Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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den Staub werfen muß – oder wenigstens damals mußte – nur durch Aufheben der Hände und nimmt seinen Sitz neben ihm ein. Wichtige Verträge dürfen nur mit seiner Genehmigung abgeschlossen werden, aber im Uebrigen ist sein einziges Amt die Anführung im Kriege. Beiden Königen, namentlich dem ersten, werden beinahe göttliche Ehren erwiesen.
Von den Prinzen sind immer drei die Leiter des Hofstaats und Beaufsichtiger der obersten Beamten, welche letztere aus fünf Rangclassen bestehen, deren erste die Minister bilden. Ob diese Eliteclassen unter einander sehr harmoniren, vermag ich nicht zu sagen, in einem Punkte jedenfalls sind sie merkwürdig einig: das Volk zu knechten und auszusaugen. Das große Heer schmarotzender Würdenträger und übermüthiger Beamten ist ein schwerer Druck für sämmtliche niederen Classen.
Ich bedaure überhaupt innigst, Ihnen, der für alle Menschenrechte so warm Plaidirenden, melden zu müssen, daß mir, des gewissenhaftesten Forschens ungeachtet, es nicht hat gelingen wollen, irgend welche Rechte des Volkes feststellen zu können, sondern daß ich einzig und allein von Pflichten desselben gehört. Derer aber schien mir Legion zu sein und darunter recht seltsame und drückende. Was sagen Sie z. B. zu der Verpflichtung, die jeder Siamese hat, dem Staat eine bestimmte Zeit als Sclave und eine andere als – Priester zu dienen?
Trotz dieses Druckes von oben herunter ist der Siamese im Allgemeinen gutmüthig, gehorsam und respectvoll, nicht allein gegen Höhergestellte, sondern auch gegen das Alter. Auch ist er von Natur ehrlich. Diebstähle sollen zu den Seltenheiten gehören und Mordthaten noch vereinzelter vorkommen. Neugierig und naiv wie ein Kind, will er alles haben, was er sieht, ist aber auch zu jedem Gegengeschenk bereit. Leidenschaftlich ist er nur beim Spiel. Dieses besteht, so viel ich es verstehen konnte, aus einer Art „Paar oder Unpaar“. Die Spieler sitzen um eine große, fast wie ein Roulette aussehende Matte herum, auf welcher sternartig einige schwarze Streifen gemalt sind. Zwischen diese deponiren nun die Spieler ihre Sätze; der Bankhalter zählt aus einem vor ihm liegenden Haufen kleiner weißer Muscheln zwanzig ab, und je nachdem der Rest paar oder unpaar ist, zieht er die Einsätze ein oder zahlt die Gewinne aus. Die Spielwuth ist eine außerordentliche. Es soll nicht selten vorkommen, daß leidenschaftliche Pointeure Hab und Gut und zuletzt sich selbst und ihre ganze Familie verspielen. Und wie die Species „Mensch“ sich überall gleich ist! Auch hier sind die allerleidenschaftlichsten und diejenigen, die das zahlreichste, das ausdauerndste und das wagehalsigste Contingent stellen, die – Damen!
Wie das Spiel die größte Passion der Siamesen ist, so ist die Musik ihre höchste Lust, obgleich die große Kostbarkeit der Instrumente die Ausübung dieser Kunst nur Wenigen möglich macht. Die hauptsächlichen Instrumente sind die Laosflöte und das Glockenspiel, außerdem noch Handtrommel, Pauke und kupferne Hörner. Eigenartig sind nur die beiden erstgenannten. Die Laosflöte besteht aus einer Anzahl von verschieden langen, regelrecht an einander befestigten Rohrstäben, welche unten mit einem Mundstück und Fingerlöchern versehen sind. Ihre Form erinnert an die alte,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_253.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)