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Seite:Die Gartenlaube (1881) 660.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


blauen, aber doppelt so großen Schwester der Alpen (Centaurea montana) sehen, die der Künstler in unserem durchweg in verjüngter Gestalt gezeichneten Strauße mehrfach verwendet hat. Man kann nun nicht verkennen, daß dieses Ausstrahlen der Randblüthen die Anfälligkeit und Anziehungskraft der stillen Gemeinde vermehren mußte, und da dieser Vortheil der Gesammtheit zu Gute gekommen war, so bildete sich je länger je mehr eine vollständige Arbeitstheilung heraus, bei welcher die Strahlblüthen in erster Reihe für die Anlockung der Insecten zu sorgen haben und zu langen, andersfarbigen Fahnen und Zungen auswachsen, dafür aber keinen Blumenstaub erzeugen, gewissermaßen also nur die Blumenblätter dieser „Blumen höherer Ordnung“ darstellen. In den häufigsten Fällen sind diese, die meist gelbe Scheibe wie ein Heiligenschein umgebenden Strahlblüthen weiß oder gelb gefärbt, wie bei den Schaaren der Kamillen, Inula- oder Senecio-Arten, aber bei den auch in unserem Strauße vertretenen, weil im Gebirge heimischen Astern, den Cinerarien und anderen Gartenblumen färbt sich der Strahl im schönsten Gegensatze zu der goldgelben Scheibe tiefblau, violett und roth.

Ein noch anderes Princip machte sich bei solchen Compositen geltend, deren einzelne Körbchen verhältnißmäßig klein und daher unscheinbar bleiben. Ebenso wie in den früher erwähnten Fällen die einzelnen Blumen, ordnen sich hier die Körbchen oder zusammengesetzten Blumen zu Blüthenständen zweiter Ordnung zusammen. Wir sehen dies z. B. bei den Beifußarten, welche lange zusammengesetzte Aehren bilden und von denen die (am Bändchen unseres Straußes dargestellte) ganz in Silberfilz gekleidete, an den Grenzen des ewigen Schnees wachsende Edelraute (Artemisia mutellina) von den Aelplern als ein ebenso ersehnter Hutschmuck angesehen wird, wie das Edelweiß, und im Ganzen kaum weniger Leben gefährden soll, als dieses.

Etwas Aehnliches findet man bei den Arten der Schafgarbe (Achillea), deren kleine Blüthenkörbchen sich zu Dolden vereinigen, von denen mehrere alpine Arten in dem Strauße erkennbar hervortreten. Es sind meist sehr aromatische und zum Theil, wie das Edelweiß und die Edelraute, in Silberfilz gekleidete Kräuter, die man in den Alpen als Wildfräulein oder Iva bezeichnet und zur Bereitung des geschätzten Iva-Bittern einsammelt.

Die höchste Stufe in der Richtung des Vereinigungsprincipes wird aber von dem Edelweiß erreicht, und damit auch die Bewunderung des Botanikers für diese Blume gerechtfertigt. Es handelt sich hier, wie man aus dem monströsen, aber deshalb doppelt lehrreichen obern Exemplare unseres Straußes deutlich erkennt, um einen aus vielen einzelnen Korbblumen gebildeten Strauß, der in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle das Ansehen einer einfachen Blume angenommen hat, also nach Schleiden das höchste Ideal der Pflanzenwelt, eine Blume dritter Ordnung annähernd verwirklichen würde. In der Regel sind die vier bis acht äußeren Körbchen mit der größten Regelmäßigkeit um ein größeres Mittelkörbchen geordnet und zu einem natürlichen Kreise verbunden, als ob es sich wirklich um eine künstlerische Composition handelte. Und doch schließt jedes einzelne durch das schwarze Krönchen umgrenzte Körbchen zwanzig bis dreißig männliche und vierzig bis sechszig weibliche Blüthen ein, sodaß die scheinbar einfache Straußblume viele hundert Einzelblüthen enthält. Ihre charakteristische Schönheit gewinnt aber diese Blüthengemeinschaft erst durch die mit weißem Filz überzogene, einen mehr oder minder großen, vier- bis zwanzigzackigen Stern bildende Manschette, die aus den oberen Stengelblättern gebildet wird. Wie die Alpen-Mannstreu ihre Schwestern aus der Ebene, so überragt das Edelweiß seine Verwandten im Thale, und die Botaniker haben es deshalb in den Adelstand erhoben und von dem zierlichen Katzenpfötchen unserer Triften als Löwentatze (Leontopodium alpium) unterschieden.

Ich denke, meine Leser (und der poetische Freund mit eingeschlossen) werden das Edelweiß darum nicht geringer schätzen, wen sie erfahren haben, daß man es im Sinne Schleiden’s als Blume dritter Ordnung und somit als die höchste bekannte Leistung der natürlichen Blumenzüchtung ansehen kann. Mich dünkt, man könnte nach solcher Erkenntniß nur mit noch vertiefter Ueberzeugung beim Anblicke desselben ausrufen:

O, welche Pracht in dieser Einfachheit!




Um die Erde.

Von Rudolf Cronau.
Dritter Brief. Das amerikanische Mekka.

„Ein Besuch der Nationalhauptstadt ist nur halb gemacht, wird in denselben nicht das Heim und Grab Washingtons eingeschlossen,“ sagt Edward Everett, der Biograph Washington’s. Um mich dieser Unterlassungssünde nicht schuldig zu machen, verließ ich am Morgen des 8. April das Weichbild der „Stadt der wunderschönen Entfernungen“, mit welchem Namen der Amerikaner seine Landeshauptstadt treffend belegt, Mount Vernon, das Heim Washingtons, ist im County Fairfax in Virginien, sechszehn Meilen südlich von Washington gelegen, und wer sich in den kühlen Schatten seiner herrlichen Baumgruppen flüchten will, den entführt der „Corcoran“, ein trefflicher, eigens dazu gebauter Dampfer, nach dem amerikanischen Mekka.

Es war Frühling, Frühling in Virginien. Das riesige Dampfboot keucht stromab, umschwärmt von zahlreichen kleineren Schaluppen und Segelbooten. Eine köstliche Fahrt! In den Fluthen des Potomac zeichnen sich die Umrisse der mehr und mehr zurückweichenden Hauptstadt zitternd ab. Ueber das Gewirr der hölzernen Baracken, die das Stromufer bekleiden, wo ganze Negerhorden mit den Fischern um den Betrag ihrer Beute feilschen, erheben sich die stolzen Paläste der Capitale, das „Weiße Haus“, die Residenz des Präsidenten, die elastischen Giebel und Fronten der Treasure- und Interiordepartements, der verfehlte Bau des Kriegsministeriums und das halb kirchliche, halb schloßartige Smithsonian-Institut, der Centralpunkt des wissenschaftlichen Lebens in Amerika. Weit zur Rechten blinkt die schneeige Riesenkuppel des Capitols im Sonnenschein, doch all die stolzen Bauten sie werden überragt von dem Marmorpfeiler des Washington-Monuments, das der amerikanischen Nation ihren größten und besten Mann in dankbarer Erinnerung halten soll.

Der ursprüngliche Entwurf des Denkmals, dessen Grundstein am 4. Juli 1848 gelegt wurde, beabsichtigte einen kreisförmigen Bau von 250 Fuß Durchmesser und 100 Fuß Höhe, und darauf einen Obelisk von 70 Fuß im Quadrat an der Basis und 500 Fuß Höhe. Die innere Mauerfläche des Denkmals war dazu bestimmt, Steinblöcke mit passenden Inschriften als Beiträge von fast allen Nationen und fast allen Volksclassen der Erde aufzunehmen, um die allgemeine Verehrung für den edlen Mann zu bezeugen. In dem Rumpfe des Denkmals und in dem anliegenden Bauschuppen begegnen wir Marmorblöcken aus Carrara und Paros, Granittafeln, bedeckt mit deutschen, chinesischen, türkischen, griechischen und malayischen Inschriften, und selbst fern entlegene Indianerhorden haben in Form roher Porphyr- und gepreßter Lehmbrocken ihr Scherflein beigetragen zu dem stolzen Bau.

Wie aber die Geschichte lehrt, daß derartige Werke durch freie Beiträge selten oder nie zu Stande gekommen – so auch hier. Hatten die ursprünglichen Beiträge hingereicht, das 1783 beschlossene, 1848 aber erst begonnene Monument zu einer Höhe von 184 Fuß zu bringen, so waren sie später kaum noch hinreichend, den Bau vor Verfall zu schützen, und gingen schließlich ganz ein. Erst nachdem der Staat die Sache in die Hand genommen und in einer der letzten Congreßsitzungen die nothwendige Summe bewilligt hat, ist Aussicht zur Vollendung des Monuments vorhanden.

Der erste Landungsplatz unseres Bootes ist Alexandria, der zweite Fort Foote, welchem bald darauf Fort Washington folgt. Von dort hat man den ersten Blick auf Mount Vernon; das Anziehen der Flagge, das feierliche Klingen der Schiffsglocke, ein Geläute, das „tolling bell“ genannt wird, verkündet den Passagieren daß sie sich dem Heim Washington's nähern.

Die „Tolling bell“ ertönt von jedem das Grab Washington’s passirenden Dampfer; eine Sitte der Ehrerbietung für den edlen Todten, die man auf den Commodore einer englischen Flotte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_660.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)