Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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Da dieser Bogen außerdem wie alle andern wachsenden Endtheile der Pflanzen in beständiger Circumnutation begriffen ist, so lockert er sich durch diese Drehung den Boden von selbst, worauf nach dem Hervorbrechen der Bogen sich gerade streckt und die sich entfaltenden Samenblätter oder, falls diese unter der Erde bleiben, das Knöspchen frei erhebt.
Darwin vergleicht diese von ihm noch genauer studirte Art des sich Hervorarbeitens der Keimpflanze aus dem Boden den Bewegungen eines Menschen, der durch eine auf ihn gefallene Ladung Heu mit ausgestreckten Armen zu Boden geworfen und auf die Seite gefallen ist. Derselbe wird unter der aus ihm liegenden Last zuerst versuchen, auf Händen und Knieen gestützt, seinen krummen Rücken in die Höhe zu bringen, um durch beständige Bewegungen den Zusammenhang der auf ihm lastenden Heumassen zu lockern. Erst dann wird er versuchen, den Oberkörper völlig aufzurichten. Diejenigen Pflanzen, welche mit einem einzigen, spitzen, das Knöspchen einschließenden Blatte emporkeimen und darnach Einblattkeimer (Monokotyledonen) genannt werden, also unsere Getreidearten, Tulpen, Lilien, Narcissen etc., bedürfen eines solchen Katzenbuckels nicht, wenn sie die Oberwelt begrüßen, da sie mit ihrem dolchartigen Keimblatt, dessen Klinge an der Spitze obendrein gehärtet ist, ohne Mühe den Boden durchbohren.
Mitunter haben die Keimlinge, bevor sie aus der Erde hervortreten können, und da Niemand sich ihrer annimmt, noch andere Schwierigkeiten durch Selbsthülfe zu besiegen. Da sollen die Keimblätter z. B. um sich zu befreien harte Samenschalen sprengen und sie abstreifen, um sogleich im Lichte Nahrung aufnehmen zu können und nicht wie die griechischen Dioskuren mit den Eierschalen auf dem Kopfe dazustehen. Bei solchen der Trennung Widerstand leistenden Samenschalen ist dann der sich gerade streckende Keimbogen zuweilen mit besonderen Zäpfchen und Vorsprüngen versehen, welche dazu dienen, die Samenschalen aus einander zu brechen. Wir sehen in der beistehenden Figur diese merkwürdige, von dem französischen Botaniker Flahault zuerst bei verschiedenen Gurken- und Kürbisgewächsen beobachtete, von Darwin auch bei andern Gewächsen nachgewiesene Vorrichtung bei dem Keimling des Eierkürbisses (Cucurbita ovifera) in ihrer ohne Weiteres verständlichen Wirkungsart dargestellt. Der Zapfen wird dabei immer auf der Seite entwickelt, die bei der Krümmung des Keimlings nach innen zu liegen kommt, wo er allein nützen kann; bei andern Keimlingen tritt ein an unsere Austernbrecher erinnernder Haken auf, und bei noch andern ist es eine querlaufende Kante, oder ein um den Hals des Keimlings laufender Kragen, der seine Befreiung aus den Samenschalen vollenden hilft. Der freie Keimling fährt natürlich in seinen schon in der Bogenform begonnenen Ringsumbeugungen fort, und ebenso verhalten sich junge, aus der Erde kommende Farnwedel und bereits die jungen Triebe der niedrigsten Pflanzen. Bei den höheren Pflanzen benehmen sich schon die Samenblätter ziemlich ähnlich in ihren Bewegungen, wie die eigentlichen Laubblätter, und bei vielen Pflanzen legen sie sich sogar des Nachts zusammen, wie bei dem sogenannten Schlaf der erwachsenen Pflanzen. Ja bei einigen Arten sind die Keimblätter bereits mit eben solchen Gelenkpolstern versehen, wie diejenigen spätern Blätter, die sich über ihre Wachsthumsperiode hinaus schließen und öffnen. Darwin hat nun auf das Klarste gezeigt, daß diese Schlafbewegungen der Samen- und Laubblätter nichts anderes sind, als durch den Wechsel von Tag und Nacht herbeigeführte vorteilhafte Abänderungen der allgemeinen Circumnutation der Blätter. Wie er in vielen Uebergangsformen beobachtete, findet das Schließen und Oeffnen der Blätter genau so statt, wie die Ringsumneigung, nur mit dem Unterschiede, daß diese sonst mehr gleichmäßige Bewegung sich mit dem Herannahen des Abends oder Morgens durch den Reiz des ab- oder zunehmenden Lichtes und der Wärme periodisch beschleunigt.
Es ist ferner nicht schwer, jenen Nutzen zu erkennen, durch welchen sich diese Bewegungen nach den bekannten Darwinschen Gesetzen der natürlichen Auslese und Zuchtwahl zur vollständigen Zusammenfaltung gesteigert haben können, sofern die Blätter durch das dichtere Aneinanderlegen offenbar vor einer zu starken und das Leben des Gewächses bedrohenden, nächtlichen Wärme- Ausstrahlung geschützt werden. Diese Ausstrahlung ist natürlich viel stärker, wenn die Blätter horizontal gegen den Himmel ausgebreitet bleiben, wie sie es am Tage sein müssen, wenn sie möglichst viel Licht aufsaugen wollen. Wir sehen z. B. die wie gewöhnlich am Tage horizontal ausgebreiteten Blätter des hierneben abgebildeten kretischen Schotenklees (Lotus creticus) gegen Abend sich senkrecht in die Höhe richten und eng zusammenschließen, indem die Rebenblätter (s) mit den eigentlichen Blättern ein einziges Packet bilden, wodurch die Abkühlung durch Ausstrahlung der Eigenwärme gegen den klaren Nachthimmel bedeutend vermindert wird. Darwin hat eine Anzahl von Keimlingen und erwachsenen Pflanzen durch künstliche Befestigung verhindert, ihre Blätter in kalten Nächten zusammenzufalten, und mehrere solche Pflanzen, deren Blätter während der Nacht im Freien wagerecht befestigt waren, litten mehr oder weniger von der Nachtkälte, während zur Controlle daneben gestellte Exemplare derselben Pflanzenart, die ihre Blätter ungehindert zusammenschließen konnten, von der Kälte gar nicht litten. Dies ist die wahre Ursache des „Pflanzenschlafs“, der, wie schon kürzlich in der „Gartenlaube“ (1880, S. 528) erwähnt wurde, mit dem Schlaf der Thiere keinerlei Vergleichspunkte bietet. Daher treffen wir die ausgebildetsten Schlafbewegungen der Blätter auch in den tropischen Ländern, woselbst der Unterschied zwischen der Tages- und Nachttemperatur in der Regel viel größer ist, als bei uns in der gemäßigten Zone, und namentlich die nächtliche Wärmeausstrahlung gegen den klaren Tropenhimmel Grade erreicht, daß z. B. in Indien Wasser gefriert, wenn man es in Erdgruben der nächtlichen Wärme - Ausstrahlung gegen das Firmament in flachen Gefäßen überläßt. So ist es begreiflich, daß auch die Samenblätter vieler Pflanzen, obwohl sie durch ihre dicke und fleischige Beschaffenheit vielleicht weniger als andere Blätter von der Nachtkälte zu leiden hätten, sich des Nachts schließen; denn sie haben zwischen sich die empfindliche junge Knospe zu behüten.
Das Laub mancher tropischen Pflanzen mit gefiederten Blättern ist gegen den Lichtwechsel so empfindlich, daß es sich schon zusammenzulegen beginnt, wenn Wolken den Himmel am Tage bedecken. Indessen dient die Licht-Ab- und Zunahme den Pflanzen wahrscheinlich nur als ein Signal für die jahraus, jahrein damit verbundene Wärme-Ab- und Zunahme gegen Abend und Morgen. Einzelne Pflanzen falten die Blätter in trockener Jahreszeit bei Tage zusammen, wohl um nicht stark zu verdunsten.
Alle diese Schutzbewegungen können nun aber auf sehr verschiedene Weise ausgeführt werden, und während wir die Blätter bei dem kretischen Schotenklee und vielen anderen Pflanzen des Abends sich heben sehen, senken sie sich bei anderen Pflanzenarten hernieder, wie z. B. bei der auf Seite 287 abgebildeten Cassia corymbosa. Außerdem ist zu bemerken, daß es sich hierbei nicht um ein einfaches Heben und Senken der Blättchen handelt, sondern es finden dabei allerlei weitere Bewegungen statt; in dem letzteren Falle richten sich zugleich die Blattstiele steiler empor und die gesenkten Blätter schließen sich dichter an einander, wobei sich das Endpaar erheblich nach rückwärts wendet, und zugleich hat eine Drehung der einzelnen Blättchen stattgefunden, wodurch die unteren Blattflächen,
welche sich weniger empfindlich gegen die Ausstrahlungskälte zeigen,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_286.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)