Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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ihnen mochten ihn erkennen oder sich seiner politischen Bedeutung von ehemals erinnern; sie schlugen sich respectvoll auf seine Seite; mehrere ältere Männer drängten sich vertheidigend um ihn.
Die stürmischen Gefühle des alten Herrn aber beruhigten sich, als er sah, daß er nicht mehr allein stand. Er wischte sich athemschöpfend die Stirn.
„Seh doch, daß es auch noch vernünftige Leute hier giebt,“ sagte er dabei zu Schallmayer, der jetzt den Arm unter den seinigen schob, um ihn fortzuziehen. „Ich komme schon, komme schon; such’ mir nur meinen Hut, und dann machen wir uns davon – dieser Eurer rothen Flagge bring’ ich schon noch ein ander Mal bei, auf halben Mast herunterzugehen.“
Und dabei stülpte er sich trotzig den breitrandigen Filz, den Schallmeyer ihm brachte, auf die erhitzte Stirn, und Beide verschwanden durch eine nahe in ihrem Rücken befindliche Hinterthür.
Als sie draußen auf der stillen Straße waren, sagte Lanken, den Arm Schallmeyer’s abschiebend:
„Daß Du zu diesen Menschen hältst, Schallmeyer, das gefällt mir nicht.“
„War’s denn nicht lustig?“ versetzte Schallmeyer. „Mußte Dir doch just zu Muthe sein, als ob Du in einer Washingtoner Parlamentssitzung wärest – nur ein paar Revolverschüsse fehlten.“
„So? Ist das Deine Vorstellung davon? Dann irrst Du gewaltig. Geht da Alles sehr würdig und gemessen zu, wie es sich für die gesetzgebende Versammlung eines freien Landes, für die Staatsmänner einer Republik geziemt.“
„Ah bah – Eure Republikaner kennen wir! Capitalisten sind’s, Bourgeoisleute, deren Söhne das Holz sind, aus denen man Minister machen kann. Nimm mir’s nicht übel, Lanken, aber für Deine Republik gebe ich keinen Schuß Pulver. Und wenn Du’s wissen willst – in Deinem Sohne steckt noch mehr als in Dir. Man hört doch zuweilen aus seinen Kammerreden noch einen großen Zukunftsgedanken heraus.“
„In der That? Nun meinethalb! Aber jetzt, Känguruh, thu mir den Gefallen und zeige mir eine andere Restauration, wo ich zu meinem Beefsteak kommen kann, ohne es mir von Eurer Politik verpfeffern lassen zu müssen!“
Wenn man in der Hauptstraße unserer Haupt- und Residenzstadt westwärts wandelte, gelangte man auf einen mit grünen Rasenanlagen und schönen alten Bäumen geschmückten Platz, jenseits dessen sich das mit seinen Rococofronten und Mansardendächern durch die grünen Ulmen- und Ahornwipfel schimmernde Fürstenschloß erhob. Die Ausmündung der Straße aber, die auf diesen Schloßplatz führte, wurde durch zwei palaisartige Bauten gebildet, die beide zu gleicher Zeit nach dem gleichen Plane entstanden sein mußten; beide bestanden aus zwei im rechten Winkel zusammenschießenden Flügeln, deren äußerste Ecken durch eine niedere Mauer mit einem schönen und reichen Gitterwerk aus geschlagenem Eisen verbunden waren, welches nach dem Schloßplatz hin eine schräge Linie bildete. Das eine dieser Gebäude zeigte verschlossene Läden und schien für den Augenblick unbewohnt; desto belebter war das andere – auf dem kleinen, von dem schrägen Gitter abgeschlossenen Hofe waren Stallleute beschäftigt, eine Kalesche zu waschen; auf dem Balcon über dem durch eine vorgeschobene kleine Säulenhalle geschützten Portal stellte eine Zofe Blumen aus; an einem der Fenster wurden Vorhänge aufgezogen, die den Tag hindurch die Strahlen der jetzt untergehenden Sonne abgehalten hatten.
Es war Abend geworden, und in den hinteren nach Osten liegenden Räumen des Hotels, die auf einen mäßig großen, parkähnlich angelegten Garten mit alten Bäumen hinausgingen, dunkelte es bereits. Es waren große, hohe, aber ein wenig frostig und ungemüthlich ausschauende Gemächer, diese Räume, deren ursprüngliche Einrichtung zu vortrefflich mit dem ganzen Stil des Rococobaues harmonirte, als daß man wohl je auf den Gedanken gekommen, viel daran zu ändern. Nur die Zeit hatte mit leiser Hand daran gerührt, die Farben gedämpft, die Vergoldungen an den krummbeinigen Spiegeltischen ergrauen und die alten Oelgemälde so nachdunkeln lassen, daß man jetzt in dem abnehmenden Tageslicht schon gar nicht mehr sah, was sie darstellten. Aber auch wenn dies nicht der Fall und sie von der Hand des größten Meisters gemalt gewesen, hätte ihnen wohl Niemand Aufmerksamkeit geschenkt, der den kleinen ovalen Salon in der Mitte dieser Räume betreten – des reizenden lebenden Bildes wegen, das hier sein Auge gefesselt haben würde.
Die große, auf einen geräumigen Balcon hinausgehende Fensterthür stand offen; man blickte durch sie auf eine dichte grüne Laubwand hinaus, und auf diesem Hintergrunde sich abzeichnend, lehnte sich an den Rahmen der Thür eine hohe, schlankgebaute weibliche Gestalt in einem hellen Kleide von leichtem Stoffe; ihre Züge waren in dem Halbdunkel, das darauf lag, nicht scharf zu unterscheiden; man nahm nur ein vollkommen schönes Oval des Kopfes wahr, auf dessen kastanienbraunem, reichgelocktem und über die Schultern frei niederfallendem Haar goldene Lichter lagen, von einzelnen, durch die grünen Wipfel brechenden letzten Sonnenstrahlen darauf geworfen. In der Haltung der jungen Dame, in der Art, mit der sie wie müde ihr Haupt und die Schulter an den Thürrahmen lehnte, sprach sich eine gewisse Niedergeschlagenheit oder Ermattung wie unter der Last drückender Gedanken aus. Und dieser Eindruck konnte nur verstärkt werden durch den Reflex, den ihre Gemüthsstimmung in den Zügen eines jungen Mannes zu finden schien, eines verdrossen darein schauenden und hochaufgeschossenen Jünglings in der Mitte der Zwanziger, der unfern von ihr verkehrt auf einem Stuhle saß, die Arme auf die Lehne desselben stützend und seinen Kopf dem Lichte zuwendend, sodaß man seine aristokratischen, aber ein wenig bleichen und leidenden Züge wahrnahm. Die hellgrauen Augen schauten, wenn die breiten Lider, von denen sie halb bedeckt waren, sich hoben, merkwürdig matt darein – um den seinen Mund zuckte dann etwas wie Spott und Verachtung, aber in der ganzen Haltung und dem Wesen des jungen Mannes lag nichts von dem Ausdruck energischen Kraftbewußtseins, dem man die Menschenverachtung allenfalls verzeiht.
Von den beiden jungen Leuten durch einen in der Mitte des Salons stehenden Tisch getrennt, ging in der Tiefe des Gemachs ein älterer Herr auf und ab, der sehr lebhaft sprach; ein kräftig gebauter Mann mit starkem grauem Schnurr- und Backenbart, in weißer Binde und weißer Weste, aber in einer bequemen Jagdjoppe, in deren Seitentaschen er seine Hände gesenkt hatte; er trug den Kopf ein wenig vorgebeugt, warf ihn jedoch von Zeit zu Zeit wie mit einer Bewegung zornigen Stolzes in den Nacken und seine Stimme bekam dann jedesmal etwas von einem unangenehm scharfen Discant, der mit der breitschulterigen Gestalt gar nicht in Harmonie stand.
„Es ist ganz genau so zugegangen, wie ich Dir sage, Regina,“ sagte er; „der Becker, auf den ich mich von allen meinen Leuten am meisten verlassen kann, ist ja selbst dabei gewesen und hat es mir als Augenzeuge berichtet – die helle Wirthshausschlägerei unter diesen Socialdemokraten, und inmitten des Tumults des Vater Lanken, eben aus Amerika angekommen, um, wie es scheint, Bewegung in die Sache zu bringen. Es muß unendlich erheiternd für seinen Herrn Sohn sein – aber das geht diesen an – uns nur die Nothwendigkeit, die Verbindung mit diesen Leuten gründlich abzubrechen, wie Du nun endlich doch wohl einsehen wirst.“
„Seltsam, lieber Papa,“ sagte der junge Mann jetzt, indem er lässig in seine Brusttasche fuhr und ein Cigaretten-Etui hervorholte, um es dann jedoch nachdenklich wie ein Rad durch seine Finger kreisen zu lassen; „seltsam, daß Dein Herr Becker, ein Beamter des Oberstallmeisteramtes, in den Bierhäusern der Socialdemokraten verkehrt, um Dir zu berichten, was darin vorgeht!“
„Ich hindere meine Leute nicht, zu verkehren, wo es ihnen gefällt, wenn sie dienstfrei sind,“ antwortete der alte Herr zornig.
„Dienstfrei!“ wiederholte der junge Mann halblaut, als ob er Zweifel an der völligen Dienstfreiheit des Mannes hege, der so genau beobachtet und die Resultate seiner Beobachtungen seinem Chef hinterbracht hatte.
„Uebrigens,“ fuhr dieser fort, „kommt es ja gar nicht darauf an; die ganze Stadt wird morgen von dem Skandal wissen. Und ganz aufrichtig gesagt – mir ist die Sache ganz und gar nicht leid. Deinetwegen nicht, Regina. Man kommt dadurch zu einer ganz einfachen und klaren Position.“
„Du siehst darin heller und ruhiger als ich,“ sagte das junge Mädchen, mit einem Seufzer sich aufrichtend und ihre Stellung verändernd, indem sie nun mit dem Rücken sich an die Umrahmung der Glasthür lehnte und, die Hände über dem Schooße faltend, in das Abendlicht blickte, das jetzt einen eigenthümlichen feinen Goldschimmer auf ihre schönen ernsten Züge legte, Züge, welche
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_243.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)