Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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„Siehst Du, was Du klug bist, Frieding! Du mußt nun wohl bald zum Herrn Mederow in die Schule gehen. Wenn Du wieder zu mir auf den Hof kommst, sollst Du was Neues lernen. Wo hast Du denn Lütt-Jehann heute gelassen?“
„Da,“ sagte die Kleine, nachdem sie den Finger aus dem Munde genommen, und deutete zu einem dürftigen kleinen, vielleicht anderthalbjährigen Geschöpf hinüber, welches auf dem Bauche im Grase lag und das junge Mädchen aus großen Augen wie ein Meerwunder anstarrte.
Die nicht allzu schlanke, blühende und doch unbewußt vornehme Gestalt glitt mit einer weichen Bewegung nieder, um den ziemlich schmutzigen Lütt-Jehann auf die andere Seite zu drehen, worauf sie ihn nach einer weiteren Anstrengung glücklich zum Sitzen brachte.
„Wie der Junge gewachsen ist!“ rief sie mit naivem Staunen. „Wie kann so ’n kleiner Kerl in ein paar Monaten so wachsen! Aber ein kleines Ferkel bist Du, mein süßes Pathchen, und ich wollte Dich wohl gern abwaschen, wenn ich nicht vorher wüßte, daß Du fünf Minuten nachher gerade wieder so aussehen würdest, wie jetzt. Na, Adschüs, Frieding, und laß Deinen Bruder nicht in’s Wasser fallen, und ihr Kropzeug: werft mir die Enten nicht todt, sonst fliegen sie in den Himmel und verklagen Euch beim lieben Gott.“
„Adschüs, Frölen Anne-Marie!“ scholl es hinter ihr drein, immer vollstimmiger, immer lauter und lustiger, und gleich drauf patschten wieder ein paar Erdklumpen in das hoch aufspritzende Wasser.
Die junge Dame schritt lächelnd den Weg zwischen den Häuschen des Dorfes hin. Die niedrigen Hütten, strohgedeckt, zum Theil sichtlich sehr alt, gehörten sämmtlich zum Gute und wurden von dessen Arbeitern bewohnt: das war für jeden aufmerksamen Beobachter außer Zweifel, der ähnliche Gutsdörfer in der Gegend einmal studirt. Zwischen Fachwerk und Lehm, mit mehr oder weniger sauberem Anstrich, überall dieselben niedrigen Fenster, grüne, halbblinde Butzenscheiben, dahinter wohl die rothe Blüthe von Geranium oder die lichtere von Nelken. Nur die Schmiede, zugleich Stellmacherei oder Radmacherei, wie man hier sagt, und Tischlerei, zeichnete sich durch ihre aparte Form aus: zum Hause kam noch die angebaute Werkstatt mit dem überdeckten Schuppen daneben und einem Unterstandsdache vor der halben Front.
In der Thür der Werkstatt stand eine Frau; sonst war die Dorfstraße wie ausgestorben: es war Herbstbestellung draußen, dazu der Anfang der Grummetmahd. Die Frau hatte ein rothes geblümtes Kopftuch übergebunden, und ihre Kleidung war die einer einfachen Städterin. Sie sprach noch ein paar Worte in den Raum hinein, aus welchem der knirschende Ton des Hobels drang, wandte sich dann herum und kam lebhaft die niedrige Böschung heruntergesprungen, als sie die junge Dame gewahrte.
„Guten Tag auch, gnädiges Fräulein; ich wollte eben einen Gang zu Ihnen thun; nun kann ich’s wohl gleich unterwegs abmachen.“
Sie reichte der Ankommenden vertraulich die Hand; war sie doch mit ihr als Pflegerin der Zwölfjährigen nach Pelchow gekommen und in dieser Stellung verblieben, bis sie den Radmacher, das Gutsfactotum, geheirathet hatte, und bei Lütt-Jehann, ihrem Jüngsten, hatte Anne-Marie von Lebzow Gevatter gestanden.
„Habt Ihr etwas auf dem Herzen, Radmacherin?“ fragte die junge Dame. „Ich will ein Bischen in’s Holz hinauf gehen, und Ihr könnt mich ja ein Stück begleiten; da wollen wir’s besprechen. – Ah, guten Tag, Herr Mederow!“
Aus dem schmalen Wege, der hinter der Schmiede herum führte, stieß eine dritte Person zu der Gruppe, eine lange, schmächtige Figur in ziemlich abgeschabtem schwarzem Anzuge, welche eilfertig einen ungewöhnlich hohen alten Cylinderhut vom Kopfe riß und sich ein paarmal so tief verbeugte, daß die langen Arme fast bis zum Erdboden reichten.
„Ich erlaube mir, das gnädige Fräulein devotest zu fragen,“ stotterte der Schullehrer, „ob Dero Herr Onkel zu Hause sind?“
„Ich bedaure, mein lieber Herr Mederow, er ist seit gestern in Branitz auf der Jagd und wird frühestens diesen Abend zurückkommen. Wünschen Sie etwas von ihm?“
„Ich möchte wohl so kühn sein. Der Herr Baron haben die Gnade gehabt, mir zu versprechen, daß der Schweinebehälter hinter dem Schulgebäude neu aufgemauert werden sollte; das ist nun schon ein Jahr her, und mittlerweile ist das Behältniß von Tage zu Tage schadhafter geworden, bis vorhin auch die zweite Wand und mit ihr die Bedachung dem ungestümen Drängen der Vierfüßler erlegen und eingestürzt ist. Wie durch eine besondere Gnade ist dem Vieh kein Schade weiter geschehen, nur daß dasselbe anjetzt obdachlos ist. So wollte ich denn unterthänigst anfragen, ob ich hoffen dürfte –“
„Mein guter Herr Mederow,“ fiel die junge Dame hier ein, „Onkel Boddin ist jetzt in einer schwierigen Lage. Wie Sie wohl gehört haben, geht in der Verwaltung des Gutes eine Aenderung vor, und es ist ungewiß, wieweit die Befugnisse des Onkels noch reichen –“ die blühenden Wangen der Sprecherin übergoß plötzlich ein dunkles Roth, und zwischen die Augen legten sich feine Fältchen des Unmuthes – „kurz, ich würde Ihnen nicht rathen, jetzt seine Hülfe anzurufen. Warten Sie wenigstens ein paar Tage noch!“
„Sie können die Schweine zu uns her treiben, Herr Mederow; wir haben Platz für sie,“ wandte sich die Radmacherin an den Lehrer. „Ich habe doch immer gedacht, daß das alte Gerümpel eines Tags zusammenbrechen würde.“
„Wenn ich mir das erlauben dürfte!“ sagte der Höfliche mit einer Verbeugung zu dieser. „Wir müssen die Creaturen aber erst einfangen. Ich empfehle mich bestens und bitte, auch dem Herrn Baron meine unterthänigste Empfehlung auszurichten.“
„Adieu, Herr Mederow! Grüßen Sie Ihre Frau schönstens!“ nickte Fräulein Anne-Marie und schritt mit der Radmacherin weiter, während der Lehrer den Rückweg antrat.
Anne-Marie stieß einen Seufzer aus, und ein Schatten lag auf ihrem sonst so klaren Gesicht.
„Ich fürchte, ich kann auch Euch nichts Besseres sagen, Radmacherin,“ meinte sie. „Was habt Ihr auf dem Herzen?“
„Ach, mein Mann wollte gern noch das zweite Stückchen Acker hinter unserm Hause dazu pachten. Es ist gestern umgepflügt worden, und wir möchten die Sache in’s Reine bringen, ehe es vom Gute aus bestellt wird. Es wäre so vortheilhaft für uns; denn wir könnten dann Alles, was wir im Hause brauchten, selber ziehen. Der Radmacher hat schon einmal mit dem Herrn Baron darüber gesprochen, und er hat gemeint, er werde sich die Sache bis zum Herbst überlegen. Und nun wollte ich das gnädige Fräulein bitten, ein gutes Wort für uns einzulegen.“
Die junge Dame schüttelte traurig den Kopf.
„Ihr kommt ein paar Tage zu spät, Radmacherin,“ entgegnete sie, und es mischte sich ein Klang von wehmüthiger Resignation in ihre Worte. „Der Onkel darf bezüglich der Verwaltung von Pelchow nicht mehr selbstständig verfügen. In den nächsten Tagen wird ein Administrator eintreffen, der ihm die Mühe abnehmen wird, ein Vetter von mir, von den Teterower Boddins; an den müßt Ihr Euch wenden. Ich will aber wenigstens dem Statthalter sagen, daß er das Stück vorläufig nicht bestellen soll.“
„Nun aber!“ machte die Radmacherin verwundert. „Das Gut gehört doch dem gnädigen Herrn, und er kann doch darauf thun, was er will? Ich habe wohl gehört, daß so was im Gange ist, aber ich habe das für dummen Schnack gehalten.“
„Ich kann Euch das nicht Alles so aus einander setzen,“ meinte Anne-Marie, der es sichtlich widerstrebte, die intimen Familienangelegenheiten zum Gegenstande einer Erörterung mit der Frau zu machen. „Aber es ist so. Wer weiß, ob der Onkel je wieder die Verwaltung zurückbekommen wird.“
„Na, Pelchow bleibt Ihnen doch mal,“ nickte die Radmacherin lächelnd.
„O nein! Das fällt an die Teterower. Ich bin so arm wie eine Kirchenmaus. Höchstens was der Onkel gespart hätte, das würde er mir geben dürfen.“
„Das wird freilich nicht viel sein,“ sagte die Frau verblüfft. „Ja, dazumal, wo er noch durch die Straße von Trebbin geritten ist und die Jungens mit harten Thalern gegen die Köpfe geworfen hat – aber er ist doch so reich gewesen! Alles kann er ja wohl nicht –“
Anne-Marie machte eine ungeduldige Bewegung.
„Lassen wir die Frage, Radmacherin! Das ist seine Sache. Was ich Euch nützen kann, thue ich gewiß germ – das wißt Ihr. In den nächsten Tagen wird allerlei Umwälzung bei uns vorgehen. Mein Gott, ich wollte, die Aufregung für den Onkel wäre erst vorüber!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_710.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)