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Seite:Die Gartenlaube (1881) 587.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Auf die ich mich verließ,“ sagte Genoveva bitter. „Empört, wahrlich nicht verzagt, kehrte ich zurück, entschlossen unser Recht zu erstreiten. Natürlich war, sobald ich hierher zurückgekehrt, mein erster Gang nach dem Servitenkloster. und dem Pater, welcher Trauung wie Taufe eingesegnet hatte. Da sagte man mir, Pater Alois sei vor etwa vierzehn Tagen an einem Schlagflusse verstorben. Nun, der Herr Prior erklärte sich sofort bereit, die Bücher des Klosters nachzuschlagen und beglaubigte Duplicate der beiden Acte ausfertigen zu lassen. Es fand sich nichts. Der geistliche Herr ließ mich selbst Einsicht in das Kirchenbuch nehmen, während er bemerkte, daß mein Anliegen ihn überhaupt befremdet habe, da Trauungen und Taufhandlungen Angelegenheiten der Pfarrgemeinden, aber nicht einer Klostergenossenschaft seien; überdies habe Pater Alois ihm keine hieraus bezügliche Meldung gemacht. Er begann ein Examen anzustellen, dem ich mich in der Bestürzung dieses Momentes ohne Rückhalt unterwarf. Als der Prior erfuhr, daß es sich um eine gemischte Ehe handle, verwandelte sich sein Ton; er äußerte mit Schärfe, daß sich der Pater, falls er eine solche wirklich eingesegnet, der höchsten Pflichtverletzung schuldig gemacht und hierüber selbstverständlich kein amtlicher Act hätte eingetragen werden können, da jede Ehe dieser Art null und nichtig sei.

Das war für wich ein Donnerschlag. Noch lebte aber ein Zeuge: Der Eremit auf dem Hilariberge, zugleich Küster der Capelle, in der unsere Verbindung stattgefunden, hatte als Trauzeuge gedient und den Act der Trauung mit unterschrieben. Dieser Mann, welchen ich sofort aufsuchte, erklärte sich bereit zur Bestätigung, aber am nächsten Morgen erschien er nicht zur verabredeten Stunde und bald erfuhr ich, daß er anderen Sinnes geworden. Man hatte ihn vom Kloster aus über den Zusammenhang belehrt und er verschwor sich hoch und theuer, daß er mit einer Ketzerin nichts zu schaffen haben wolle.

Nu blieb nur ein Weg: offene Anklage! Dieser Mensch mußte gezwungen werden, die Wahrheit zu bestätigen, der alte Graf Riedegg zur Herausgabe der schriftlichen Zeugnisse genöthigt werden, die er – noch heute will ich es beschwören – widerrechtlich unterschlagen. – Ich begab mich mit Jana und dem Kinde nach Wien, suchte dort einen berühmten Rechtsanwalt auf und legte ihm die Lage der Dinge dar. Er riet mir, jenes Zeugen guten Willen zu erkaufen, so hoch es sei, den Tod meines Schwiegervaters abzuwarten und erst dann, auf jenes Zeugniß gestützt, meine Klage zu erheben. Er begründete mit scharfer Klarheit seine Ueberzeugung, daß gegenwärtig jedes Vorgehen meiner Sache verderblich werden müsse und daß späterer, auf das Erbrecht erhobener Anspruch mehr Aussichten und weniger Gefahren böte, als eine Beschuldigung des Lebenden, für die jeder rechtliche Beweis fehle.

So beschloß ich denn zu warten. Der Graf war bei Jahren, ein hoher Sechsziger. Er lebt noch heute. Auch der Eremit lebt und weigert sich noch heute. Was habe ich nicht aufgeboten, diesen Menschen zu gewinnen! Der Armselige fürchtet sich – daran prallt jedes Bemühen ab. Ich aber warte. Der ganze Plan meines Lebens drängt einzig nur diesem Ziele zu. Auf des Grafen Erbe hat Niemand directen Anspruch als die Tochter meines Gatten aus erster Ehe. Sie ist seit Jahren verheiratet und lebt dem Großvater fern. In der Stille ist Alles vorbereitet, Siegmund’s Anspruch zu erheben, sobald sich zwei Augen schließen. Wie es auch ende, ohne Kampf, ohne äußersten Kampf soll Siegmund ’s heiliges Recht nicht aufgegeben werden. Daß es hierzu großer Mittel bedürfen wird, hat mir der Rechtsanwalt dargelegt. Nun, wir blieben nicht entblößt zurück; mein Gatte hielt eine namhafte Summe zur Disposition; er hatte mich mit der Moosburg, mit kostbaren Juwelen beschenkt. Die Zukunft im Auge, beschränkte ich unsere Form zu leben; Sie sahen mich arbeiten – dies geschah Jahre hindurch. Jetzt handelt es sich um Siegmund’s Ausbildung, und von Beschränkung darf hierbei keine Rede sein. Ich werde Genügendes in Ihre Hände legen, lieber Freund; die gleiche Summe trifft in regelmäßigem Raten bei Ihnen ein. Ich selbst folge Aussichten, welche – einerlei! Diese äußerlichen Punkte bedürfen keiner weiteren Erörterung.“

Sie schwieg, wie erschöpft, als aber Fügen beginnen wollte zu sprechen, hielt sie ihn durch eine Geberde zurück und sagte lebhafter: „Ein Wort noch! Siegmund ist in all Das nicht eingeweiht. Es ist mein Wille, daß er in der Voraussetzung aufwächst, bürgerlichen Herkommens zu sein, sich den Weg durch das Leben selbst bahnen, Wohlstand und Ansehen sich selbst gewinnen zu müssen.“

Fügen stützte den Kopf nachdenklich aus die Hand.

„Und wenn nun in ihm ein Grundton wäre, der sich künstlerisch ausklingen wollte? Er ließ gestern Worte fallen, die solchen Hang betonten. Was dann? Haben Sie hieran gedacht, bei der Absicht, ihn dem Hause eines Künstlers zu übergeben, wo er in Musik leben und athmen wird, vom ersten Tage bis zum letzten?“

„Ich widerspreche,“ sagte Genoveva ruhig, „seinem Hange zur Musik so wenig, daß ich bei der Wohl des Hofmeisters, welcher ihn bisher unterrichtet hat, ausdrücklich auf gediegene musikalische Kenntniß desselben bedacht war. Siegmund weiß, daß ihm Freiheit für dereinstige Berufswahl gewährt wird, zugleich aber weiß er, daß ich zunächst den Erwerb allgemeiner Bildung von ihm fordere. Bis zur Vollendung seiner Studienjahre muß sich unser Loos entschieden haben; denn Graf Riedegg zählt achtzig Jahre. Lassen wir Siegmund gewähren! Sie verstehen, daß bis dahin von jedem Heraustreten in die Oeffentlichkeit abgesehen bleibt. Im Uebrigen – Musik erhebt die Gedanken – selbst in Gefahren.“

Sie ergriff Fügen’s Rechte und hielt sie mit starkem Druck, während ihre unerforschlichen Augen dunkel auf ihm ruhten.

„Ich übergebe Ihnen mein Alles,“ sagte sie mit unsicherer Stimme. „Bisher waren mein Sohn und ich nie getrennt, auch nicht für einen Tag; jetzt lasse ich ihn für Jahre von mir, aber es muß sein. Oede ist der Weg ohne ihn – nie besaß ich, nie werde ich ein anderes Glück besitzen als meinen Sohn.“

Er blickte sie mit eigentümlichem Ausdruck an.

„Jetzt, in Zukunft – nun ja!“ sagte er hastig. „In der Vergangenheit aber? Sie besaßen seines Vaters Liebe.“

Ein finsterer Blick begegnete dem seinen.

„Liebe?“ wiederholte sie herb. „Er hat Weib und Kind verleugnet.“




17.

Wenige Vorkommnisse des täglichen Lebens bringen den Betheiligten nahe bevorstehendes Scheiden so zum Bewußtsein, als die letzten gemeinschaftlichen Mahlzeiten. Wer von dannen zieht, nimmt den langgewohnten Platz bei Tische mit der stillen Betrachtung ein, wie fern er sein wird, wenn die Andern das nächste Mal zu gleicher Stunde hier beisammen sein werden; wer zurückbleibt, sieht im Geiste seinen Platz schon leer. Wider Willen schleicht sich ein Schweigen ein – Schwermut sitzt mit zu Gaste. Unter solchem Banne lag heute die kleine Mittagsgesellschaft auf der Moosburg. Mit diesem Tage war Fügen’s Zeit um. Morgen in der Frühe stand seine Abreise mit Siegmund bevor, welche der Beginn allgemeiner Zerstreuung der heute noch so traulich vereinten Tafelrunde war. Für Genoveva’s Reise, als deren Ziel sie Paris bezeichnete, war schon alles vorbereitet. Lois, dessen Eltern ihm gestattet, seine diesjährigen Ferien auf der Moosburg zu verleben, kehrte im Lauf derselben Woche nach dem Seminar zurück. Nur Jana und Maxi blieben hier.

Der geheime Bann, welcher sich Allen fühlbar machte, schien Siegmund am meisten zu bedrücken; er gab sich heute unruhiger, als in seiner Art lag, und nachdem man vom Tische aufgestanden und in das Terrassenzimmer übergesiedelt war, überkam den Knaben großes Unbehagen bei dem Gedanken an alle die Stunden, welche noch bis zum späten Abend zu überdauern waren. Er stand am Fenster und blickte hinab auf das herbstlich farbige Thal. Plötzlich wandte er den Kopf:

„Mutter! weißt Du, was ich möchte?“

„Nun?“

„Ich möchte noch einmal drüben vom Hilariberg die Sonne untergehen sehen. Natürlich nur, wenn Du mitkämest. Es ist ja so schönes Wetter; alle Wege sind trocken – gewiß, der Spaziergang würde Dir gut thun. Alle gingen wohl gerne mit, nicht wahr?“

„Warum nicht?“ sagte Genovevoa „Dann laßt uns aber keine Zeit verlieren! Die Octobersonne geht frühzeitig nieder, und der Weg ist weit.“

Bald wanderte die kleine Gesellschaft hinab zum Inn, ließ sich auf das linke Ufer übersetzen und schlug dann, das schmale offene Thal verlassend, den Weg durch den Forst ein, welcher,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_587.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)