über sie zu bringen drohte.
Regine schlug direct den Weg zur Försterei ein; sie that es mit einer eigenthümlichen Hast und etwas wie einer Herzenserleichterung bei dem Gedanken, daß es offenbar eine heilige Freundschaftspflicht sei, welche sie auf diesen Weg zwinge – an dessen Ende sie sicherlich Leonhard begegnen mußte. Sie mußte annehmen, daß er jetzt bei seinen Eltern sei, und dann – sie fühlte doch, daß sie zu scharf, zu leidenschaftlich, zu hart gegen ihn gewesen! Vielleicht auch zu rasch in ihrem Argwohn – es war ja möglich, daß er sich rechtfertigte, sie beschämte – und mit einem hoffenden Verlangen nach dieser Rechtfertigung, mit einem stillen sich Sehnen nach der eigenen Beschämung eilte sie durch die Waldalleen.
Als sie die Försterei erreichte, trat ihr die Försterin lächelnd und freundlich, aber auch mit einem besorgten Blick, in der Thür entgegen.
„Mein liebes Fräulein Bertram,“ sagte sie, „ich sah Sie so eilig dahergeschritten kommen – und Ihr schönes liebes Gesicht ist mit solcher Gluth übergossen – es hat sich doch nichts Schlimmes ereignet – kein Unglück?“
„Gottlob, nein – doch habe ich Ihnen etwas mitzutheilen – sind Sie allein, Frau Klingholt?“
„Ganz allein – der Vater ist zu Holz, und mein Sohn Edwin läßt sich wieder einmal seit Stunden nicht blicken – Leonhard ist mit seinen Büchern in’s Freie gegangen …“
Reginens rosige Gluth wechselte mit einer flüchtigen Blässe, als sie hörte, daß Leonhard nicht da sei. Sie folgte der Försterin in das Wohnzimmer mit den schneeweiß „geschrubbten“ Dielen, wo jene sie auf das Kanapee niederzog und sich neben sie setzte.
„Sie haben mir etwas mitzutheilen, Fräulein Bertram? Wen betrifft es, Leonhard oder unsern guten alten Herrn, dessen Schutzengel Sie geworden sind, Sie Liebe, Gute, der wir Alle so viel Dank schuldig –?“
Regine schnitt diese Reden ab, indem sie hastig sagte:
„Es betrifft Ihren Sohn Edwin, Frau Försterin – ich bin durch den Zufall und ganz ohne es zu wollen, in einen Plan eingeweiht worden, den Edwin und Dora von Ramsfeld zusammen entworfen haben.“
„Grundgütiger Gott – die unsinnigen Kinder!“ rief die Försterin erschrocken, „sie lassen also die dumme Liebesgeschichte nicht – mein Sohn Leonhard hat mich zuerst davon unterrichtet, und ich habe ein Strafgericht über meinen wilden, unbesonnenen Jungen gehalten –“
„Das doch nichts gefruchtet haben muß,“ fiel Regine ein, und dann erzählte sie der guten Frau Alles, was sie vernommen.
Die Försterin hörte ihr erschrocken zu.
„Das ist schrecklich,“ sagte sie tief erblaßt; „da muß etwas geschehen, etwas Energisches, Entscheidendes, das den leichtsinnigen Kindern solche Dinge austreibt … O mein Gott – soll hier auf Dortenbach denn noch einmal solch eine Tragödie spielen, wie damals, vor vielen Jahren, als sich ein ganz vermögensloser junger Arzt in das arme Fräulein Sabine verliebt hatte?! Es war solch ein bürgerlicher Mensch, der noch nichts besaß, ganz wie heute Edwin. Und sie, das Freifräulein! Der Himmel behüte uns davor, vor ähnlichen Dingen, wie sie dazumal geschehen sind – Sie haben sicherlich nie davon gehört, Fräulein Bertram – aber die Dortenbach’s sind immer leidenschaftliche Leute gewesen, und was sie wollen, das wollen sie, und der Vater, der ältere Bruder, die Mutter, die Schwester, das hat Alles sich wider die arme Sabine mit der Dortenbach’schen Leidenschaft ausgetobt –“
„Am Ende,“ sagte Regine, gepeinigt von dieser Erzählung, „am Ende hat doch Fräulein Sabinens Willen sich als ebenso – Dortenbachisch erwiesen –“
„Gewiß,“ fiel die Försterin ein, indem Regine sich erhob, „sie ist ihrem jungen Doctor – es war ja auch ein lieber guter
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_291.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)