Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
|
unmöglich und Unmögliches konnte auch der liebe Herrgott
nicht von ihm fordern. – Horch! Schritte auf der Straße! Kam
er noch ihr gute Nacht zu sagen? Ihr Herz schlug so heftig, daß
sie es bis in, den Hals spürte. Sie wollte aufstehen und zum
Fenster eilen, aber
sie vermochte es
nicht; wie festgebannt
saß sie auf
ihrem Bette und
horchte. Die Schritte
kamen näher und
näher. – Er war’s!
… Nein, der Vater
war’s; nun erkannte
sie den Schritt. Er
blieb vor dem Hause
stehen dann im Vorhause;
Endlich hörte
sie, wie er die Dachtreppe
zu ihr emporstieg.
Was wollte
er so spät noch bei
ihr? Seine Miene
versprach nichts Gutes,
als er nun eintrat.
Er sah blaß
und verstört aus;
die grauen Haare
hingen ihm wirr in
die Stirn, und seine
Kniee wankten. –
Er hatte getrunken.
„No, Liesl,“ lallte er, „hast Dir’s leicht besser überlegt? Giebst mir jetzt a g’scheidtere Antwort?“
Sie sah ihn nur an – ihre Augen antworteten.
„Net? Also net?“ knirschte er. „Willst net lassen von Dein – – Toni?! un Gott’sstraf’ Du!“ Er wollte auf sie eindringen, besann sich aber und lachte wild: „Dir werd’ i schon no g’wachsen sein, Du schlecht’s Kind Du! Morgen in aller Früh fahrst mit mir zum Höbibauer-Vettern nunter; dort bleibst so lang, bis d’ Aufkündzeit um is, und dann wirst Bachschneiderin. Und wenn i Di bei die Haar’ in d’ Kirchen schleppen muß – Du wirst’s. I bin Himmelbauer – i! Und was i will, das is g’wollt und das g’schieht, weil i waß, warum i ’s will. – Jetzt schlaf’ und bitt’ unsern Herrgott daß er Dir d’ Unvernunft austreibt und ein G’horsam beibringt gegen den Vatern! – – Reiz' mi net mit Deine Augen! Bet', sog i Dir – und schlaf'!“ Er wandte sich zur Thür. „Und z’weg’n dem Unglück,“ meinte er langsam, „was mir d’ Veronika so fein hätt’ beibring’n soll’n, da will i ein Riegel vorschieb’n“
Beim Höbibauern werden's schon gut aufpassen, daß der zukünftigen Bachschneiderin nix geschieht und – – heut’ Nacht wirst eing’sperrt.“
Damit polterte er hinaus, schlug die Thür hinter sich zu und schob außen den Riegel vor. Dann stolperte er fluchend die Treppe hinab.
Liesl blieb allein. Sie sprang auf und rüttelte an der Thür. Vergebliche Mühe – der Riegel hielt fest. Sie wollte aufschreien, aber die Stimme versagte ihre nur ein heiseres, ohnmächtiges Kreischen entrang sich ihrer Kehle. Sie knirschte mit den Zähnen, ballte die Hände, warf sich wie wahnsinnig auf ihr Bett und zerwühlte ihr Haar. Dann schnellte sie wieder empor und schlug mit den Händen gegen die verschlossene Thür. Vergebens, alles vergebens! Die Thür hielt fest. Allmählich erlahmte ihre Kraft. Ermattet wankte sie van der Thür zu ihrem Lager, auf das sie erschöpft hinsank. Das Licht war zu Boden gefallene sie merkte es nicht; die Augen fielen ihr müde zu, und der traumlose Schlummern der Ermattung umfing sie. So lag sie eine ganze Weile, wohl – eine Stunde lang oder länger, regungslos, tief athmend, in bleischwerem Schlafe. – – Darm plötzlich – ein scharfer Brandgeruch und ein schwerer Rauch, der die Stube erfüllte! Liesl erwachte jählings. Sie öffnete müde die brennenden Augen und spähte durch den heißen Qualm. Zu Füßen ihres Bettes lag das Licht, das herabgefallen war und dessen Flamme nun am Boden weiterbrannte, der hier und dort bereits glimmte und gloste.
Rasch führ sie auf und wollte die kleine Flamme ersticken. Da fiel ihr Blick auf die Thür, an der die Flamme bereits empor zu züngeln begann. Die Hand, die nach dem Wasserkruge langte, sank herab. War diese kleine Flamme nicht ein Wink des Himmels,
der sie zu ihrer Befreiung gesandt hatte? Morgen früh sollte sie
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_213.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)