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Seite:Die Gartenlaube (1881) 586.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Maxi, welche während der Mahlzeit ein und aus huschte, die Speisen auftrug und die Gäste mit flinker Gewandtheit bediente. Erst nach beendeter Mahlzeit, als die kleine Gesellschaft nach dem Eichentische übersiedelte, setzte sie sich dort zwischen die Anderen und begann an ihren Blumen zu arbeiten. Bei jedem flüchtigen Blick aus das Mädchen war Fügen von Neuem frappirt. Kein Wunder, daß er sie nicht erkannt hatte – wer hätte in diesem reinen Oval, der warmem aber klaren Färbung dieses schönen Gesichtes wohl des Wildfangs rundes, dunkles Köpfchen wiedergefunden? Klein von Wuchs, auch heute noch geschmeidig wie ein Kätzchen, war Maxi nach Formen und Bewegungen ein Kind; nichts Kindliches lag aber im Ausdruck ihrer fast übergroßen schwarzen Augen, deren eigentümlich rascher Ausschlag um so mehr etwas Blendendes hatte, als die gebogenen Wimpern sich ebenso plötzlich wieder senkten. Während sie, mit ihren Flittern und grünen Blättern beschäftigt, dem Gaste gegenüber saß, richtete er neugierig öfters das Wort an sie, erhielt aber zur Erwiderung nur einen Blitz der schwarzen Augen oder ein Lächeln, das die schimmernden Zähnchen enthüllte. Statt zu antworten, warf Maxi jedesmal einen schnellen Blick auf Lois, als solle dieser das Wort für sie führen. Nicht er war es aber, der das scheue Kind vertrat, welches sich doch bei Fügen’s Ankunft so keck gezeigt – es war Jana, wie es ihm denn überhaupt nicht entging, daß sie in kaum merklicher Weise Maxi stets im Auge behielt. Zu Jana aber kehrten seine eigenen Augen am häufigsten, am liebsten zurück. Sie gefiel ihm mehr als je; ihm schien, als habe sie während dieser Jahre nur gewonnen. Heitere Ruhe lag auf dem weißen angenehmen Gesicht; ihre klaren Augen leuchteten in so wohltuender Güte, daß sie Anderer Blicke immer wieder zu sich zurückriefen, wie eine sanfte Melodie, welche man oft zu hören begehrt. So anspruchslos ihre Haltung war, erschien sie neben Genoveva jetzt als deren Gleichen. Fügen empfand, daß sie die Stelle, auf welcher ihr Dasein wurzelte, als ihr Recht betrachtete und für immer eingenommen hatte. Bestand noch eine Abhängigkeit für sie, dann war es jedenfalls eine freiwillige.




16.

„Es bedarf keiner Versicherung, daß ich bereit bin, dem großen Vertrauen zu entsprechen, welches Sie mir gönnen,“ sagte Fügen, als er am nächsten Morgen Genoveva gegenüber saß. „Ob ich es kann, wird davon abhängen, was Sie von mir erwarten. So weit ich Sie verstand, übertragen Sie mir auf Jahre hinaus, also bis Siegmund als erwachsen zu betrachten ist, alle moralischen Pflichten und Rechte eines Vormundes. Für Aufmerksamkeit und Zuneigung, auch für sorgfältige körperliche Pflege vermag ich zu bürgen, die Erfahrung eines Erziehers fehlt mir aber durchaus, und ich bin sogar in Zweifel, ob ich die dazu nötigen Eigenschaften besitze. Wohl traue ich mir zu, einem jungen Geiste die Richtung zu geben; auf Charakter und Temperament einzuwirken erscheint mir jedoch überaus schwierig, fast unmöglich. Strenge zu üben liegt nicht in meiner Natur, und was ich sonst bieten kann, ist mehr Moralisches als Belehrendes.“

Genoveva neigte zustimmend den Kopf.

„Ihr Charakter, lieber Freund, bürgt für Alles, was mir als das Wichtigste erscheint. Siegmund ist am richtigen Platze neben einem rechtschaffenen Manne, welcher alle Dinge des Lebens frei von Nüchternheit, doch mit Ernst betrachtet. Was ich unter Erziehung verstehe, liegt vor Allem in der Richtung der Willenskraft. Ihn alle Bedingungen menschlicher Existenz in großer Auffassung sehen zu lehren, ist für seine Zukunft das Notwendigste. Diese Zukunft wird vielleicht einen glänzenden Rahmen haben – sorgen wir, daß sich dafür ein im edelsten Sinne vornehmes Bild vollende!“

Fügen’s nachdenkliche Miene wurde fest.

„Sie haben ein bestimmtes Ziel im Auge,“ sagte er mit Nachdruck, „und bestimmte Verhältnisse. Soll ich Siegmund in Ihrem Sinne leiten, muß ich auch erfahren, wohin sein Weg geht.“

„Ohne Zweifel,“ sagte sie gelassen. „Das Recht, über unsere Verhältnisse Aufklärung zu empfangen, steht Ihnen von jetzt an zu. Ich bin bereit, Ihnen vollen Aufschluß zu geben; um des Zusammenhanges willen ist es sogar notwendig, Sie mit Erlebnissen bekannt zu machen, die viel älter sind als Siegmund. Die Geschichte, welche Sie hören werden, könnte in manchem Sinne als eine ungewöhnliche gelten – im Grunde berichtet sie nichts, als die alte Geschichte von Macht gegen Recht.“

Während sie sich schweigend zurücklehnte und mit gesenktem Blick in sich hineinzusinnen schien, betrachtete Fügen das schöne, blasse Gesicht, in dem sich keine Spur von Erregung zeigte. Um so aufgeregter war er selbst – das Wort des Rätsels, welches ihn vor Jahren soviel hatte grübeln lassen, sollte ausgesprochen werden. Um seine Unruhe zu verbergen, entgegnete er kein Wort.

„Meine Familie,“ begann Genoveva, „ein altes Geschlecht, verließ Frankreich nach Aufhebung des Edictes von Nantes. Meine Großeltern, deren ich mich noch entsinne, lebten in Berlin auf glänzendem Fuße, auf allzu glänzendem; denn meinem Vater fiel nach ihrem Tode ein im Verhältniß zu seinen Gewöhnungen geringes Erbe zu. Er verheiratete sich frühe mit einer Bürgerlichen, die als reich galt. Von dieser Mutter, von meiner ersten Kindheit überhaupt sind mir nur schwache Erinnerungen geblieben; denn meine Eltern wechselten so oft den Aufenthaltsort. daß wir nirgends daheim waren, und als ich kaum das achte Jahr erreicht hatte, wurde ich einem adeligen Erziehungsstift in Berlin übergeben, das ich erst mit achtzehn Jahren verließ. Mein Vater führte mich nun nach Wien, wo er sich seit dem schon vor geraumer Zeit erfolgten Tode meiner Mutter häuslich eingerichtet hatte und in der ersten Gesellschaft verkehrte. Unter dem Schutze der Gemahlin des französischen Gesandten trat auch ich in diese Kreise ein. Ein paar glänzende Jahre rauschten im Fluge vorüber; dann kam ein Abend –“

Sie erblaßte bis in die Lippen hinein. Aber nur einen Moment lang weigerten sich diese blassen Lippen, weiter zu sprechen. Mit einem Tone, der so fest war, daß ihre melodische Stimme fast hart klang, fuhr sie fort:

„Während einer Soiree in unserem eigenen Hause, die von ausgezeichneten Persönlichkeiten besucht war, beschuldigte ein diesem Kreise Zugehöriger meinen Vater, mit dem er am L’hombretische saß, mit lauter Stimme des falschen Spieles, und fast in demselben Augenblicke erklärte ein eben bei uns eingeführter Fremder gleich nachdrücklich, in Herrn von Meillerie den Croupier der Spielbank des Bades M. wieder erkannt zu haben. In derselben Nacht erschoß sich mein Vater.“

„Um Gotteswillen!“ rief Fügen.

„Sie erschrecken schon beim Anfang,“ sagte Genoveva mit einem Lächeln, das ihm wehe that. „Allerdings geht auch dies Siegmund an, sonst würde ich mir erspart haben, es zu erzählen Hören Sie weiter! Einige Zeilen fanden sich, aus denen erhellte, daß tolle Börsenspeculationen meines Vaters die Summen, welche er durch die Spielbank erworben, rasch verschlungen hatten – ich war eine Bettlerin; man zwang mich, im Hause des französischen Gesandten Gastfreundschaft hinzunehmen, während meine Seele nach Einsamkeit dürstete, nach Selbstständigkeit rang. Man schrieb und petitionirte wider mein Wissen und Wollen bei den Pariser Verwandten – ich fand bei ihnen ein Asyl. Hochmütige Menschen voll grausamer Höflichkeit, ohne Herzlichkeit – dort dauerte ich nicht aus. Nach etwa einem Jahre glückte es mir, als Gesellschafterin nach Italien engagirt zu werben. In Neapel begegnete ich meinem künftigen Gatten.“

Sie hielt inne; ihre Hand beschattete die dunklen Augen. „Graf Riedegg,“ nahm sie nach kurzer Pause wieder das Wort, „erfuhr Alles, was gegen seine Wahl sprach, durch mich selbst. Es bedurfte nicht seiner Offenheit, mich zu überzeugen daß ich seiner Familie nicht willkommen sein konnte, er aber war Herr seiner Entschlüsse. Wir verbanden uns in der Stille und lebten in glücklicher Verborgenheit hier auf der Moosburg, aber nach Siegmund’s Geburt wünschte ich um des Kindes willen freies Auftreten. Mein Gatte begab sich zu den Seinen, um mit ihnen die nötigen Einleitungen zu treffen – dort ereilte ihn ein jäher Tod. Ich trat für das Recht meines Sohnes ein. Es ward bestritten. Im Grabe noch wurde Meinhard durch die Behauptung beschimpft, er hätte sich nicht zu uns bekannt. Die Zeugnisse unserer Trauung und Siegmund’s Taufschein, welche mein Gatte mit sich genommen, wie ich aus seinem Munde wußte, wurden vom alten Grafen Riedegg verleugnet, meinem Kinde und mir selbst die Ehre genommen, das Recht verhöhnt, den uns gebührenden Namen zu führen.“

„Unerhört! Und Sie duldeten –? Es giebt doch Kirchenbücher –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_586.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)