Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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Palmen, hinter uns dichtes Gebüsch von wildem blühendem Jasmin und rings umher die mit Tamarinden, Teak und Bambusholz bewachsenen Höhen. Die Vegetation war eine so echt tropische, daß ich mir nachher oft mit meinem Hirschfänger, als wir in den Urwald eindrangen, Bahn brechen mußte. Bald geriethen wir in Gras, das über uns zusammenschlug; bald rannten wir gegen Mauern von Dornen und Gestrüpp, und bald fanden wir uns in einem Bambusdickicht, in dem die niedergebogenen Stämme regelrechte Bogengänge bildeten, während die vertrockneten und im tollsten Wirrwarr umherliegenden fast undurchdringbare Barrièren herstellten. Auch auf eine heiße Quelle, die, unter Gras versteckt, hinfloß und eine sehr hohe Temperatur aufwies, stießen wir. Spuren von Tigern begegneten wir mehrere Male, fanden sogar ihre Lagerstätte und Reste ihrer Mahlzeiten, aber nicht einer von ihnen war so höflich, sich unsern Büchsen zu stellen.
Um diesem an sich nicht uninteressanten, in seiner Grundidee aber ziemlich verfehlten Jagdausflug die Krone aufzusetzen, mußte ich zuletzt noch die übrige Gesellschaft verlieren, im Dschungel (diesen Morästen unter urweltlichem Gestrüpp) mich verirren und mich erst nach drei Tagen und drei Nächten des Umherirrens an Bord zurückfinden. Von den ausgestandenen Mühseligkeiten und durchlebten schweren Stunden lassen Sie mich schweigen! Auch davon, wie mich ein glücklicher Zufall, nein, geben wir dem die Ehre, dem sie gebührt, wie Gottes gnädige Hand mich auf den rechten Weg geleitet. Auch von diesem Extrajagdausflug brachte ich keine einzige Tigerklaue als Jagdtrophäe mit, dagegen eine andere Beute, an der ich nachmals noch Monate lang zu zehren hatte oder die vielmehr an mir zehrte – das regulärste, elendeste Dschungelfieber nämlich.
Sehr wohl und behaglich fühlte sich übrigens kaum Einer an Bord. Die starke Hitze lastete immer drückender auf uns Allen, die mangelhafte Verpflegung war auch nicht dazu angethan, die gesunkenen Kräfte zu heben; hohläugig und abgemagert schlichen die Meisten umher, und mit wahrem Jubel wurde der Dampfer begrüßt, der endlich den Brief des Gesandten an unsern Commandanten, Commodor Sundewall, brachte, mit der Benachrichtigung, daß die Empfangsaudienz beim König für den nächsten Tag anberaumt sei. Gleichzeitig erfolgte eine Aufforderung an das Officiercorps, sich an dem officiellen Acte betheiligen zu wollen, sowie das Ersuchen, dreißig Mann Seesoldaten zur Disposition zu stellen.
Am andern Morgen, Punkt sieben Uhr, bestiegen wir sämmtliche dienstfreien Officiere denn auch den Siamesischen Dampfer, Eigenthum des zweiten Königs, der uns abzuholen kam und uns den Fluß hinauf nach dem Hause des Gesandten führte.
Die Fahrt auf dem Menam war heiß und anfangs wenig lohnend. Die ganz überschwemmten Ufer, oder vielmehr Nichtufer – denn aus der weiten Wasserfläche hob sich kein Streifen Land, den man mit diesem Namen hätte beehren können – boten überall denselben schon beschriebenen Anblick einer aus den Fluthen emporragenden, überraschend üppigen Tropenvegetation mit keiner anderen Abwechselung als gelegentlich einigen auf Pfählen gebauten Häusern oder eben solchen Tempelchen.
Recht eigenthümlich dagegen ist der erste Eindruck, den, beim Einlaufen, die Haupt- und Residenzstadt Bangkok selber macht. Wie überall im Fluß sieht man auch hier vom festen Lande wenig. Das Ufer wird nur durch die an beiden Seiten des Flusses stehenden Häuser bezeichnet. Außer diesen vorgeschobenen Gebäuden bildet aber noch eine zweite Häuserreihe, die auf dem Flusse schwimmt, eine breite Straße. Diese natürlich nur kleinen, einstöckigen Baulichkeiten, die aber immerhin groß genug sind, eine Familie zu beherbergen, ja, den Meisten noch gestatten, einen Laden zu eröffnen, sind auf Flößen von Bambusrohr errichtet und werden von Pfählen, welche in den Grund gerammt sind, an der Stelle, die sie einmal einnehmen, im reißenden Strome festgehalten. Gedenkt nun ein pfahlgesessner Siamese auszuziehen, gefällt ihm sein Nachbar oder seines Nachbarn Weib nicht mehr, oder haben sich gefährliche Concurrenzgeschäfte in seiner Nähe aufgethan, kurz, wünscht er aus einem beliebigen Grunde sich zu verändern, so zieht er einfach sein Haus aus der Reihe der übrigen und läßt sich mit ihm den Strom hinab, bis zu der ihm passenden Stelle treiben – eine Einfachheit des Verfahrens, wie geschaffen für einen Umzugswüthigen und zudem als höchstes Muster einer jeden „Freizügigkeit“ nicht warm genug zu empfehlen! Mich selber hat die Erinnerung an diese „abschwimmenden“ Siamesen noch nachträglich manch liebes Mal mit blassen Neid erfüllt, als ich in spätern Jahren mir selbst ein Haus gegründet hatte und clavierklimpernde, violinkratzende oder Zukunftsarien donnernde Virtuosen den Penaten desselben gefährlich wurden, oder gar, als ich, selbst pfahlgesessen im gesegneten Wilhelmshaven, den dortigen zähen Schlick nicht Miene machen sah, seine in ihn gerammte Beute „auf Wunsch“ in bessere Gefilde forttreiben zu lassen.
Wem einmal in die Seele, lenzerschlossen,
Der höchste Sonnenglanz des Daseins drang,
Dem wird tiefinnen reicher Frühling sprossen
Und leuchtend blühen all sein Leben lang.
Aus tausend Sternen seine Sonne spricht.
Sie künden ihm in goldnen Riesenlettern:
Unsterblich ist die Liebe wie das Licht!
Zwei Stunden aus der Zeit der Petersburger Trauerfeierlichkeiten. Die Petersburger Festungskirche, diese große Grabstätte der russischen Herrscherfamilie seit Peter dem Großen, bot, so lange die kaiserliche Leiche noch auf dem Paradebette lag, für den Beschauer einen eigenthümlichen Gegensatz irdischer Herrlichkeit und irdischer Hinfälligkeit; sie zeigte uns Scenen äußeren Glanzes, wenn der gesammte Hofstaat zur Seelenmesse für den gemordeten Kaiser versammelt war, aber sie entrollte ein Bild anspruchsloser Einfachheit, verbunden mit inniger, tief zu Herzen gehender Trauer, wenn in der späten Nachtstunde das niedere russische Volk sich dem Kaisersarge näherte, um dem, der sie aus Sclaven zu freien Menschen gemacht, die letzte Ehre zu erweisen. Diese beiden Gegensätze möchte ich versuchen, Ihren Lesern vor die Augen zu führen.
Auf höchsten Befehl war bekanntlich für jeden Mittag 12 Uhr Seelenmesse für den todten Kaiser Alexander den Zweiten angesagt, und bereits um 11 Uhr sah man die elegantesten Equipagen und Schlitten, Kutscher und Diener in tiefer Trauerlivrée, die an den Wagen befindlichen Wappen und Laternen mit schwarzem Tuch verhangen, sich über die zugefrorene Newa nach der Festungskirche hinüberbewegen. Aus den zahlreichen Fuhrwerken stiegen, am Thor der Kirche angelangt, ihre Insassen aus, hochgestellte Generäle und Minister, die glänzenden Uniformen in Flor gehüllt, auf der Brust ein Meer von Sternen, Staats- und Hofdamen im langen schwarzen Trauergewande, genau nach der vorgeschriebenen Form, und zwar je höher der Rang, je länger die Schleppe, Garde-Officiere aller Waffengattungen, Kammerherrn und Kammerjunker, kurzum Alles, was irgendwie in näherer Beziehung zum Kaiserhofe steht. Sie traten in die Kirche und schlugen der Gewohnheit gemäß das Kreuzeszeichen. Hier und da bildeten sich Gruppen, welche in selbstverständlich leise geführtem Gespräch – der richtige Hofmann kennt ja kaum ein anderes – die Ankunft der kaiserlichen Familie erwarteten.
In der Mitte der Kirche auf hohem Postament, zu welchem breite Stufen hinaufführen, stand der prachtvolle goldene Sarg, der die sterbliche Hülle desjenigen trug, auf dessen Wink die jetzt im Gotteshaus Versammelten erhöht oder erniedrigt wurden. Ueber der letzten Behausung des Herrschers, der das größte Reich der Erde regierte, breitete sich der kaiserliche Hermelin-Baldachin, geschmückt mit der Kaiserkrone, aus. Den Sarg umgaben die Ehrenposten, Generale, Garde-Officiere, Vertreter anderer Truppentheile, Träger der höchsten Hofchargen, alle in mit Trauer verhüllter Gala-Uniform. Nahe an hundert Orden und Medaillen des hohen Verstorbenen lagen auf goldenen Tabourets zu Füßen des Sarges, zu Häupten desselben die neun Kronen, welche dereinst sein Haupt schmückten, die kostbaren Reichsinsignien, Fahne, Scepter und Reichsschwert. Tausende von Wachskerzen erleuchteten den Raum taghell; denn die Bogenfenster der Kirche waren mit schwarzem Tuch verhängt.
Eben naht sich die gesammte hohe Geistlichkeit in ihren von Gold und Edelsteinen strotzenden Gewändern, und kaum haben die drei höchsten Kirchenfürsten, die Metropoliten von Petersburg, Moskau und Kiew neben dem Sarge Aufstellung genommen, so öffnen sich auch schon die Flügelthüren der Kirche; Herolde treten ein, in altdeutsche Tracht gekleidet, das schwarze Sammetwamms reich mit Silber gestickt; das ebenfalls
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_255.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)