Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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„Wer is?“
„I bin's, i –“
„Wer?“
„I, d’ Himmelbauer-Liesl. Frag’ net solang! Weck ’n Toni und sag’ ihm, daß i da bin.“
„Der Toni is net z’ Haus,“ zitterte die Stimme zurück.
„Net z’ Haus? Wo is er denn hingangen
„I waß net.“
„Denk’ nach! I bitt’ Di um All’s – denk’ nach!“
Eine Pause trat ein, die Liesl endlos dünkte. Sie bog sich wieder zum Schlüsselloch herab und fragte ängstlich.
„No?!“
„I waß net!“ klang es weinerlich zurück.
„Denk’ nach – denk’ nach! Hat er nix. g’sagt? I schenk’ Dir mei golden's Kreuzl und a wunderschön's Bildl dazu … denk' nach!“
„I was net.“
„Jesus Maria! Er wird do was g'sagt hab'n“
„Zum Fischerjackl geht er, hat er g’sagt,“ mischte sich eine andere Bubenstimme in's Gespräch, „bei die drei Deich’, ’n Sarg für d’ Mutter b’stell'n.“
„Zum Fischerjackl bei die drei Teich’?“
„Ja, ’n Sarg b’stell’n.“
„Dank’ Dir, Sepp! Bist Du’s?“
„Ja, i“
„Kriegst mei Kreuzl, Sepp.“
„Und 's Bildl?“
„Kriegst a, morgen! Jetzt gute Nacht!“
Zu den drei Teichen! Sie eilte fort, den Teichen zu. Der Sturm hatte plötzlich umgeschlagen; er heulte und tobte ihr jetzt entgegen. Nur Schritt für Schritt konnte sie, gegen ihn ankämpfend, die Höhe erklimmen. Ihre Kraft erlahmte im Kampfe gegen das wilde Element; sie mußte immer häufiger stehen bleiben, um Athem zu gewinnen; endlich konnte sie nicht mehr weiter; die Kniee sanken ihr zitternd; ihr Kopf glühte, und ihr Herz pochte übermächtig.
Sie setzte sich im Straßengruben nieder – und weinte. Da kamen Schritte die Straße herab.
„Wenn’s der Toni“ dachte sie. Die Erinnerung überkam sie, wie sie das schon einmal gedacht hatte, und wie dann statt des Geliebten der betrunkene Vater gekommen war. Es überlief sie eisig. Die Schritte kamen näher; eine hohe schlanke Gestalt hob sich dunkle vom matt erleuchteten Nachthimmel ab.
„’s is der Toni,“ dachte sie, aber die Thränen flossen weiter. Jetzt war die Gestalt ganz nahe.
„Toni!“ rief sie. Der Stirn verschlang ihre Stimme. Eine namenlose Angst befiel sie. Wenn er vorüberginge, ohne sie zu bemerken und sie auf weiter öder Haide einsam und allein bliebe! „Toni!“ schrei sie auf, und die Angst gab ihrer müden Stimme die Kraft, das Geheul des Sturmes zu übertönen.
Der Toni war’s wirklich. Er hob sie zu sich empor und trug sie mehr, als er sie führte, die Straße zurück, dem Dorfe zu. Er hatte seinen Arm um sie geschlungen, und die legte ihren Kopf an seine Brust. Ihr war so wohl, so sicher, wie noch nie. Jetzt sahen sie das Dorf vor sich liegen. Vorn stand einsam und dunkel, wie ausgestoßen, das Teichbauernhaus, doch drüben – just an der Stelle, wo der Himmelbauerhof stehen musste, leuchtete es weit über den nächtlich dunkeln Himmel hin … Das war Feuer!
„Jesus!“ rief der Toni. „Schau, Liesl, schau dorthin!“ Euer Hof brennt.
„Laß brennen!“ hauchte sie und drückte sich fester an seine Brust.
„Komm, Liesl! Wir müssen hin, müss’n helf’n, wo z’ helf’n is …“
„Laß brennen, sag’ i!“ wiederholte die Liesl erschaudernd und umklammerte seinen Hals. „Komm!“ flüsterte sie, „führ mi zu Dir! I bin so matt … i kann net weiter.“
„Nimm Di z’samm’, Liesl!“ hastete er „wir müss’n hin – vielleicht hat’s Dein Vatern im Schlaf überrascht. I hol’n raus, und wenn er mitten im Feuer liegt … Komm!“
Er versuchte sie fortzuziehen. Liesl umklammerte seine Hand und drückte sie an ihr Herz.
„Spürst Du’s schlagen?“ flüsterte sie inbrünstig. „Das schlägt nur für Di, nur für Di allein auf der ganzen Welt“
Das kennt kein’ Vatern und kein Herrgott – nur Di, Toni, nur Di!“
Toni riß sich los.
„Liesl!“ schrie er auf. „Liesl! – Und Dei Vater?!“
Noch einmal versuchte sie es, ihn zu umklammern. Ihr heißer Athem zitterte auf seinem Munde.
„Laß brennen, was brennt!“ sagte sie.
Er aber stieß sie von sich. „So nit!“^ rief er. „Der ganzen Welt zum Trutz solltest mein g’hör'n - aber so nit! So nit!“
Sie erwiderte nichts mehr. Bleich, mit weit geöffneten Blicken stand sie vor ihm und starrte ihn, wie aus einem schweren Traume erwachend, an.
„So komm!“ sagte sie endlich mit rauher Stimme.
Er wollte ihr die Hand reichen; sie stieß sie zurück und eilte vor ihm her, dem brennenden Himmelbauerhofe zu.
Verworrene Stimmen tönten ihr schon auf halbem Wege entgegen; dunkle Gestalten drängten und hasteten im weiten Kreise um das Haus, aus dessen Giebel die hellen Flammen aufschlugen und in den Nachthimmel emporzüngelten.
Vor dem Hause, an allerlei herausgerettetes Geräthe gelehnt, lag der Himmelbauer mit zerschmetterter Brust, wie ihn einige der Beherztesten auf den gellenden Hülferuf der alten Veronika doch endlich unter den Trümmern der eingestürzten Dachtreppe hervorgeholt hatten. Die Alte kniete neben ihm und hielt seinen Kopf in ihrem Schooße; der Bader untersuchte seine Wunden. Er schüttelte den Kopf.
„Holt’s den Hochwürdigen!“ flüsterte er den Umstehender zu.
Noch lebte der Himmelbauer. Die schwer verletzte Brust hob und senkte sich mühselig; die Augen standen weit auf, und ihr starrer ängstlicher Blick schien etwas zu suchen. Er öffnete wiederholt die Lippen und wollte sprechen, aber kein Laut kam heraus. Da plötzlich bäumte er sich mit letzter Kraft empor; die Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen die Hände zuckten krampfhaft. Er hatte Liesl erblickt, die sich durch die Umstehenden Bahn brach.
„Jesus Maria!“ schrie sie auf und stürzte in’s Knie. „Vater! Vater! Ihr werd’s do net sterbn woll’n?“ Sagt’s na, Vater – sagt’s na – oder i werd’ verrrückt … Vater, i hab' ja net g'dacht, daß´’s so schreckhaft werd’n wird … I hab’ja nur brennen lass’n, was eh’ scho brennt hat; i hab’ nur net g’löscht, weil i los hab’ kommen woll’n. Vater! Vater! Ihr dürft’s net sterben … Vater, i stirb mit Euch.“
Der Bauer streckte dir Hand nach seiner Tochter aus und zog sie zu sich nieder. „Laß – ab – von – dem da!“ flüsterte er ihr in's Ohr und deutete mit den Augen auf den Toni, der entsetzt seitab stand. „Er – is – sag i'hm's net wieder – i – will’s net – es – is –“ die Stimme verließ ihn.
„Vater!“
Der Alte richtete sich noch einmal auf.
„Laß Noch einmal versuchte sie es, ihn zu umklammern vom Toni!“ hauchte er dringender. „D’rin – in der Stub’n – in meinem Betbuch – find’st Alles schriftlich – der Toni is – is – Dei Bruder“
Sein Kopf sank zurück, noch ein Röcheln, ein Krampfhaftes Zucken – nun war’s zu Ende mit ihm.
Liesl schnellte wie wahnsinnig empor.
„’s is net wahr,“ schrie sie in die Nacht hinaus. „’s is net wahr.“
Und ehe Einer ahnte, was sie beginnen wollte, sprang sie mit einem wilden Satze mitten durch die herabstürzenden brennenden Balken und Splitter in's Haus hinein und verschwand im Rauche.
„Liesl!“ rief ihr eine entsetzte Stimme nach. „Liesl!“
Der Toni war’s, er wollte ihr folgen, aber die Burschen hielten ihn zurück. Trotz aller Kraft, die sie anwendeten, riß er sich endlich los und sprang auf das Haus zu.
Zu spät. Ehe er es noch betreten konnte, stürzte das Dach mit einem furchtbaren Krach ein und begrub das Haus und alle Umstehenden in einer Wolke von Rauch, Schutt und glühender Asche.
Am nächsten Morgen, als der Brand ausgetobt hatte, suchten sie nach der unglücklichen Liesl. Sie fanden sie in der Stube
des Bauers, von der herabgestürzten Asche versengt und erstickt,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_215.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)