Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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waret? – Nebenbei. wer ist denn der junge Herr, der Dir die Unterhaltung machte, Lily?“
„Ein junger Kaufmaun – Buchhalter hier in einem Geschäft.“
„Das seinen Buchhaltern erlaubt, die Vormittagsstunde zu einem angenehmen Verkehr mit jungen Damen zu verwenden?“
„Was weiß ich?“ sagte Lily. „Er wohnt hier im Hause – das ist Alles, was ich von ihm weiß, und daß er sagt, er sei der Sohn eines reichen Kaufmanns am Rhein, sei nur hier, weil der Brauch wolle, einmal ein Jahr lang sich auch in einem anderen Geschäft umzusehen.“
„So, er wohnt hier im Hause? Was dieses alte Känguruh von Schallmeyer nicht alles für Babies in seinem Beutel hat!“
Aurel hatte sich unterdeß auf die Bank gesetzt und Lily neben sich gezogen.
„Etwas wie Antipoden,“ sagte er, auf des alten Herrn Ausdruck zurückkommend, „dem Orte nach waren wir es, Lily, aber wir werden es gewiß nicht unserem Fühlen und Denken nach sein, jetzt, wo wir uns gefunden.“
„O ganz gewiß nicht,“ antwortete Lily, ein wenig schüchtern zu ihrem Vater aufblickend, da sie nicht recht wußte, ob dieser sie so viel werde solch einem Minister einräumen lassen. „Wir werden uns gewiß recht gut verstehen,“ fuhr sie fort, „wenn Sie Nachsicht mit einem jungen Geschöpf haben, das sich hier so fremd, so furchtbar fremd fühlt.“
„Jetzt noch, wo Sie Vater und Bruder hier haben?“
„O, nun nicht mehr – nun nicht mehr, denke ich.“
„Der Bruder wenigstens wird Alles thun, um Ihnen zu zeigen, daß Sie wirklich einen Bruder an ihm hier haben.“
Aurel empfand einen warmen Druck der kleinen Hand, die fortwährend in der seinen ruhte.
„Wie gut Sie sind, Aurel, wie gut! Und ich hatte mich doch so sehr vor Ihnen gefürchtet. So schrecklich! Ich dachte, Sie ließen sich gar nicht anders sehen, als in einer goldenen Kutsche mit sechs Pferden davor. Und Sie müßten so stolz und so böse aussehen wie ein Oger. Nun sehen Sie, welch ein Kind ich bin!“
„Ein Kind unseres Papas da, der als ein grimmiger Republikaner einem Minister, wenn auch nicht sechs Pferde, doch sicherlich wenigstens einen Pferdefuß andichtet,“ sagte Aurel lächelnd.
Der alte Herr, der sich, die Hände auf dem Rücken breit vor ihnen hingepflanzt hatte und mit einer Miene eigenthümlicher Zufriedenheit auf seine beiden Kinder blickte, nickte mit dem Kopfe:
„Einen Pferdefuß habt Ihr Leute auch sammt und sonders,“ sagte er „aber der Teufel ist nicht so schlimm, wie man ihn an die Wand malt, das ist sicher, und was Dich angeht, Aurel, so sehe ich wenigstens, daß Du ihn im Familienleben abschnallen kannst, den Pferdefuß.“
„So lassen wir hier ihn und den Minister bei Seite! Und da Sie mich nun nicht mehr fürchten, Lily – nicht wahr, Sie fürchten mich nicht mehr?“
„O, nicht im Geringsten!“
„Ist auch sonst viel weniger der Grasmücke Sache, das Fürchten, als die kleine Kokette sich stellt,“ fiel der alte Lanken ein. „Weiß, daß sie eine freie amerikanische Bürgerin ist.“
„Nun wohl, da es so ist, lassen Sie uns jetzt damit beginnen, als Geschwister uns Du zu nennen!“
„Hatte schon längst meinen Spaß an Eurem verzwickten: Sie,“ lachte der alte Lanken auf.
„Gewiß, sagen wir Du, Aurel!“ nickte, leis erröthend, Lily.
„Und dann,“ fuhr Aurel fort, „soll ich nicht für ein besseres Heim für Euch sorgen? Dem Vater verbietet seine puritanische Charakterstärke, im Hause eines Ministers zu wohnen; ich bin weit entfernt, mich gegen diese Gesinnungstüchtigkeit aufzulehnen, aber Ihr habt es hier im Hause Schallmeyer’s wenig behaglich und bequem, sehr wenig comfortable, wie Ihr es nennt.“
„Na, der Comfort ging schon an,“ sagte Lanken. „Wär’ nur die alte Beutelratze von Schallmeyer nicht ein so hirnverbrannter Lump von Socialdemokraten geworden, und schliche nicht die graue Katze so unheimlich im Hause herum.“
Lily hatte lebhaft ihren Kopf bei diesem Thema erhoben; lächelnd sagte sie jetzt:
„Die graue Katze wird mich nicht verschlingen, wenn Du mich auch immer eine Grasmücke nennst, alter Pa-, und was den Herrn Schallmeyer angeht, so ist er ja, wie Du mir schriebst, Dein einziger Freund, den Du hier noch hast.“
„Heißt das, daß Du hier zufrieden bist, Lily?“ fragte Aurel.
„Ziemlich zufrieden,“ versetzte sie mit gleichgültigem Tone; „ich habe mich eingewöhnt und möchte mich nicht umquartieren – es giebt so viel Last!“
„Und dem jungen Buchhalter wäre es vielleicht eine Störung, wenn er für seine Vormittagsstunden keine Verwendung mehr fände – durch einen kleinen Speech mit Dir,“ sagte sarkastisch der alte Thierarzt, seine Tochter fixirend.
„Ueberlassen wir die Sache ganz Lily!“ fuhr Aurel fort; „ich möchte sie in einer eleganteren Wohnung sehen – aber ganz wie es ihr behagt!“
„Wie es dem Vater behagt,“ versetzte Lily, mit offenem Blicke zu ihm aufschauend.
„Ueberlaßt es mir, Kinder!“ meinte dieser jetzt, vom Stehen ermüdet sich neben Lily setzend. „Es stände einer solchen Excellenz wie Dir, Aurel, doch verdammt schlecht an, wenn sie in der Stadt umherliefe, um Wohnungen zu besehen.“
„Und kann ich sonst was für Dich thun, Lily?“ fragte Aurel. „Ich werde Dir wenigstens Deine Wohnung zu schmücken suchen, Dir Blumen senden, Bücher. Welcher Art Bücher liebst Du?“
„Oh! I like love-stories most,“ sagte Lily, als ob sie’s im Deutschen nicht so naiv offen aussprechen wolle.
Aurel wußte nicht recht, welche Art der zeitgenössischen Literatur sie damit als die von ihr bevorzugte bezeichnen wolle; sein Vater aber fiel ein:
„Love-stories, Liebesgeschichten! Das ist nun wieder eine rechte Grasmücken-Antwort. ‚Fudge‘ sagt Mr. Burchill im ‚Vicar‘. Glaub’s Ihr nicht, Aurel! Sie liest weder Liebesgeschichten noch andere Bücher. Auf der Farm gab’s zu viel zu thun. Und ich bitte Dich, woher soll man die Bücher bekommen? Zuweilen ein altes Journal von der vorigen Woche ....“
„Hast Du Musik getrieben – liebst Du Musik, Lily?“
„O gewiß,“ antwortete sie „die Deutschen haben so schöne Musik – wir hatten in Brooklyn eine Bande deutscher Musikanten, die wundervolle Strauß-Walzer spielte. Und Offenbach … ich liebe Offenbach so.“
„Sie hat in Boston auch Musikstunden genommen – ein ganzes Jahr lang,“ sagte Vater Lanken stolz.
„Ja, aber es ermüdete mich so – es war so – langweilig!“
„Sodaß ich Dir keinen Flügel senden zu lassen brauche!“ meinte mit mildem Lächeln Aurel.
„Nein, das brauchst Du nicht, Aurel – aber für Blumen werde ich Dir dankbar sein.“
Aurel versprach, ihr Blumen zu senden. Er fragte dann nach ihrem früheren Leben auf der einsamen Farm, und ließ es sich mit all seinen Eigenthümlichkeiten schildern, mit seiner seltsamen Mischung von patriarchalischem Charakter und wunderlichen Hypercultur-Elementen, mit dem Firniß großer Weltstadtsitten, die über eigenthümlich damit contrastirenden Naturzuständen liegen.
So blieb er noch lange im Gespräche mit Vater und Tochter, meist dem Geplauder Lily’s lauschend und nur ein wenig überrascht, daß diese mit keinem Worte ihre eigentliche Lage, den Zweck ihres Hierseins und ihr Verhältniß zu Ludwig Gollheim berührte. Es war wohl angeborener weiblicher Tact, daß diese erste Stunde ganz dem neugefundenen Bruder gehören sollte. Es war ihm, obwohl er ihr gern, was er in der Angelegenheit zu thun entschlossen angedeutet hätte, doch auch eine Herzenserleichterung, daß er nicht davon zu sprechen gezwungen war. Nur als die Mittagsstunde nahte und er sich aufzubrechen anschickte, nahm er den Vater bei Seite und sagte, indem er sich durch den Mittelpfad des Gartens dem Hause zuwandte:
„Bevor ich etwas thue in Lily’s Interesse, muß ich doch einen Blick auf die Dokumente werfen, welche sie über ihre Trauung mit Ludwig Gollheim besitzt. Du hast doch solche Dokumente?“
„Sicherlich hab’ ich sie.“
„So laß sie mich sehen!“
„Sehen? Glaubst Du mir etwa nicht?“
„Welcher Vorwurf! Ich glaube nur, daß ein Actenmensch wie ich scharfsichtiger ist für etwaige Formfehler oder dergleichen, was uns hier Schwierigkeiten bereiten könnte, wenn wir, was ich nicht hoffe, zu gerichtlichen Schritten gedrängt würden – scharfsichtiger, als Du es sein kannst.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_275.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)