Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
|
als von den Regeln, nach denen die Vögel in der irdischen Luft kreisen.
Erst vor einem Jahrhundert ist, dank einer überraschenden Erfindung, in den bisherigen Anschauungen über die Flugtechnik eine radicale Wandlung eingetreten. Die Gebrüder Montgolfier, Papierfabrikanten zu Annonay, trugen sich mit der Absicht, künstliche Wolken herzustellen, und füllten zu diesem Zweck im November 1782 einen hohlen Papierballon mit erwärmter Luft, welcher zu ihrer Freude sofort in die Höhe stieg. Am 19. September 1783 führten sie vor dem französischen Hofe und einer großen Volksmenge einen zweiten gelungenen Versuch aus und begründeten hierdurch eine neue Aera der Luftschifffahrt. Das Princip, auf welchem die Montgolfière beruht, war auch zu damaliger Zeit nicht neu. Das Naturgesetz, daß Gegenstände, welche leichter sind als die Luft, unbedingt in die Höhe steigen müssen, war den Naturforschern ebenso gut bekannt, wie dasselbe Gesetz, kraft dessen ein auf den Boden eines mit Wasser gefüllten Gefäßes hinabgedrücktes Holzstück sofort auf die Oberfläche desselben hinaufgetrieben wird, sobald man es losläßt. Es fehlte auch nicht in früherer Zeit an Vorschlägen, derartige Luftschiffe zu bauen, und wir erwähnen nur, daß im Jahre 1775 der Dominikanerbruder Galien zu Avignon die Absicht hegte, einen großen aus leichtem Holz gezimmerten Kasten mit der leichten Luft höherer atmosphärischer Schichten zu füllen und ihn dann zum Transport ganzer Armeen zu verwenden. – Noch im Jahre 1783 wurde die Erfindung der Gebrüder Montgolfier durch den Physiker Charles übertroffen, der einen kugelförmigen Ballon aus luftdicht präparirtem Seidentaffet baute, ihn mit leichtem Gase füllte und durch das noch heute gebräuchliche Netzwerk an demselben eine Gondel befestigte.
Die Geschichte des Luftballons ist jedoch so allgemein bekannt, daß wir hier auf dieselbe ausführlicher nicht einzugehen brauchen. Man überzeugte sich bald, daß der Luftballon wohl steigen und sinken könne, aber gänzlich unlenkbar sei und als ein Spiel der Winde im vollsten Sinne des Wortes von dem leisesten Windhauche fortgerissen werde. Man benutzte ihn zwar zur wissenschaftlichen Erforschung höherer Luftschichten oder führte ihn an Festtagen u. dergl. als ein Schaustück der Volksmenge vor, aber seine Bedeutung war in den Augen ernster Forscher immer mehr gesunken, bis man seine Erfindung durch lange Jahre sogar als einen Rückschritt in den Bestrebungen der Luftschifffahrt betrachtete.
Unter solchen Umständen entstanden neue Projecte, deren Schöpfer weder den Flug der Vögel nachahmten noch den Luftballon in den Kreis ihrer Berechnungen zogen, sondern nach physikalischen Gesetzen eine Maschine zu construiren suchten, die, durch menschliche oder maschinelle Kraft in Bewegung gesetzt, sich selbst heben und in der Luft fortbewegen würde. Diese moderne Schule der Flugkunst spaltete sich bald in zwei Richtungen: die Anhänger der einen empfahlen die Benutzung starrer geneigter Ebenen, die, in gerader Linie vorwärts bewegt, das Aufsteigen des Luftschiffes bewirken sollten; die Anhänger der andern dagegen suchten das für die Bewegung im Wasser mit großem Erfolg angewendete Princip der Schraube auch für die Luftschifffahrt zu verwenden.
Eine Flugmaschine, die durch Vorwärtsbewegung geneigter Ebenen in die Höhe steigt, ist jedem Kinde bekannt; wir sehen sie an klaren Herbsttagen am Himmel an langen Schnuren flattern, als vom Winde getragene Papierdrachen. Während der Kopf des Papierdrachens mit einer bestimmten Geschwindigkeit und unter einem gewissen Winkel durch die Luft fährt, wird dieselbe zusammengedrückt und verhindert durch den Gegendruck das Niederfallen des Spielzeugs. Dieser Gegendruck wird am leichtesten erzeugt, wenn wir den Drachen gegen den Wind bewegen, und dadurch erklärt sich die Manchem so sonderbar erscheinende Thatsache, warum der Papierdrache stets gegen den Wind aufsteigt; freilich kann er auch in der Windrichtung gehoben werden, aber dann müßte seine eigene Geschwindigkeit die des Windes übertreffen.
Das Project der ersten nach diesem Princip construirten Maschine wurde 1843 von Henson veröffentlicht. Sein Aërostat, welchen wir unseren Lesern in Bild vorführen (S. 217), wurde von der Spitze einer schiefen Ebene losgelassen und erhielt, auf derselben herunterrollend, genügende Geschwindigkeit, um sich eine Zeitlang in der Luft zu erhalten. In Folge der Reibung gegen die Luft hätte jedoch diese Geschwindigkeit bald so gering werden müssen, daß ein Sinken der Maschine unvermeidlich geworden wäre, und um dies zu vermeiden, brachte Henson an derselben noch einen kleinen Dampfmotor an, welcher zwei Schraubenflügel trieb, durch die der Flugapparat weiter vorwärts bewegt würde; hierdurch sollte der Verlust der Geschwindigkeit wieder ausgeglichen werden. Ein Zeitgenosse Henson’s giebt uns im „Journal of Arts and Science“ folgende Beschreibung dieses Modells:
„Der Apparat besteht aus einem Kasten, welcher die Waaren, Passagiere, Maschinen, Feuerung etc. enthält, und mit diesem ist ein rechtwinkliges Gerüst aus Holz oder Bambusrohr verbunden, das mit Persenning oder geöltem Seidenzeug überzogen ist. Dieses Gerüst erstreckt sich zu beiden Seiten des Kastens, ähnlich wie die ausgebreiteten Flügel eines Vogels, jedoch mit dem Unterschiede, daß das Gerüst unbeweglich ist. Hinter den Flügeln sind zwei senkrechte Fächerräder angebracht mit schrägen Flügeln, welche den Apparat durch die Luft forttreiben sollen. Die runden regenbogenfarbigen Räder sind die Schrauben, welche ganz der Schraube eines Dampfschiffes entsprechen und auf die Luft nach Art einer Windmühle wirken. An einer Achse am Hinterende des Kastens ist ein dreieckiges Gerüst angebracht, das wie ein Vogelschwanz aussieht und gleichfalls mit Persenning oder geöltem Seidenzeug überzogen ist. Dies kann nach Belieben ausgebreitet und zusammengezogen werden und wird auf und nieder bewegt, um die Maschine steigen oder sinken zu lassen. Unter dem Schwanze befindet sich ein Ruder, um den Lauf der Maschine nach rechts oder links zu lenken, und um die Steuerung noch zu erleichtern, ist endlich ein Segel zwischen zwei von dem Kasten aufsteigenden Masten ausgespannt. Die Menge Persenning oder geöltes Seidenzeug, welche erforderlich ist, um die Maschine flott zu erhalten,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_216.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2023)