Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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bleiben, Dann wartete die Alte nach ein Weilchen, und nun erst öffnete sie langsam die Thür. Der Bauer saß in seinem Lehnstuhle, kaute an den Nageln und starrte finster vor sich hin.
„Was wollt’s?“ fuhr er die Alte unwirsch an.
„Mit Euch red’n, Bauer.“
„Z’weg’n was?“
„Z’weg’n der Liesl.“
Der Bauer fuhr auf.
„Was is denn scho wieder mit dem vertrackten Dirndl?“
„Verliebt is’.“
„Geht’s!“ höhnte der Bauer. „Was Ihr net all’s wißt’s! Und in wem denn?“
„In Teichbauer-Toni.“
Der Himmelbauer sprang auf.
„Is das Euere ganze Neuigkeit?“
Sie schüttelte mit dem Kopf. Der Bauer stutzte.
„So redt’s!“ sagte er und warf sich wieder in den Lehnstuhl, der in allen Fugen krachte. Die Alte glättete ihre Schürze.
„D’ Liesl is ka Dirndl wie die Andern,“ begann sie dann zögernd, „wann die amal Ja sagt, so is Ja, und wann’s Na sagt, so is Na in alle Ewigkeit. Mit’n Derzwing’n geht’s da net.“
„No, dös möcht i sehn!“ polterte der Bauer dazwischen.
„Werd’s es a sehen,“ erwiderte die Alte trocken. Und näher an den Bauer herantretend, fuhr sie halblaut fort: „Die rennt Euch davon oder ’s giebt sonst a Unglück, wann’s den Toni net kriegt – i kenn’s.“
Der Bauer schwieg und nagte heftig an der Unterlippe. Durch sein Schweigen kühner gemacht, trat die Alte noch näher an ihn heran und sagte herzlich: „Gebt’s ihr den Toni, Bauer! Schaut’s, er is ja a braver Bursch, wenn er a arm is.“
„I kann net,“ ächzte der Himmelbauer. „I kann net,“ schrie er plötzlich auf und faßte die Alte an der Schulter. „Macht mi net Alle verrückt – i kann net, ewig net!“
Veronika flüchtete erschrocken zur Thür. „So thut’s, was wollt’s!“ keuchte sie. „I hab’s Euch g’sagt; jetzt kann i nix mehr thun als beten, daß der liebe Herrgott Euch a Einsehn eingiebt; denn sonst giebt’s a Unglück – und a schwer’s a no.“
Der Himmelbauer war wieder ruhiger geworden.
„Geht’s nur!“ meinte er höhnisch. „Könnt’s a mein’tweg’n beten, aber net z’weg’n dem Unglück – das nimm schon i auf mi.“
Die Alte schlug bei diesen lästernden Worten hastig ein Kreuz und ging betrübt hinaus; der Bauer schritt einige Male in der Stube heftig auf und nieder; dann schlug er plötzlich mit der Faust auf den Eichentisch, daß es dröhnte, und murmelte dabei: „’s muß gehn, so oder so. I derzwing’s schon, i – der Himmelbauer.“
Dann packte er seinen Hut und polterte hastig aus der Stube und aus dem Hause. Diesmal schritt er ohne Zagen geradewegs auf den Teichbauerhof zu. Erst an der Schwelle des Hauses überkam ihn die Erinnerung an den Anblick der Todten, die da drinnen ruhte. Er blieb stehen, wartete eine Weile unschlüssig, trat dann wieder zurück und spähte durch’s Fenster in die Stube. Dort saß der Toni noch immer zu Häupten seiner Mutter und starrte, den Kopf in die Hand gestützt, auf die Todte herab. Der Himmelbauer klopfte leise an’s Fenster. Einer von den jüngeren Buben sah auf und kam heraus.
„I muß mit’n Toni red’n,“ erklärte ihm der Bauer, „sag’ ihm’s!“
Hineingehen mochte er nicht wieder. Bald darauf erschien der Toni, bleich und hohläugig, auf der Schwelle. Der Alte nahm ihn bei der Hand und führte ihn, wie man ein Kind leitet, eine tüchtige Strecke weit die Straße hinauf.
Lange schwiegen Beide; dann sagte der Himmelbauer: „Was wirst denn jetzt mach’n mit die Bub’n?“
Toni blickte zur Erde und sagte leise: „I waß no nit.“
„Knecht kannst nit leicht bleib’n.“
Toni sah auf. Der Alte schien es nicht zu bemerken, sondern fuhr fort: „und wirthschaft’n wär scho recht – aber mit was?“
Hier hielt der Himmelbauer inne. Da Toni nichts erwiderte, fuhr er fort: „Der Fuchsbichler drüben in der Kalkleiten is d’ vorige Wochen gestorben – das wär a Anwesen für Di. Da könntest hausen mit die Buben und rechtschaffene Burschen aus ihnen machen – gelt?“
Der Teichbauer-Toni zuckte die Achseln.
„Der Fuchsbichlerhof!“ meinte er matt. „Wie sollt’ i zu dem kommen?“
„Kannst’n pachten von mir – i werd’n übernehmen.“
„Himmelbauer, is das Euer ernstliche Manung? Ihr treibt’s net Euern G’spaß mit mir?“
„Wann’st mei Hand drauf willst, da hast’s! Schlag’st ein?“
„Himmelbauer! Na, dös kann ja net Euer Ernst sein. Ihr wollt’s uns wirkli aus’n Elend heraushelf’n, wollt’s wie a Vater an die armen Bub’n handeln, die kan Vater – und jetzt a ka Mutter mehr hab’n – Himmelbauer! Dös muß Euch der Gottvater im Himmel verlohnen.“
Der Teichbauer-Toni ergriff die dargebotene Hand und drückte sie fiebernd. Eine Weile schritten die Beiden wieder schweigend neben einander her.
„A Beding is freili dabei,“ fing dann der Himmelbauer wieder an.
„A Beding? Redt’s, Himmelbauer, ’s wird nix Unrechtschaffen’s sein.“
„G’wiß net, g’wiß net!“ versicherte der Alte. „’s is nur - heirathen mußt, Toni. No ja, die Bub’n müssen a Mutter krieg’n.“
Der Teichbauer-Toni sah auf und blickte dem Himmelbauer fest in die Augen. Dieser wich seinem Blicke aus.
„No ja,“ wiederholte er unsicher, „allein kannst do net wirthschaften – und a junger rechtschaffener Bursch wie Du wird wohl leicht a brav’s Dirndl finden, das …“
„Das net g’rad das anzige Kind vom reichen Himmelbauer is,“ fiel ihm Toni in’s Wort. „Dessentweg’n hätt’ i g’schwind’ fort soll’n aus’n Dorf und in d’Kalkleiten nauf?! Himmelbauer, das war net rechtschaffen von Euch. Sagt’s g’rad heraus: Toni, mei Liesl gieb i Dir net.“
„Ewig net!“ schrie der Himmelbauer, seiner Erregung nicht mehr Herr. „Ewig net – mei letzt’s Wort – eher derwürg’ i ’s.“
Toni wehrte ihn mit der Hand.
„Ka Sorg, Bauer!“ entgegnete er erblassend. „I nimm net, was net mein g’hört, aber in d’ Kalkleit’n geh’ i a net. Das is mei letzt’s Wort. Jetzt b’hüt Gott!“
Damit wandte er ihm den Rücken und ging festen Schrittes in’s Teichbauerhaus zurück. Der Himmelbauer sah ihm lange nach.
„D’ ganze Mutter!“ murrte er vor sich hin und schüttelte ingrimmig den grauen Kopf.
Es war indessen wieder Abend geworden, ein unfreundlicher, stürmischer Abend. Ueber den Bösenbergen thürmten sich, dräuenden Riesen gleich, schwarze Wetterwolken auf, die der kalte scharfe Märzwind heulend und pfeifend vor sich her trieb. Liesl stand am Fenster ihrer Dachkammer und blickte die Straße hinauf bis zur Biegung, die ihr neidisch den Anblick des Teichbauerhauses entzog. Sie dachte an Toni. Vergessen war der schwere Zwist mit dem Vater, vergessen das Herzeleid des Tages. Der Gedanke an den Geliebten glich der Hochfluth, die, ihre Dämme überwogend, in ein stilles Thal dringt und alles Leben um sich her verschlingt und überdeckt. Woran nur hatte sie gedacht, ehe sie ihn liebte? Sie wußte es nicht mehr, wußte nichts mehr, als daß sie ihn liebte.
Im Hause ward es still und stiller. Die Knechte und Mägde gingen zur Ruhe; ihr Lachen und Streiten verstummte allmählich; von Zeit zu Zeit klang noch eine Schelle aus den Ställen herüber oder ein Hahn krähte halblaut im Traum.
Nach einer Weile hörte Liesl die alte Veronika zur Ruhe gehen und die Thür ihrer Kammer schließen – nun war jeder Laut im Hause erstorben.
Sie setzte sich still auf ihr Lager und stützte den brennenden Kopf in die Hand. Wieder flogen ihre Gedanken zu dem Geliebten hin … Er saß wohl noch an der Leiche seiner Mutter und gedachte nur seines Schmerzes. Fast haßte sie diese Mutter, die ihr noch im Tode so viel seiner Liebe raubte. Wie sie ihn liebte! Der Gedanke’ überkam sie, daß solche glühende, berauschende Liebe sündhaft sei. Der Herr Pfarrer hatte erst kürzlich gepredigt: Liebe sei Gott, Leidenschaft aber der Teufel; der Mensch glaube oft Gott in sich aufzunehmen und umarme den Teufel. – Sie dachte an Toni’s liebe, treue Augen. Nein, es konnte nicht sündhaft sein, in diesen klaren Spiegel zu schauen und immer wieder zu schauen und glücklich zu sein. Und wenn’s sündhaft war,
konnte sie denn anders als ihn dennoch lieben? Das war ja
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_212.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)