Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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Gestein klammernd und mich gegen dasselbe stemmend, wenigstens aus der Nähe der gähnenden Schlucht in ein entlegenes Versteck auf der Planina zu gelangen, aber vergebens; denn so oft ich einen Versuch wagte, wurde ich zurückgeschleudert, und jedesmal schätzte ich mich überglücklich, meine Haltestelle ohne Schaden wieder erreicht zu haben.
Endlich winkte mir die Rettung. Ich hörte etwas wie Steinschleudern und spitzte darob gewaltig die Ohren. Ich hatte mich nicht getäuscht; denn deutlich konnte ich das Schlagen und Aneinanderprallen auch größerer Steine wahrnehmen; in meiner überreizten Phantasie wähnte ich sogar auch schon Stimmen oder Rufe zu hören, und wie Einem in so verzweifelten Momenten oft die wunderlichsten Gedanken das Gehirn durchkreuzen, so durchzuckte mich auch die Idee, daß irgend ein zufällig dahergekommener Sterblicher meine gefahrvolle Lage erspäht habe und mir nun ein Zeichen der nahenden Hülfe gäbe.
Muthig setzte ich nochmals alle Kraft daran, nur dem nahenden Retter entgegen zu gehen, als ich aber verzweifelt nach einigen Blöcken und Steinen mit dem Arme auslangte, rollten mir diese selbst entgegen. Nun war das Anprallen und Schlagen der Steine erklärt: großer Gott – die Gewalt der Bora brachte selbst das Steingeröll in Bewegung. Meine Lage war eine äußerst kritische, mein Schicksal besiegelt. In die Struka (Plaid) gehüllt und mit dem Leibriemen umgürtet, stampfte ich instinctiv, um mich aus diese Weise warm zu erhalten, den Dauerlauf; so brachte ich sechs volle Nachtstunden an ein und derselben Stelle zu, und zwar angesichts des düsteren Schattens einer fürchterlich gähnenden Schlucht und bei heulender Bora.
Erst spät nach Mitternacht brach sich allmählich die Kraft des Sturmes, aber plötzlich auch die meine, und als nach Sonnenaufgang mit vorgerückter Stunde die Strahlen der Sonne immer sengender wurden überkam nach grenzenlose Mattigkeit; ich stürzte der Länge nach hinter einem Steinblocke nieder und verfiel in tiefen Schlaf. So hatte ich lange gelegen, als ein paar derbe Fäuste mir die Seele schier aus dem Leibe rüttelten Hirten fanden mich und wollten sich überzeugen, ob noch Leben in mir wäre, ich aber dachte im ersten Schrecke und in großer Schlaftrunkenheit, daß ich mich schon in Meister Petz’ erdrückender Umarmung befände, der speiselüstern an mir ein Wohlgefallen gefunden habe.
Nach längerer Wanderung labte ich mich in der zwei Stunden entfernten Baita (Hirtenhütte) an Zura (saurer Milch) und Skuta (Käse) und hörte die Erlebnisse der Hirten, welche um kein Haar erbaulicher waren, als die meinigen. Wie häufig übrigens solche Schreckensscenen in den montenegrinischen Bergen sich ereignen, davon sollte ich mich schon am nächsten Tage auf meiner weiteren Wanderung überzeugen.
Die Heerden mehrerer Dörfer wurden eben von der Planina nach den Thälern getrieben, und der Trieb erreichte gerade den Abstieg auf der Hochebene. Einzelne Thiergruppen betraten schon den Saumweg, der meist schmal und in den sonderlichsten Windungen und Schlangenlinien an den sehr schroffen Felslehnen thalab führt, als sich die Bora anmeldete.
Instinctiv trachteten die klügeren älteren Thiere der großen Gefahr, der sie am Höhenrande ausgesetzt waren, zu entrinnen Die allgemeine Flucht artete bald in Raserei aus. Die erfahrensten strammsten Hirten vermochten dem heillosen Gewirre keinen Einhalt zu thun, ja, sie selbst wurden von der Masse bis hart an den Schluchtrand gedrängt. Auf dieser Stelle der äußersten Felskante und fürchterlichen Grenze zwischen Höhe und Diese, Leben und Tod, spielten sich nun mit Blitzesschnelle Lebensscenen ab, wie sie nicht aufregender gedacht werden können. Alles tobte nach Rettung.
Was nur Leben hatte, drängte zum Abstieg. Niemand wollte zurückbleiben und weichen, ja, in der dichten Knäuelmasse schob Eines das Andere, und die Bora heulte im schrillsten Crescendo ihre wilde Melodei; da stürzt ein Hirtenweib, den Säugling auf den Armen, am Schluchtenrande zu Boden; sie hat mit ihrem strammen Arm den schartigen Felsblock erfaßt, um ihrem weinenden Säugling eine lebende Schutzwehr gegen die blökenden Stürmer zu schaffen.
In dem Momente der höchsten Gefahr erweist sich aber der Mann als Schirmer der Seinen. In der erschreckenden Aussicht, Weib, Kind und Heerde zu verlieren, springt er todesverachtend zur Stelle, deren einzige Schrittlänge zwischen Weib und Schlucht ihm kaum gestattet, sich auf sein langes Steinschloßgewehr zu stützen. Das drohende Unglück in seiner ganzen Größe vor den Augen, steht er wie aus Erz gegossen, wuchtige Peitschenhiebe nach der drängenden Heerde zurückführend, um diese, Weib, Kind und sich selbst zu retten.
Seitwärts von ihm hockt bereits einer der schwindelfreien in seiner Pflichterfüllung treu ausharrenden Gesellen, von der Bora bis in's letzte Versteck getrieben, hinter einem Felsblock, während sich auf denselben ein Schicksalsgenosse noch im letztmöglichen Momente auf die Brust zu Boden wirft, um nicht in die Tiefe fortgeweht zu werden
Abseits Geschrei, Windessausen, Sturmgeheul, Blöken der Mutterthiere nach den stürzenden Jungen.
Da tritt in dem wilden Concert eine kurze Pause ein; einen Augenblick setzt die Bora aus, und gottlob! diesen Augenblick kann die bedrängte Hirtenfamilie zu ihrer Rettung benutzen. Glücklich erreicht sie eine sichere Zuflucht hinter einer vorspringenden Felswand.
In einer Höhle geborgen, hatte ich aus der Ferne die grausenerregende Scene beobachtet, und sie prägte sich so tief meinem Geiste ein, daß ich sie später in dem Bilde, welches ich heute den Lesern vorführe, wahrheitsgetreu festhielt.
Und noch jetzt, wenn der stürmische Nord über dem schönen Wien an der blauen Donau dahinstreicht, noch jetzt denke ich manchmal an jene erregten Stunden und an die böse Fee des Karstes.
Feuerliesl.
Ohne ein Wort zu erwidern, verließ Liesl die Stube. Der
Bauer folgte ihr bald und trat auf die Straße hinaus. Dort
traf er den Bachschneider-Loisl, der mit drolliger Miene, in welcher
sich die krampfhaft festgehaltene Würde des Beleidigten und die
ängstliche Erwartung des Liebenden bekämpften, der Begegnung
mit Liesl harrte. Auf Loisl’s fragenden Blick erwiderte der
Himmelbauer verlegen lachend. „Narrische Weiberleut! – Jetzt
schamt sich das dumme Dirndl wieder.“
„Soll i ’nein geh'n?“ fragte Loisl erwartungsvoll.
„Heut net mehr.“
Der Junge stutzte.
„Versamst ja nix!“ besänftigte ihn der Alte. „Mei Dirndl wird Bachschneiderin; da drauf hast mei Wort.“ Und er hielt ihm die Hand hin.
„Wär mir ihr Wort schon lieber,“ murrte Loisl.
„Z’weg’n der Hand!“ lachte der Alte.
Loisl schlug ein, und Beide standen eine Weile neben einander.
Dann verabschiedete sich der Bachschneider mit einem kurzen „B’hüt Gott!“, aus dem die Verstimmung recht deutlich herausklang.
„Auf morg’n!“ ruf ihm der Alte nach.
Loisl nickte nur und verschwand dann zwischen den Zäunen.
„Vertrackt’s Weibervolk!“ murrte der Himmelbauer. „’'s is a wahr, a jed’s Unglück auf der Welt kommt von dem verteufelten Kittelvolk her.“
Dabei schüttelte er drohend die Faust.
In der Thür des Himmelbauerhofes wartete Veronika, die mit dem Bauer sprechen wollte. Als sie ihn zurückkommen sah, die buschigen Brauen finster zusammengezogen da zog sie sich behutsam zurück und wartete ab, bis er in’s Haus getreten war und die Stubenthür hinter sich zugeschlagen hatte. Dann schickte sie vorsorglich erst den Oberknecht zu ihm hinein, der denn auch nach einem heftiger Wortwechsel bald wieder aus der Stube herausgepoltert kam und laut fluchte, er wolle keine Stunde länger auf
diesem Hofe und unter einem so „narrischen“ Bauer im Dienste
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_211.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)