Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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ihrer Angst waren die Leute von den brennenden Wagen herabgesprungen, sobald die Entkoppelung gelungen war, und hatten die Apparate weiter nicht angerührt, sodaß die Oelwagen mit immer zunehmender Geschwindigkeit hinter uns dreindonnerten. Bevor ich mich dessen versah, saßen mir die Oelwagen, von denen jeder einzelne nunmehr einen Flammensee bildete, auf dem Nacken, und als ich gerade wieder um eine Curve flog, zerschmetterten sie die Rückwand des Pferdewagens. Merkwürdiger Weise blieben sowohl die brennenden Wagen wie der Rest des Zuges trotz der Collision im Geleise.
Mein Heizer und ich, wir hätten ganz gut den Zug verlassen und uns durch einen Sprung retten können, aber die Eisenbahncompagnie hatte uns für 20,000 Dollars Werth anvertraut, welchen wir derselben erhalten wollten, wenn es nur halbwegs thunlich war.
Ich sah, daß es sich um eine Fahrt auf Leben und Tod handelte, und riß daher den Regulator so weit auf, wie es nur möglich war. Wir flogen mit solcher Geschwindigkeit die Steigung hinab, daß die Maschine gar nicht pumpen konnte. In dem Momente, als die Oelwagen die Rückenwand des Pferdewagens eindrückten, schrieen die Pferde buchstäblich vor Angst; die Hitze wurde unerträglich, und die Aufseher, die im Pferdewagen waren und deren Gesichter die Farbe des Todes trugen, baten mich um Gotteswillen, „mehr Dampf zu geben“.
Bei der Blitzesgeschwindigkeit, mit welcher wir um die scharfen Curven flogen, erwartete ich jeden Augenblick, daß die Maschine aus dem Geleise springen und über den Bergabhang geschleudert werden würde.
Die Nacht war sehr finster. Die Maschine donnerte vorwärts mit einer Geschwindigkeit, wie in diesem Lande wohl noch nie eine Maschine gegangen ist, durch Waldungen, tiefe Felseneinschnitte und am Rande von unermeßlichen Abgründen vorbei. Die armen Pferde stampften und wieherten vor Schrecken, und nur wenige Fuß hinter denselben kam die flammende Masse den Hügel hinabgeflogen, wie ein schreckliches Meteor. Die Flammen von den Tausenden Gallonen von brennendem Oel waren wohl sechszig Fuß hoch und beleuchteten die Gegend auf eine Meile in der Runde. Der ganze Horizont war erleuchtet, und der Anblick der großen Feuersbrunst, die durch die Luft zu fliegen schien, war, wie man mir später sagte, von Brocton aus überwältigend.
Meine Idee war, den Leuten in Brocton das Signal zu geben, die Weiche der Lake Shore-Strecke zu öffnen, wo die Bahn sanft aufstieg und wo dann die brennenden Wagen die vorwärtsbewegende Kraft verlieren und zurückbleiben würden. Aber der Expresszug von Cincinnati müßte um diese Zeit auf der Lake Shore-Strecke in Brocton Junction eintreffen und, um die Schrecken meiner Lage noch zu vergrößern, war gerade jetzt ein nach dem Westen gehender Lastzug auf der Lake Shore-Strecke daran, dem jede Minute erwarteten Erpreßzuge aus dem Wege zu fahren. Mir blieb nur das Eine zu thun, das Signal für „offene Weiche“ zu geben, zu riskiren, ob der Lastzug rechtzeitig ausweichen könnte, und zu hoffen, daß der Expreßzug sich um die eine Minute verspäten würde.
Ich wußte, daß man mich von Brocton Junction aus gesehen und die Ursache der merkwürdigen Erscheinung erkannt hatte und daß man nicht zögern würde, auf mein Signal hin zu handeln. Ich pfiff daher das Signal für „offene Weiche“. Dem Lastzug gelang es, ein Seitengeleise zu erreichen, und in diesem Momente flogen wir auf das Lake Shore-Geleise, an der Station vorbei, durch das Städtchen hindurch und die sanft ansteigende Strecke hinan. Die brennenden Oelwagen kamen allmählich zum Stehen und konnten unschädlich gemacht werden. Die Maschine mit ihrem Gefolge von Tender und Pferdewagen stand hundert Yards vor dem Expreßzug, der sowohl verspätet wie auch signalisirt war.
Als mein Heizer und ich sahen, daß wir gerettet waren, sanken wir ohnmächtig auf die Maschine. Die Pferde waren ruinirt, und ihre Aufseher wurden besinnungslos aus dem Wagen gehoben. Die Oelwagen brannten noch drei Stunden; nachdem sie zum Stehen gebracht.
Als man uns von der Maschine nahm, waren erst 12 Minuten seit
unsrer Abfahrt von Mayville Summit verflossen, sodaß wir mit einer
durchschnittlichen Geschwindigkeit von 145 Kilometer per Stunde gefahren
waren. H. H.
Zum Capitel der „Wahlwühlerei“. (Mit Abbildung S. 561.) Das
Schicksal der Völker wird nicht allein auf blutigen Schlachtfeldern entschieden.
Schwerer für das Wohl und Wehe einer Nation wiegen
die Beschlüsse, welche in den parlamentarischen Versammlungen gefaßt
werden; denn durch dieselben wird sowohl die Wehrkraft des Staates geregelt,
wie der materielle Wohlstand und die geistige Entwickelung seiner
Bürger beeinflußt. Daher wurde auch bei allen Culturvölkern die Zeit,
welche den Wahlen vorausging, durch eine fieberhafte Thätigkeit der
politischen Parteien gekennzeichnet. Und wie einst um die Gunst des
römischen Volkes die Tribunen und die Patrizier auf den Straßen und
auf dem Forum warben, so geschieht es auch heute bei uns nach Tausenden
von Jahren. Der politischen Agitation der Neuzeit stehen zwar gewaltige,
früher unbekannte Mittel zur Verfügung, wie die Macht des gedruckten
Wortes in der Gestalt der Flugschriften und der Zeitungspresse, aber trotzalledem
kann auch sie des ältesten Hebels der mündlichen Agitation nicht
entbehren, so sehen wir, daß auch jetzt während der Wahlcampagne nicht
allein die Führer der Parteien durch öffentliche Reden das Volk unter
ihre Fahnen zu bringen suchen, sondern daß in dieser Zeit das Land
mit politischen Agenten überfluthet wird, welche in Privatgesprächen den
einfachen Mann für ihre Zwecke bearbeiten. Die Wichtigkeit des letzteren
Agitationsmittels darf nicht unterschätzt werden: denn die Geschichte hat
gelehrt, daß Parteien, deren Presse von der Regierung mundtodt gemacht
wurde, einzig und allein mit Hülfe dieser stillen Agitation bei den Neuwahlen
in alter Stärke und sogar manchmal in größerer Zahl aus der
Urne hervorgingen.
Eine Scene aus dieser halbgeheimen politischen Agitation stellt unser heutiges Bild dar – eine Scene, wie sie sich wohl gegenwärtig im deutschen Vaterlande tausendfach abspielt. Die Bürgerstunde hat längst geschlagen; die fröhlichen Gäste des Wirthshauses sind verschwunden; sogar das Schenkmädchen ist in Anbetracht der außergewöhnlich langen Sitzung eingeschlafen; nur zwei hervorragende Persönlichkeiten der kleinen Gemeinde, der reichste Bauer und der bei seinen Mitbürgern beliebte Bäcker, haben Stand gehalten. Mit ihnen bespricht nun der am Tische sitzende Agent einer politischen Partei die Bedeutung der bevorstehenden Wahlen. Er hält das Manifest der Gegenpartei in der Hand und unterwirft es einer scharfen, vernichtenden Kritik. Ja, es spricht sich gut in diesem kleinen Kreise. Hier darf gesagt werden, was sonst in der öffentlichen, von der Polizei bewachten Versammlung verschwiegen werden mußte, was aus Rücksicht auf den Staatsanwalt in der Presse nicht gedruckt wurde. Hier kommt das Alles zu Tage – Wahres und leider auch Falsches, Lob und Verleumdung. „Wahlwühlerei“ ist der technische Ausdruck, mit welchem die officiöse Presse diese Thätigkeit mit sittlicher Entrüstung bezeichnet. Aber wozu die Scheinheiligkeit? Welche Partei in der Welt wird auf dieses Agitationsmittel verzichten? Oder wäre da nicht ein langes Lied zu singen von der „Wahlwühlerei“ der Herren Landräthe und Gensd’armen, der hohen und gar niedrigen Staatsbeamten?
Was nun der „Wühler“ auf unserem Bilde den beiden Philistern vorträgt, das dürfte schwer zu errathen sein. Vom sozialdemokratischen Zukunftsstaate mit allen seinen verlockenden Paradiesbildern wird er ihnen schwerlich etwas erzählen. Dazu paßt die Gesellschaft nicht. Vielleicht aber erklärt er dem Bauer, wie viel mehr harte Thaler er jahraus jahrein in Folge der segensreichen Kornzölle in seine Tasche stecken wird, und rechnet dem Bäcker vor, wie viel weniger directe Steuern von Haus und Grundstück und von daliegendem zinsentragendem Vermögen von da ab bezahlt werden, da man indirecte Steuern, bei denen „die Masse es bringen muß“, eingeführt hat. Vielleicht predigt er das Gegentheil und überzeugt Beide davon, daß der Handel und Wandel frei bleiben, die Lasten auf alle Stände, je nach ihrer Zahlungsfähigkeit, gleich und gerecht vertheilt werden müssen, wenn das Reich bestehen, wenn der Einzelne gedeihen, wenn das Volk groß und stark werden soll.
Aus den Augen des Agitators auf unserem Bilde leuchtet, wiewohl versteckt, siegesfrohe Zuversicht hervor. Er hat die Beiden überzeugt, und nun weiß er, daß sie an dem nahe bevorstehenden Tage der allgemeinen Wahlen, an welchem die Stimme des schlichtesten Tagelöhners ebenso viel gilt wie die des eisernen Kanzlers, für seine Partei einstehen und in geschlossener Colonne ihren nicht unbedeutenden Anhang zur Wahlurne führen werden.
Das Mikrophon als Wasserauffinder und Quellensucher. Im
unteren Innthale, zwischen Innsbruck und Kufstein, hatte sich in den letztverflossenen
Jahrzehnten, wahrscheinlich in Folge von Waldausrottung, ein
fühlbarer Wassermangel eingestellt, der in den Umgebungen der bekannten
Bergstadt Hall besonders unangenehm hervortrat. Die Formationen der dem
Innstrome parallel laufenden Hügelketten ließen aber mit Wahrscheinlichkeit
der Vermuthung Raum, daß unterirdische Wasserläufe in genügender Mächtigkeit
vorhanden seien, um, wenn sie zu Tage gebracht würden, die darüber
befindliche Oberfläche zu bewässern. Dieser locale Uebelstand brachte den
Besitzer des Schlosses Tratzburg, nächst der Saline Hall, auf die Idee, auf
diesen Alpenabhängen in Blechkapseln eingeschlossene Mikrophone in den
Boden zu senken und dieselben jedesmal mit einem Telephon und einer
kleinen Batterie zu verbinden.
In dem gegenwärtigen Falle galt es also, das Rieseln der unterirdischen Wasseradern vernehmbarer zu machen. Der in der Natur herrschenden größeren Ruhe halber wurden die Beobachtungen mit dem Apparate bei Nachtzeit angestellt, wo die Vibrationen des Bodens geringer als bei Tage sind und derartige Wahrnehmungen sorgfältiger ausgeführt werden können. In der That gelang es vollständig, die Bewegung in den zum Theil tief unter der Erdoberfläche fließenden Wasseradern zu hören und so deren Vorhandensein und Lauf festzustellen, sodaß die Zutageförderung der Quellen bewerkstelligt werden konnte.
Ohne Zweifel wird dieser erste gelungene Versuch Nachahmung finden und eine erweiterte praktische Anwendung des Telephons, insbesondere in wasserarmen Gegenden, zur Folge haben.
Erklärung. In Nummer 27 der „Gartenlaube“ - erzählt der Verfasser
eines anonymen Artikels „Karoline Bauer als Gräfin Plater“,
daß er auf ihrem Wohnsitze Broëlberg (welcher, beiläufig gesagt,
nicht bei Horgen am Zürichsee, sondern zwei Stunden weiter abwärts
in Kilchberg liegt) neben anderen Personen auch öfter den Unterzeichneten
in Gesellschaft der Verstorbenen getroffen habe. Es ist dies
ein Gedächtnißfehler des mir unbekannten Verfassers; ich bin in dem erwähnten
Hause niemals gewesen und habe mich auch sonst keinerlei Verkehres
mit der Dame erfreut.
Zürich, im August 1881. Gottfried Keller.
Kleiner Briefkasten.
W. D. in Schwetz. Die beste und zuverlässigste Auskunft in Ihrer Angelegenheit finden Sie in dem Reichs-Coursbuch, welches im Coursbureau des Reichspostamtes bearbeitet wird und eine lichtvolle Uebersicht der sämmtlichen Eisenbahn-, Post- und Dampfschiffverbindungen in Deutschland, Oesterreich-Ungarn und der Schweiz enthält, wie es auch über die bedeutenderen Routen der übrigen Theile Europas und der Dampfschiffverbindungen mit außereuropäischen Ländern orientirt. Die nächste (vierte Sommer-) Ausgabe erscheint am 1. September d. J.: Preis 2 Mark. (Berlin, Springer.)
Leserin in Posen. Wir haben weder Beruf noch Raum zur Erfüllung Ihres Wunsches.
Naturfreund in Leipzig. Besuchen Sie uns gütigst einmal!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_568.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2020)