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Seite:Die Gartenlaube (1881) 638.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

ich ihr nichts Gutes mehr thun – ach! sie hat von jeher nur ihrem eigenen Sinne folgen mögen.“

„Sie haben Recht, liebe Jana,“ stimmte Fügen zu, „da Sie selbst davon reden, will ich Ihnen nur ganz offenherzig gestehen daß mir des Mädchens Art gar nicht gefällt. Es wird ihr sicher gut thun, unter fremde Leute zu kommen, wo sie merken wird, was dabei herauskommt, allen Launen nachzugeben. Führen Sie also getrost Ihren Vorsatz aus! Aber Sie, Jana?“

Ihr trotz der entflohenen Jugend immer noch lieblicher Kopf neigte sich tiefer.

„Es wird schon gehen –“ sagte sie.

Fügen ergriff ihre Hand, die im Begriff war, die nassen Augen zu trocknen.

„Liebe, theure Jana, ich trage schon seit manchem Jahr einen Wunsch mit mir herum. Lassen Sie ihn mich endlich aussprechen! Wir werden nächstens alle Beide allein sein: der Siegmund geht unter die Soldaten und die Maxi hinaus in die weite Welt. Da wird es uns recht einsam werden, und das könnte so anders, so gut sein, wenn Sie sich entschließen möchten, als meine liebe Hausfrau zu mir zu ziehen –“

Jana wollte ihn unterbrechen, aber eine Bewegung seiner Hand drängte bittend ihr Wort zurück, indem er fortfuhr:

„Wir haben ja schon einmal, vor manchem Jahr, von Aehnlichem gesprochen, und damals – Sie meinen am Ende, diese Thorheit säße noch in irgend einem Winkel meines Kopfes oder Herzens? O nein, Jana, das müßten Sie eigentlich selbst ganz genau wissen. So oft ich herkam, saß mir die Frage auf den Lippen, die ich eben an Sie stellte, aber ich weiß nicht, in Ihrer ganzen Art lag immer etwas, das mich nicht damit hervorkommen ließ. Jetzt aber, scheint mir, wäre die rechte Zeit da. Wer braucht Sie hier noch? Und ich brauchte Sie gar nöthig – das kann ich Ihnen versichern“

Nun rollten die zurückgehaltenen Tropfen in rascher Folge aus Jana’s lieben Augen nieder. Nur ein trauriges Kopfschütteln gab zuerst Antwort; endlich rang sich das Wort hervor:

„Es ist nicht möglich – o, fragen Sie mich nicht warum, aber glauben Sie mir: es ist niemals möglich – nie!“

Er blickte sie unter den buschigen Brauen hervor fast zürnend an, als er aber ihre stehend gegen die Brust gedrückten Hände sah und ihren angstvollen Augen begegnete, murmelte er nur ein paar undeutliche Worte in sich hinein und setzte sich mit raschem Abwenden an den Flügel, dessen stürmische Accorde noch hallten, als Jana schon das Zimmer verlassen hatte.




22.

Der Rückfall, den die Müllerin erlitten, war heftig aufgetreten, aber nur von kurzer Dauer gewesen; schon saß sie wieder im alten Großvaterstuhle, und der Doctor hatte heut erklärt, er brauchte nun nicht mehr zu kommen. Trotzdem war der Blick, mit dem Lois sie betrachtete, nicht ohne Sorge. Seit dem Ableben des Vaters war die Mutter sehr verfallen, ob nur aus Leid, oder weil es sie zu viel anstrengte dem Anwesen nun allein vorzustehen, ließ sich kaum sagen. Während er neben der Schlummernden saß und dem nachsann, gingen ihm viele Gedanken durch den Kopf – sie spannen sich bis zu dem Nachmittage auf der Moosburg zurück, wo er seiner Schwester Jana zum ersten Male seine heiße Sehnsucht bekannt, Priester zu werden, und sie ihn so eindringlich daran mahnte, was er für sich und die Seinen aufgab, wenn er bei diesem Wunsche beharren wollte. „Aufgab!“ Sein Kopf senkte sich und die Gedanken flossen in einander, bis er von nichts mehr wußte als von schneidendem Weh. Die Mutter schlug die Augen auf und sah mit unbehaglichem Ausdruck um sich.

„Bist da, Lois?“ fragte sie dann mit ihrer schwachen Stimme, „sonst Keines? Mir hat gerad’ geträumt, die Maxi wär’ wieder da.“

Lois stand auf, um der Mutter den Trunk zu holen, der ihr noch verordnet war.

„Heute kommt sie nicht – sei ruhig!“

„Was hat sie mit Dir, Lois?“ fragte die Kranke. „Mir gefällt das nicht – meinetwegen kommt sie nicht alle Tage daher – und schau nur, da ist sie doch wieder.“

Er folgte dem unzufriedenen Blicke der Mutter durch das Fenster und sah in der That Maxi über den neu aufgerichteten Steg auf das Haus zu kommen Seine Stirn faltete sich; er stand rasch auf.

„Sie soll Dich nicht belästigen, Mutter; ich schicke sie heim,“ sagte er fest und hatte das Zimmer verlassen, ehe sie antworten konnte.

„Die Mutter möchte allein bleiben,“ sagte er draußen auf dem Stege zu dem Mädchen, „sie ist besser, muß aber Ruhe haben. Ich begleite Dich zurück. Heut wollte ich ohnehin hinauf zu Euch, um Ade zu sagen; denn morgen, spätestens übermorgen muß ich fort.“

„Fort?“ fragte Maxi erschrocken – „jetzt schon? Und das sagst Du so obenhin, als wär Dir’s einerlei – als wär Dir’s recht?“

Er sah sie fest an.

„Es ist mir recht, Maxi,“ sagte er traurig. „Der Boden brennt mir unter den Füßen, und Du weißt, wer schuld daran ist.“

Sie warf die Lippen auf und wurde dunkelroth.

„Schiltst Du wieder? Wenn Du mich lieb hättest, so wärst Du froh, wenn ich zu Dir komme – Zwei, die einander lieb haben, halten es nicht aus, so hüben und drüben zu bleiben statt zusammen zu kommen, wenn’s doch sein kann. Mich hält die ganze Welt nicht auf.“

„Leider nicht,“ sagte Lois, und sein eben noch trauriger Ton ward streng. „Nichts hält Dich auf Tag für Tag zu brechen, was Du mir versprochen hast. Du weißt, wie viel mir daran liegt, daß Keiner erfährt, was wir im Sinne haben, bis ich losgelöst bin von Dem, was mich bindet. Und doch magst Du meinem Gebot und allem Wohlanstand zum Trotz Deinen Willen nicht eine Woche lang bändigen. Schon sind meiner Mutter die Augen aufgegangen. Ich weiß mir keinen Rath als zu gehen, obwohl ich hier noch recht nöthig wäre.“

„Und wann kommst Du wieder?“ sagte Maxi mit unterdrückter Heftigkeit.

„Es ist mir unmöglich, Dir das heute schon zu sagen. Ich muß mit dem Bischof selbst sprechen, und dazu findet sich nicht immer Zeit und Gelegenheit. Ueberlasse das mir! Schweige indessen! Wenn ich mit Allem breche, was mir theuer und heilig ist, so darf ich wohl von Dir fordern, daß Du das Einzige übst, was an Dir ist – Geduld.“

„Geduld!“ brach Maxi aus, und ihre zürnenden Augen flammten. „Nein! Die hab’ ich nicht; die üb’ ich nicht. Wärst Du Einer, der sein Mädchen lieb hat, dann predigtest Du mir nicht fortwährend, dann wär’ ich Dir recht so, wie ich bin, und Du freutest Dich, daß ich nicht so zahm warten und entbehren mag. Was geht mich Deine Mutter an sammt den Andern allen was liegt daran, wenn sie merken, wie wir zusammen stehen? Aber ich merke das selbst nicht mehr bei Dir, Du kümmerst Dich beständig um die Andern, an mir aber ist Dir nichts gelegen! Geh – geh – und bleib’ ganz und gar in Deinem Seminar, bei alledem, was Dir so theuer und heilig ist, wie Du eben sagtest – wir taugen nicht zusammen – geh mir, geh!“

Lois wurde todtenblaß und blickte stumm in ihr flammendes, trotziges Gesicht. Ihm war, als löste sich ein Theil seines innersten Lebens von ihm ab und sänke kalt und todt in ihm nieder. Einen Augenblick rang er nach Worten; dann, als er seiner Stimme Herr geworben, klang sie fremd und seltsam ruhig.

„Du hast es ausgesprochen Maxi; wir taugen nicht für einander. Was Du sagtest, soll geschehen ich kehre zurück an den Platz, dem ich nie hätte abtrünnig werden dürfen weder in Gedanken noch in Worten und Werken“

Maxi fuhr zusammen.

„Lois!“ rief sie wie halb erstickt; „Dein Gelübde gehört mir!“

„Du selbst hast mich eben des Versprechens entbunden, das ich Dir gab,“ erwiderte er, „Du mußt fühlen, mußt wissen, daß es mehr ist, als augenblickliches Zürnen, was Dich so sprechen ließ. Ach, uns trennt Anderes, als nur das Seminar, Maxi; unsere Seelen sind sich fremd, und darum würden wir einander elend machen. So lange ich denken kann, verstehe ich kein Leben ohne Pflicht, und die kennst Du nicht.“

Sie preßte die kleinen Zähne auf einander.

„Du wirst mich lehren – –?“ murmelte sie.

„Dich lehren?“ gab er ihr zurück. „Ja, könnte ich das!

Aber was Du nicht lerntest im Zusammenleben mit meiner Jana,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_638.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)