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Seite:Die Gartenlaube (1881) 300.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


raubend und sengend in das algerische Gebiet einfielen, die Eisenbahnen plünderten, Vieh wegtrieben und französische Unterthanen tödteten. Das war ein flagranter Bruch des Völkerrechts, welcher nunmehr Frankreich die berechtigte Veranlassung gab, nicht nur die Räuber zu züchtigen, sondern auch in dem Nachbarlande Tunis Zustände zu schaffen, welche die Wiederholung solcher Grenzverletzungen unmöglich machen. Da bot sich aber gleichzeitig die willkommene Gelegenheit, mit Waffen in der Hand den Afrikanern zu zeigen, wie mächtig die französische Nation ist, eine langerwünschte Gelegenheit, zu dem renitenten Bey mit Kanonen zu reden und auch in Tunis das französische Uebergewicht dauernd zu sichern.

Das Ziel also, welches durch den neuerdings geplanten afrikanischen Feldzug erstrebt wird, ist von der größten Bedeutung. Müßig wäre es, untersuchen zu wollen, auf wessen Seite das Recht ist, wiewohl die Stärkung des französischen Einflusses an der südlichen Küste des mittelländischen Meeres auch auf die europäischen Machtverhältnisse einen unverkennbaren Einfluß ausüben wird. Die Colonialpolitik war stets die nackteste Eroberungspolitik, bei welcher nur durch Unterjochung der Völker ein blutiger Rechtstitel auf den Besitz großer Ländermassen erworben wurde. Frankreich entfaltet nun seine Macht, um diesen Rechtstitel in Afrika geltend zu machen.

Valerius.




Das „Blockziehen“ in Steiermark.
Ein deutscher Osterbrauch.
Mitgetheilt von C. Michael.

Je mehr die fortschreitende Cultur unsere alten volksthümlichen Sitten und Gebräuche verdrängt, um so interessanter ist es, einen jener abgelegenen Winkel des deutschen Vaterlandes zu finden, wo sich dergleichen althergebrachte Formen noch völlig rein erhalten haben. Ein solcher stiller, aber reich gesegneter Erdenwinkel ist das steierische Dorf N. an der ungarischen Grenze, unweit der beiden Städtchen Fürstenfeld und Purgau. Die „Eisenbahn“ ist in dieser Gegend noch ein ungekanntes Ding; denn man hat zwei Stunden bis nach Fürstenfeld, und von da aus abermals zwei Stunden zu fahren, ehe man die nächstgelegene Bahnstation erreicht. Fremde verkehren fast gar nicht in jenen Gegenden, es sei denn, daß ein Hopfenhändler sich einfindet, um den Stand der Ernte zu prüfen oder seine Handelsgeschäfte abzuschließen. Die meisten Bewohner dieser Bergdörfer sind ihr Leben lang nicht über die nächste Kreisstadt hinaus gekommen, und auch dahin nur in höchst seltenen Fällen. Unberührt wie ihre vielhundertjährige Nationaltracht, unberührt wie ihre herzige Sprache, haben sie sich auch ihre originellen Volksfeste erhalten. Eines der beliebtesten darunter ist das sogenannte „Blockziehen“.

Wenn ein ganzes Jahr vergangen ist, ohne daß es eine Hochzeit in der Gemeinde gegeben hat, so müssen alle ledigen Bursche des Dorfes im nächsten Forst einen Eichenstamm kaufen und denselben herein in’s Dorf ziehen. Dieselbe Aufgabe fällt den Dirnen zu, nur wird für diese ein etwas kleinerer Stamm gewählt, als für die „Bub’n“. Auf dem Marktplatz werden dann beide Stämme versteigert und mittelst des Ertrages ein fröhlicher Tanz angeordnet.

Seit zehn Jahren war die Heirathslust in N. so groß gewesen, daß diese Strafe unterbleiben mußte, im vorigen Jahre aber hat sie wieder einmal stattgefunden, und zwar in großartigster Weise. Wir entnehmen die nachfolgende Schilderung des Festes dem Briefe einer Augenzeugin, einer jungen Beamtenfrau der gräflichen Meierei zu N.

„Hier hat das Osterfest viel mehr zu bedeuten, als bei Euch im Norden,“ schreibt die junge Verwalterin, „schon die Vorbereitungen dazu nahmen diesmal reichlich eine ganze Woche in Anspruch. Mein Mädchen, die ‚Stanzel‘, hatte vollauf zu thun mit dem Backen der Gugelhupfe und dem Kochen des Weihfleisches für das Gesinde; auch ein mächtiger Schweinebraten wurde schon im voraus fertig gestellt, während ich mit dem andern Mädel, der ‚Mirzel‘, Haus- und Wirthschaftsräume einer gründlichen Säuberung unterzog. Dies Alles mußte fertig sein bis zum Charfreitag, denn von diesem Tage an gehört man hier fast ausschließlich der Kirche. Meine Mägde sind sehr ‚fromm‘. Sie haben die ganze Fastenzeit[WS 1] hindurch dreimal wöchentlich gefastet, die letzten vierzehn Tage gar kein Fleisch mehr gegessen, am Charfreitag und Samstag aber nur früh und Abends eine Tasse Kaffee getrunken. Das ist für ein gesund fühlendes Herz denn doch wirklich der Kasteiung etwas zu viel. Dafür sind sie die letzten Tage Vor- und Nachmittags in der Kirche gewesen, und es hätte zu den Unmöglichkeiten gehört, sie davon zurückhalten zu wollen. Von all den kirchlichen Ceremonien, wie Grablegung, Auferstehung etc., schweige ich; denn ich halte das Ganze für ein unwürdiges abgeschmacktes Puppenspiel, und bin zuweilen empört darüber gewesen. Erhebend aber waren die Osterfeuer am Abend vor dem ersten Feiertage, und nur wer unser freundliches rings von Hügeln umschlossenes Thal kennt, vermag sich vorzustellen, wie herrlich es sich ausnahm, als ringsum auf allen Bergen die Feuer empor loderten. Die ganze Bevölkerung des Dorfes war auf den Beinen und gab durch Jodeln und Juchzen, sowie durch donnernde Flintenschüsse die ganze Nacht hindurch ihre Feststimmung kund.

Früh vier Uhr, am Ostermorgen, weckte uns hübsche Musik, begleitet von Böller- und Flintenschüssen. Eine Zigeunerbande zog am Meierhof vorüber in’s Dorf und machte auf dem Marktplatz vor der Kirche Halt, um zur Ehre des Tages einen feurigen Csardás aufzuspielen.

Nachdem den kirchlichen Pflichten genügt war, brachten unsere Leute buchstäblich den ganzen Ostertag mit Essen und Trinken zu, um sich für das ganze Fasten zu entschädigen und für die Anstrengung des morgigen ‚Blockziehens‘ zu stärken. Es gehört aber auch ein steierischer Magen dazu, um solch eine Ostermahlzeit zu bewältigen.

Unsere vierzehn Dienstleute bekamen zum Mittagsmahl: Nudelsuppe von zehn Eiern, zehn Kilo Rindfleisch mit Semmelkoch von sechszehn Semmeln, fünf Kilo Schweinebraten mit Kartoffelsalat, acht große Gugelhupfe, zwei Schinken als Weihfleisch und zwölf Weihbraten. Dazu Jeder ein Liter Wein. – Was sagt Ihr dazu in Eurem sparsamen Sachsenlande?

Der Ostermontag war also der große, heißersehnte Tag des ‚Blockziehens‘. Am letzten Sonntag war Jung und Alt hinauf in den Forst gezogen, um sich die ‚Blöcke‘ anzusehen, und es gab die heftigsten Debatten darüber, ob sie zu groß oder zu klein ausgefallen seien. Meine Mägde waren nicht weniger in Aufregung wegen ihrer Toilette; denn natürlich zeigt man sich an diesem Tage in vollem Sonntagsstaat, und die beiden strammen ‚Dearndeln‘ sahen wirklich sehr nett aus, als sie sich am Montag früh von mir verabschiedeten. Gleich allen ihren Genossinnen tragen sie vier bis fünf steife kurze Röcke über einander. Der oberste ist von neuem, blaugedrucktem Barchent, unten guckt aber die rothe oder buntfarbige Kante des nächstfolgenden hervor. Die Röcke reichen nicht einmal bis an die Knöchel, lassen also sehr derbe, spiegelblanke gewichste kurze Schaftstiefeln, die gewöhnliche Fußbekleidung der Dirnen, vollständig sehen. Den Oberkörper umschließt ein knappes Mieder von Tuch, aus dem in bauschigen Falten das weiße Hemd mit buntgestickter Kante hervorquillt. Das Hübscheste aber an der ganzen Tracht sind die ‚Fürtücher‘ (Schürzen) von oft sehr kostbaren Stoffen. Je bunter das ‚Fürtuch‘ ist, für um so schöner gilt es. Da sieht man blaue Schürzen mit eingewebter Rosenguirlande um den Rand herum oder gelbe, mit dunkelgrünen Arabesken gestickt. Die breiten langen Seidenbänder, die das ‚Fürtuch‘ halten, fallen, nach rückwärts verschlungen, als Schärpe über den dunklen Rock herab, und ein schwarzseidenes, nach rückwärts geknüpftes Kopftuch vollendet den Anzug. Die Männer tragen hier sehr lange Westen mit vierzig bis fünfzig großen Silberknöpfen. Sie sind der größte Stolz eines Hauses, diese Knöpfe, und erben fort, vom Vater auf Kind und Enkel. Dazu trägt man kurze lederne Kniehosen, hohe, sehr blank gewichste Stiefel und eine kurze blaue Tuchjacke.

Schon vom frühesten Morgen an kamen ganze Schaaren von Landleuten in der eben beschriebenen Tracht herbeigezogen. Dazwischen aber ließen sich auch einzelne Masken sehen, sogar berittene. Draußen im Walde bildete sich der Zug und kam nun langsam das Dorf herauf.

Voraus, auf schwarzem Pferde, ritt der leibhaftige Gottseibeiuns

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Adventzeit
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_300.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)