Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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und dann ein mächtiger, dunkler Körper, der aus dem Dickicht heraus und in furchtbarem Satz dem armen Geschöpf an die Kehle sprang. Ich hörte den gurgelnden Todesschrei des gefällten Opfers, hörte das Krachen der zermalmten Knochen gleichzeitig mit dem winselnden Geheul des Tigers, und im Nu lag meine Büchse an der Backe und donnerte mein Schuß durch die Nacht.
Die getroffene Bestie stieß ein furchtbares Gebrüll aus, ließ ihre Beute fahren und schnellte rachedürstend nach unserer Richtung hin. Im Sprunge aber brach sie zusammen und kroch nun unter markerschütterndem Wuth- und Schmerzensgeheul bis unmittelbar unter die Zweige meines Baumes. Hier hob sie sich krampfhaft auf die Vordertatzen und starrte mit weit aufgerissenem Rachen und glühenden Augen zu uns empor.
Um die Qualen des Thieres durch einen gut gezielten Schuß zu enden, legte ich abermals an, beugte mich weit über den Rand der Kanzel hinaus und – verlor plötzlich das Gleichgewicht. Die Waffe entfiel meinen Händen und, jäh herniederstürzend, konnte ich nur noch in instinctivem Erhaltungstrieb einen Ast ergreifen und mich an ihm anklammern.
„Und da hing ich und war’s mir mit Grausen bewußt“[WS 1] – daß meine Füße sich nämlich fast schon im Bereiche des wüthenden Ungethüms, dessen heißer Athem zu mir empordampfte, befanden und daß der Ast, der mich hielt, mehr und mehr nachzugeben begann und binnen Kurzem zu brechen drohte. Wie lange ich in dieser Situation zwischen Himmel und Höllenrachen geschwebt, vermag ich nicht anzugeben; vermuthlich nur Minuten – mir kamen sie wie ebenso viele Stunden vor, und nur wie im Traume hörte ich endlich Sam’s Ruf: „Kann nicht schießen! Füße hoch!“
Mechanisch zog ich die Beine an mich, laut krachte der Ast bei der Bewegung und tiefer und tiefer bog er sich; ich befahl meine Seele Gott – da – ein Schuß – ein zweiter – und dann – dann knackte es und brach es über mir und unter mir und ich stürzte herab – nun lag ich unmittelbar neben dem Körper des verendenden Thieres.
Meine braven Gefährten waren sofort von ihren Bäumen und an meiner Seite, bereit, mich vor den etwa noch zuckenden Klauen und Krallen des Ungeheuers zu schützen, hatten aber nur nöthig, mir wieder auf die Beine zu helfen, auf die ich mich zwar etwas betäubt, aber – dem Höchsten Dank! – ganz wohlbehalten erheben konnte. Der Rest der Nacht verlief ohne fernere Abenteuer, und mit Morgengrauen kehrten wir, nachdem wir Sam in den Alleinbesitz der verdienten Prämie gesetzt und außerdem noch reichlich belohnt hatten, heim, todtmüde zwar, aber sehr befriedigt, und ich außerdem noch im Besitz des prachtvollen Tigerfells.
Unser Aufenthalt in Singapore ging nunmehr seinem Ende zu, nicht aber, ohne mir zuvor einen zweiten Lieblingswunsch zu erfüllen. Ich sollte noch einen indischen Fürsten kennen lernen und zwar in seinem eigenen Heim. Der Maharajah von Johore nämlich, der Regent des auf Malakka gelegenen Landes gleichen Namens, hatte große Besitzungen auf Singapore und ganz in der Nähe der Stadt seinen Lieblingswohnsitz; unser Commandant, der ihm seinen officiellen Besuch angesagt, forderte uns auf, ihn zum Fürsten zu begleiten.
In mehrere Wagen vertheilt, machten wir uns auf den Weg. Die Hitze war groß, das Aechzen und Stöhnen darüber aber noch größer; ich allein lamentirte nicht mit, da meine Gedanken viel zu angenehm beschäftigt waren, als daß sie die Nichtigkeiten dieser Erde gewahr geworden wären. Mächtiger, schaffender Brahma! Erhaltender Wischnu! Wie arbeitete meine Phantasie! Welche zauberhafte Gebilde aus „Tausend und einer Nacht“ stiegen vor ihr auf und umgaben die Person des indischen Rajah mit märchenhafter Pracht und Herrlichkeit! Aber – o gütiger, zerstörender Siwa! – wie sollten meine Luftschlösser zusammen- und ich aus allen meinen Himmeln stürzen, als wir vor der indischen Residenz einem großen, mit luftigen Veranden umgebenen Gebäude, anlangten und an seiner Schwelle von einem überaus wohlbeleibten, braunen Menschen empfangen wurden; Turban, bloße Füße, europäisch geschnittene Kattunjacke nebst eben solchen Beinkleidern – das war seine sehr primitive Toilette, und diese Erscheinung entpuppte sich als – der Erbprinz von Johore.
Der Anblick des Maharajah selber aber sollte mich fast noch mehr ernüchtern. Inmitten eines sehr bunt eingerichteten Salons stand ein erstaunlich dicker alter Herr mit gutmüthigem, aber entsetzlich nichtssagendem Gesicht, enorm breitem Munde und fast verquollenen Augen. Gekleidet war er in eine gelbe Nankingjacke, weite weiße Hosen und weiße Weste; um die unförmigen Hüften schlang sich ein bunter Shawl, in dem der Kriß (Dolch) stak, und um den Kopf ein schlafmützenartiger Turban, während die Füße mit Sandalen geschmückt, sonst aber nackt waren. Prüfte man aber diese Toilette Seiner indischen Hoheit näher, dann fand man allerdings, daß der Glanz an ihr nicht gänzlich fehlte, wenn er auch nur da zu finden war, wo man ihn nicht erwartete. Die unförmig großen Knöpfe an der Jacke stellten sich nämlich als massiv goldene heraus und zeigten in ihrer Mitte je einen Brillant von gewiß sehr beträchtlichem Werthe. Aehnlich reich und kostbar waren auch die Sandalen verziert, und zahlreiche funkelnde Ringe schmückten außerdem noch Finger und – Zehen des hohen Herrn. Wir fanden ihn umgeben von seinen vielen Söhnen, unter denen sich ein paar bildschöne Menschen befanden; leider trugen auch sie schon die Spuren eines Embonpoints an sich, in dessen unförmiger Entartung die Formen ihres Vaters und der Aeltesten unter ihnen sich bereits aufgelöst hatten.
Nach einer längeren Unterhaltung, die, wie alle derartigen officiellen, durch den Dolmetscher vermittelten Gespräche, nicht gerade durch sprühenden Geist sich auszeichnete, führte uns der Rajah zu seiner Waffensammlung, und hier konnte sich das Auge von aller bisher geschauten Geschmacklosigkeit erholen. Selten sah ich schönere Arbeit und zierlichere Ausführung als an jenen dort bewahrten Prachtstücken. Die Griffe der zahllosen Dolche und Lanzen wiesen kostbare Fassungen von rothem Gold und verschwenderisch verstreuten edlen Steinen auf; die Klingen waren haarscharf und von vorzüglicher Güte. Daß die meisten dieser schönen Waffen, die alle in seltsam geformten Holzfutteralen steckten, vergiftet waren, dieser Umstand konnte uns nicht sonderlich in unserer Bewunderung stören, und nur ungern rissen wir uns endlich von ihrem Anblick los, um der Aufforderung zu einem süperben, nur leider wieder ganz europäischen Frühstück Folge zu leisten und darnach, uns von dem Rajah verabschiedend, die Rückfahrt anzutreten.
Seit jenen Jahren sind unser hoher Wirth und sein Erbprinz zu ihren Vätern versammelt worden. Bei meiner letzten Anwesenheit in Singapore trat mir in dem damaligen Maharajah eine völlig fremde Persönlichkeit entgegen. „Sir Abu Bakar“ unterscheidet sich aber von seinen vorerwähnten, erlauchten Verwandten auf das Vortheilhafteste. Gekleidet in eine etwas phantastische, aber nicht geschmacklose Mischung von reicher, gold- und juwelengestickter englischer Uniform und landesüblichem Sarong (Lendentuch) ist er eine stattliche, sympathische Erscheinung, dabei sehr wohlunterrichtet und ein vortrefflicher Gesellschafter; er redet geläufig englisch und entspricht jedenfalls sehr viel mehr meinen Vorstellungen von einem indischen Großen als sein weiland Herr Papa.
Als wir von unserm Besuch heimkehrten, erwartete uns der Befehl, sofort aufzubrechen und nach China zu gehen, und schleunigst mußten wir dem schönen Singapore mithin Valet sagen.
Wohin nun aber Ihre Segelordre, hochmögende Frau, meine demnächstige Tinten- und Federexcursion dirigiren wird, das erwarte ich mit Spannung und in erneuter Angelobung des schuldigen Gehorsams als Ihr allzeit ergebener
Ein einsam Leben und ein einsam Sterben – das ist oft die kurze, tiefernste Geschichte eines Alten-Junggesellenlebens. Um das offene Grab steht eine kleine Gilde theilnehmender Freunde; die letzte Erdscholle rollt auf den dürftigen Sarg, und der darunter schläft, ist vergessen – – vielleicht auch nicht; vielleicht hat einer seiner Lebensgenossen ihm tiefer in das einsame Herz geschaut und den Schatz erkannt, an welchem Tausende gleichgültig vorübergegangen.
Ja, es war ein reicher Schatz warmherzigen Empfindens
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Zitat aus dem Gedicht Der Taucher von Friedrich Schiller
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_267.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)