Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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lieblichen Wohlgeruch ausströmend, so gut erhalten aufgefunden wurde, als ob der Tod erst gestern eingetreten wäre“. Bei der Wundergläubigkeit der Bevölkerung lag es daher nahe, daß man die Unverweslichkeit als ein Wunder betrachtete und den Vogt, obgleich er nicht im Besitze von Legitimationspapieren, ja nicht einmal eines verbürgten Namens war, als Heiligen ansah, auch ohne daß die Canonisation von Rom aus erfolgt wäre.
Ueber die Herkunft des Vogtes erzählt nun die Legende, er sei Hausvogt und Schloßcaplan der Kaiserin Helena, der Mutter Constantin’s des Großen, gewesen, die in Sinzig residirt habe. Geschichtlich läßt sich dies nicht nachweisen, doch leitet der Volksmund die Namen verschiedener Sinziger Localitäten von hohem Alter von der Anwesenheit jener Kaiserin ab.
Besagter Vogt nun zeichnete sich durch einen exemplarisch reinen Lebenswandel aus und legte besonderen Eifer in Bekehrung der Heiden im Rhein- und Ahrthale an den Tag. Von den vier bei der Beurtheilung eines Heiligen in Betracht kommenden Haupttugenden: Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung habe er sich besonders letzterer in hohem Grade beflissen und durch beispiellose Abtödtung in Speise und Trank seinen Leib so sehr kasteiet, daß er nach dem Tode der Verwesung nicht anheim fallen konnte, sondern der Nachwelt als leuchtendes Muster zur Nachahmung erhalten blieb.
Kaiserin Helena ließ ihren Vogt sodann in einer von ihr erbauten Gruft neben der heutigen Kirche beisetzen, wo er ungestört ruhte, bis vor etwa zweihundert Jahren einer frommen alten Frau im Traume ein Engel erschien, der ihr befahl, an der betreffenden Stelle nachgraben zu lassen. Dies geschah, und so wurde der Leib des heiligen Vogtes entdeckt – der bekannte „liebliche Wohlgeruch“ fehlte auch in diesem Falle nicht – und in die Kirche gebracht.
Nach einer andern wesentlich abweichenden Lesart lebte der Heilige als Schloßvogt bei einem römischen Großen in dem benachbarten dicht am Rhein gelegenen Rigomagus, jetzt Remagen, und führte ein nichts weniger als heiliges Leben; im Gegentheil war er unter seinen leichtlebigen Genossen geradezu einer der schlimmsten. Nach einer schweren Krankheit, von welcher seine in’s Grab mitgenommene Magerkeit her datirt, bekehrte er sich zum Christenthum und zog sich in das obere Ahrthal zurück, wo er sich als Klausner fern vom Weltgetümmel frommen Uebungen hingab. Nur der Teufel, der ihn mit allen möglichen Mitteln wieder in die Welt zurückzuführen suchte, störte ihn in seiner Einsamkeit. Aus Aerger über die Hartnäckigkeit des Gottesmannes warf der Teufel einmal nach ihm mit einem Beile, das jedoch nicht sein Ziel, sondern einen Felsen traf. Das Loch, das hierbei entstand, wird heute noch gezeigt, ebenso wie die unter dem Namen „Teufelslei“ bekannten, wirr durch einander liegenden Felsblöcke, mit welchen Satanas eines Tages einen bis an den Himmel reichenden Thurm bauen wollte, bis der Einsiedler diesen durch einen kräftigen Segensspruch zum Einsturze brachte und den Teufel aus dem Ahrthale vertrieb. Letzterer spukt seitdem nur noch in den Rothweinen, welche an den Schieferabhängen des Thales gezogen werden und deren Feuer schon von Vater Arndt in seinen „Ahrwanderungen“ gebührend gewürdigt wird.
Nach dem Tode des Klausners blieb sein Körper unverwest. Da Niemand da war, ihn zu begraben oder zu verehren, so hoben ihn die mitleidigen Wellen der Ahr auf ihren Rücken, trugen ihn thalabwärts und setzte ihn bei Sinzig in der Nähe der Brücke wohlbehalten an’s Gestade. Gar bald sammelte sich daselbst eine zahlreiche Menge, welche sich stritt, was mit dem Fremdling anzufangen sei. Endlich gewann die Ansicht die Oberhand, daß dies ein sogenanntes „Pestmännchen“ sein müsse, das Tod und Verderben bringe, wohin es komme, und es wurde daher der Entschluß gefaßt, die Leiche wieder in die Ahr zu werfen, um das der Vaterstadt drohende Unheil abzuwenden und es irgend einem der nahegelegenen Rheinorte freundnachbarlichst zuzuschicken. Aber siehe da, der Körper wurde auf einmal so schwer, daß ihn ein Dutzend der stärksten Männer nicht von der Stelle zu heben vermochten. Da erkannte man denn deutlich, daß man es mit einem Heiligen zu thun habe, und führte ihn, der auf einmal wieder federleicht geworden, mit Sang und Klang nach Sinzig.
Das Städtchen hatte dies nicht zu bereuen; denn der heilige Vogt vergalt die ihm erwiesene Gastfreundschaft dadurch, daß er die Einwohnerschaft vor ansteckenden Krankheiten bewahrte und bewirkte, daß Sinzig in den schweren Kriegen viel glimpflicher behandelt wurde, als die Nachbarstädte. So weit die Legende, wie sie sich im Volksmunde erhalten hat.
Gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts kam der gute Vogt etwas in Mißcredit. Sei es, daß er in seinen alten Tagen der Ruhe pflege und nichts mehr mit dieser verderbten Welt zu thun haben wollte, oder daß die Wundergläubigkeit der Sinziger abgenommen hatte, kurz die frühere pietätvolle Verehrung war gänzlich verschwunden. Nicht einmal sein ehrwürdiges Alter schützte ihn vor dem Muthwillen der übermüthigen Jugend.
So fand man ihn einmal an einem israelitischen Festtage in der Hausflur einer jüdischen Familie, welche in Folge dessen gezwungen war, das dadurch verunreinigte Haus von oben bis unten noch einmal zu scheuern. Da die Urheber dieses schlechten Witzes nicht ausfindig zu machen waren, blieb obendrein auf dem Vogt noch der Verdacht lasten den für sein Alter äußerst unpassenden Scherz selbstständig ausgeführt zu haben. Indeß fand sich gar bald Gelegenheit zu glänzender Wiederherstellung seines früheren Ansehens.
Während des siebenjährigen Krieges kamen nämlich die Franzosen als ungebetene Gäste auch nach Sinzig. Einer derselben schnitt – vielleicht aus Muthwillen – der Mumie ein Stück aus der Schulter und nahm es beim Abmarsch in seinem Tornister mit. Er kam auch glücklich bis zu dem benachbarten Schwalbenberge. Plötzlich begann das Stück in seinem Tornister zu rumoren und in einer fremden Sprache zu sprechen. Gleichzeitig vermehrte sich das Gewicht des Tornisters immer mehr, bis er ihn endlich nicht mehr weiter zu schleppen vermochte. Schließlich warf er ihn auf einen Bagagewagen, aber vier Pferde vermochten ihn nicht von der Stelle zu bringen. Nach langem, vergeblichem Bemühen blieb nichts anderes übrig, als dem Heiligen das geraubte Stück zurückzugeben, das dann an der betreffenden Stelle wieder eingesetzt wurde.
Im Jahre 1794 wurde abermals die Ruhe des heiligen Vogtes gestört, und zwar wieder durch die Franzosen. Diese begnügten sich aber diesmal nicht blos mit einem Stücke, sondern packten die Mumie sorgfältig ein, um sie als Merkwürdigkeit nach Paris zu schicken. Damals begannen bekanntlich die Franzosen das später noch mehr ausgebildete System einzuführen, die bemerkenswerthesten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_249.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2022)