Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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als Zimmernachbar und als Dein Landsmann von drüben her Dich um die Vergünstigung bitten lassen, Dir einen Besuch machen zu dürfen. Du wirst das passend finden, gelt, my darling? Du wirst herablassend den Besuch annehmen, und nachher werden wir merkwürdig gute Freunde werden – die Grasmücke und ich!“
„Ganz wie Du meinst, Papa! Also ich schlüpfe jetzt in mein Zimmer zurück; am Abende erwidere ich die Freundlichkeit Deines Besuches durch eine Einladung zum Thee.“
„Gut ausgesonnen,“ versetzte lächelnd der alte Herr. „Aurel’s Polizei wird hoffentlich nichts dagegen haben. Wir werden den Thee zusammen trinken und uns dabei unsere Reise-Abenteuer erzählen – aber auch unsere Schlachtpläne machen. Wenn ich nur erst ein wenig recognoscirt habe, wo der Feind steht und wie stark er ist! Werden ja sehen!“ – – –
Als Lanken nach einer kurzen Frist das Haus verließ und gestützt auf seine alte Localkenntniß leicht die Restauration ausfindig machte, welche ihm Frau Förster, die leise redende Wirthschafterin, bezeichnet hatte, fand er in dem nach seinen Begriffen sehr verräuchert aussehenden Local seinen Wirth bereits vor. Schallmeyer saß in der hintersten dunkelsten Ecke unter einer Gruppe biertrinkender Herren um einen runden Tisch und holte seinen Gast sofort zu dieser Gesellschaft heran. Lanken mußte unter ihnen Platz nehmen; Schallmeyer hatte offenbar eben die Tafelrunde von seiner Ankunft unterrichtet, und der alte Lanken von 1848 war sicherlich das Thema ihrer die großen Volksmänner von dazumal verherrlichenden Unterhaltung gewesen. Lanken sah sich mit einer Art löwenhaften Bewußtseins unter ihnen um, und indem er in die schweigend ihn anstarrenden Gesichter blickte, leuchtete aus seinen Augen ein stolzer Glanz; vielleicht war es der Abglanz einer Vorahnung des imposanten Fackelzuges, welchen ihm diese Biedermänner zu bringen gedachten und eben beriethen.
„Geräthst hier gleich in einen Kreis von lauter guten Freunden,“ sagte Schallmeyer vorstellend, „lauter Leuten auf der Höhe der Zeit; wirst schon sehen, daß die Uhren nicht blos bei Euch drüben vorwärts gehen, sondern hier zu Lande auch –“
„Und am meisten bei denen, die gar keine haben,“ warf hier mit einem unmotivirt rohen Gelächter ein vierschrötiger Herr mit einem dicken rothen Kopfe dazwischen.
„Calculire, ist ein wenig Euer Fehler hier,“ sagte Lanken, der sich breit und bequem aus dem Platz, den man ihm gemacht, niederließ, „keine Uhren zu haben.“
„Was willst Du damit sagen?“ fragte Schallmeyer.
„Damit will ich sagen, daß wir drüben doch ein wenig besser den Werth der Zeit kennen. ‚Time is money,‘ sagen wir drüben …“
„Und glauben Sie damit etwas sehr Gescheidtes gesagt zu haben?“ fragte hier ein noch junger Mann, der ein auffallend schönes Gesicht mit einem prächtigen dunkeln Haarwuchs hatte, wenn nur das Gesicht nicht so roth unnd nicht so wunderlich mit einer erschrecklichen Menge von Pusteln betupft gewesen wäre.
„Damit glaube ich allerdings etwas Gescheidtes gesagt zu haben,“ versetzte, durch die Querfrage betroffen, der ehemalige Thierarzt.
„Dann bedauere ich Sie,“ erwiderte still lächelnd der fleckige Apollokopf.
Lanken sah ihn verwundert an und wollte etwas Scharfes zur Antwort geben, als Schallmeyer ihn mit dem Arm anstieß und mit einer schadenfrohen Miene sagte:
„Laß Dich warnen, alter Freund, vor einem Disput mit diesem Herrn da; es ist Milchsieber – unser berühmter Milchsieber, ist mit dem echten socialdemokratischen Wasser getauft.“
„Meinethalben mag er getauft sein – was aber das socialdemokratische Wasser angeht, so fürcht’ ich mich nicht vor ihm; ist eine ganz verdammte, niederträchtige Fluth, die erst ablaufen muß, bevor der richtige Fortschritt sein Werk wieder aufnehmen und Euch zu den politischen Umgestaltungen führen kann, deren Ihr hier zu Lande bedürft.“
„Und ist Ihnen wohl klar geworden, welches die politischen Umgestaltungen sind, deren wir hier bedürfen?“ fragte Apollo-Milchsieber mit der bewundernswerthen Ruhe, welche die überlegenen Geister auszeichnet. Lanken maß ihn mit einem verachtungsvollen Blicke. Er war nicht gekommen, um sich hier so examiniren zu lassen – ganz im Gegentheil!
„Ich denke,“ sagte er, „da ich, noch ehe Sie geboren wurden, schon darüber meine Betrachtungen angestellt habe, kann es mir klar geworden sein. Und wenn Sie sich seitdem ein wenig mit der Geschichte von 1848 beschäftigt hätten, würden Sie wissen, daß der alte Lanken ein Republikaner von echtem Schrot und Korn war, und das ist er mit Gottes Hülfe auch geblieben. Außer der Republik kein Heil, und in der Republik Platz für die freie Entfaltung aller Kräfte, Schutz für alle Früchte, welche die individuelle Kraftentfaltung sich erringt: auf die individuelle Kraftentfaltung, darauf muß Alles gebaut sein, Herr, nichts auf die Vorzüge der Geburt und der Kaste, aber was der Einzelne für sich, seine Familie, seine Kinder erwirbt und erringt, das will ich ihm gesichert sehen für alle Zeiten, und wer mir mit Theorien kommt, wie: das Ergebniß meines Fleißes und meiner Intelligenz sei ein Raub an der Gesammtheit, den laß ich hängen in meiner Republik, Herr.“
„Danke, Herr,“ entgegnete mild lächelnd der Apollo mit den Tupfen, während Schallmeyer sagte:
„Alter Junge, Du bist bedauerlich hinter der Zeit zurückgeblieben mit Deinem Republikanerthum. Du willst zwar nicht, daß der Baron kraft seines Geburtsrechts den Leibeigenen ausbeutet, aber Du willst mit den Früchten Deines Fleißes, als Capitalist den Arbeiter, den Du Dir einspannst, ausbeuten.“
„Bourgeoistheorien!“ sagte hier der dicke Rothe wieder mit dem unmotivirten Auflachen.
„Diese Republikaner von Anno dazumal,“ bemerkte Milchsieber, seine Nachbarn rechts und links anschauend, als ob er ihnen eine Erklärung des Phänomens eines so wunderlichen alten Volksmannes schuldig sei – „diese Republikaner sind alle in dem betrübten Irrthum stecken geblieben, daß das Heil der Menschen von ihrer politischen Staatsform allein abhänge. Die Könige abgeschafft, die Staatsgewalt vom Willen des Volkes abhängig, das wieder vom Bourgeois abhängig ist – und das tausendjährige Reich ist für sie da. Welcher Blödsinn! Ob Sie ein glückliches menschenwürdiges Dasein führen, das, mein Bester, hängt nicht davon ab, ob Sie einen König, einen Präsidenten, einen Dictator oder gar nichts dergleichen haben, und wenn Sie darüber noch im Dunkel sind, so thun Sie wohl, daß Sie Ihr hinter der Zeit zurückgebliebenes Republikanerthum bei uns sich ein wenig darüber aufklären lassen.“
„Wirst bei mir täglich das Blatt, das Milchsieber redigirt, die ‚Rothe Flagge‘ lesen können,“ fiel Schallmeyer mit seinem Känguruhgesicht den alten Freund schadenfroh anlächelnd ein.
„Hole der Teufel Eure ‚Rothe Flagge‘ und die saure Milch, die darin gesiebt wird!“ antwortete Lanken ingrimmig – „bin gekommen, um hier eines Eurer ledernen Beefsteaks zu verzehren – mit dem nimmt’s mein Magen noch auf – aber Eure hirnverbrannte neueste Weisheit, Eure Socialdemokraten-Ideen, verdau’ ich ein- für allemal nicht – bleibt mir vom Halse damit!“
Der alte Thierarzt war in einen bitteren Aerger gerathen. Es war in der That eine verdrießliche Aufnahme, die er in seiner Vaterstadt gefunden hatte. Im Geiste hatte er über „dem alten Nest“ sich aufgehen sehen, wie ein hell erleuchtendes Fackellicht, wie ein Meteor der politischen Aufklärung, das in die dunkle Enge der deutschen Philisterköpfe Klarheit und Helle brachte, mindestens wie ein elektrisches Licht unter den dürftigen gelben Gasflammen. Und nun kamen ihm diese Menschen so! Wie einem Schulknaben, der lernen sollte, kamen sie ihm, dem alten Kämpfer, der gelitten hatte um der Freiheit, der Volksrechte, seiner politischen Ideale willen, der ihretwillen in die Verbannung gezogen war. Es war empörend. Wie er in seinem Mißmuthe so dasaß, sagte plötzlich der betupfte Apollo mit der Ueberlegenheit, welche ihm der Wiederschein der „Rothen Flagge“ gab:
„Schallmeyer, Sie sollten Ihrem Freunde nicht die ‚Rothe Flagge‘ zum Studium empfehlen, sondern irgend eine Anleitung, wie man sich hier zu Lande in gebildeter Gesellschaft ausdrückt – mir scheint, daß ihm das mehr noth thut.“
Das schlug dem Fasse den Boden aus. Lanken überwältigte der Zorn; rasend sprang er auf, und auf den Apollo eindringend, rief er ihm eine Fluth herausfordernder Worte zu. Die ganze Tafelrunde war aufgesprungen, und ein unbeschreibliches Durcheinander folgte, eine wüste Fluth gegenseitiger Herausforderungen, und um diesen stürmisch bewegten Knäuel von Streitenden bildeten die sämmtlichen andern Gäste der Restauration einen Kreis ergötzter Zuschauer. Aber unter diesen Zuschauern lief bald das Wort. „Lanken, der alte Lanken von 1848“ um. Ein paar von
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_242.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)