Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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,die reine Poesie’ – sagt meine Luise immer bei dergleichen. Aber deswegen war sie doch resolut und praktisch wie irgend Eine – das Nothwendige und Nützliche kam immer in erster Reihe; ja, ja, da wurde nicht gefackelt. … Na, und was ich sagen wollte, Herr Markus, viele Sprünge können Ihre Gäste hier oben nicht machen; der Platz ist gar zu knapp –“
„Liebste Griebel, erschrecken Sie mich nicht! Ich wollte eben noch einen neuen Bewohner anmelden – der Sohn des Amtmanns ist angekommen –“
„I was! Der aus dem Goldlande?“
„Ja, der. Und er ist krank gewesen und soll sich hier erholen.
Und ich selbst bleibe natürlich auch im Hirschwinkel, so lange ich kann – Sie müssen Rath schaffen.“
„Ei ja wohl, daran soll’s nicht fehlen. Sie logire ich unten in meiner Wohnstube, und hier oben – na, da lassen Sie mich sorgen.“ –
Im Forstwärterhause hingen schon nach einigen Tagen die blauen Rouleaux nicht mehr hinter den Scheiben, und die Tillröder Jugend, die jetzt mehr als je eine ungewöhnlich reiche Beerenernte in den Wald lockte, sah das Brautpaar alle Tage zu dem „Forstwärter“ auf Besuch gehen. Der Kranke erholte sich zusehends. Anfänglich war er freilich sehr niedergeschlagen gewesen; er hatte gehofft, dem Gutsherrn, der ihn in einer so trostlosen Lage gesehen, nie wieder zu begegnen; ja, noch in seinen letzten lichten Augenblicken vor Ausbruch der Krankheit hatte er Agnes und den Forstwärter beschworen, mit keinem Worte seine Anwesenheit zu verrathen – er hatte für die Bewohner des Gutshauses absolut nicht mehr existiren wollen. … Nun aber kam der prächtige, imponirende Mann Tag für Tag an sein Bett und half ihn pflegen. Und der brüderlich herzliche Ton, den er anschlug, half schließlich dem Heimgekehrten über das Gefühl grenzenloser Demüthigung hinweg. Wahrhaft neubelebend aber wirkte die Nachricht auf ihn, daß ihm das Vorwerk als Eigenthum zufallen solle. Von diesem Tage an erhob sich seine gebeugte Gestalt in sichtlicher Wiederkehr geistiger Spannkraft und eines befestigten Willens.
Das war der eine Theil der Mission, die Herr Markus von den Schultern seines geliebten Mädchens nunmehr auf die seinen genommen; der andere, auf dem Vorwerk sich abspielende machte ihm ungleich mehr zu schaffen – der Amtmann ließ sich seinen Glauben an die kalifornischen Reichthümer absolut nicht nehmen. Er hatte für jeden ausgesprochenen Zweifel ein verächtliches Auflachen, und seine beißenden Repliken ließen durchblicken, daß er Neid und Mißgunst bei den Zweiflern voraussetze. Als ihm aber der Gutsherr an dem Tage, wo der junge Franz an seinem Arm zum ersten Mal in’s Freie gegangen war, mittheilte, daß ein Brief seines Sohnes an dessen alten Spielcameraden, den Forstwärter, eingelaufen sei, da war der alte Herr sehr still und betreten aus dem bisherigen langjährigen Schweigen des „Goldjungen“ ließ sich nun kein Capital mehr für den Renommisten schlagen. Mit jedem Tage rückte die vermeintliche Heimkehr des Sohnes näher und wurde es den Eltern deutlicher gemacht, daß er Nichts mit heimbringe, als ein Herz voll treuer Kindesliebe und den festen Willen, für die Seinen zu arbeiten, zu sorgen. Auch hier wurde die Mittheilung von dem Vermächtniß der alten Freundin zum heilenden Balsam.
„Nun meinetwegen denn, wenn es einmal nicht anders sein kann!“ sagte der Amtmann bittersüß; die alte Frau aber weinte selige Thränen. …
Unterdessen vollzog sich auch nach außen hin eine große geräuschvolle Wandlung. So lebendig war es seit undenklichen Zeiten nicht im Hirschwinkel gewesen. Auf dem Vorwerk wimmelte es von Arbeitern, die hier ein beträchtliches Stück des Fichtenwäldchens niederlegten, dort die Stallgebäude einrissen, während Tag für Tag Steine zum Neubau angefahren wurden. Und im Gutshause rumorten Besen und Scheuerwische; Betten wurden gesömmert, Teppiche und Möbel ausgeklopft, und Frau Griebel dankte dem Himmel, daß ihre Luise wegen eines Umbaues im Institut verlängerte Ferien habe und ihr beistehen könne. In all diesen Trubel hinein kamen auch noch Sendungen aus Berlin, ein Fahrstuhl für die Frau Amtmann und bequeme Lehnstühle in das Wohnzimmer der beiden alten Leute, und später – Herr Markus mußte selbst lachen, als er es auspacken half – ein Pianino in das Erkerzimmer. Da sollte es für immer bleiben, damit die junge Frau bei ihrem künftigen Sommeraufenthalt in Thüringen die Musik nicht entbehre.
„Ja nun sehen Sie, so geht’s, Herr Markus; so ändert sich der Mensch,“ sagte Frau Griebel mit hochgezogenen Brauen und lehrhafter Miene, als das schöne Instrument aufgestellt wurde. „Gleich zu Anfang gaben Sie mir recht deutlich zu verstehen, daß Sie das Clavierspielen nicht ausstehen könnten; natürlich hat meine Kleine dieserhalb keine Taste anrühren dürfen, wenn Sie zu Hause waren – und ich hätte gar manchmal für mein Leben gern meine Leibstückchen gehört, ach ja! – Nun lassen Sie für Ihr schweres Geld solch einen ,verwünschten Klimperkasten’ directement aus Berlin kommen, schleppen ihn selbst mit herauf, schwitzen und keuchen und zerbrechen sich den Kopf, wie er wohl am besten steht, daß nur um Gotteswillen beim Spielen kein solch kostbares Tönchen verloren geht. Und das Alles, weil Sie die zwei Hände lieb haben, die drauf spielen sollen. … Na ja, das wußte ich – ,Zeit bringt Rosen’ und ,Noth bricht Eisen’, und die Lebendigen gehen vor; die haben das Recht aus Erden, und was todt ist, das hat sich zu bescheiden. Du lieber Gott, wenn alle Welt so denken wollte wie Sie – nämlich, wenn allemal die Stuben der Gestorbenen mit Allem, was drin ist, bis in alle Ewigkeit verschlossen werden sollten – ja, nachher würde bald die ganze Welt eine große Trödelkammer sein, und das Menschenthum müßte den Lumpen Platz machen. Ich bin ja auch kein Unmensch und hab’ gewiß Respect vor dem Andenken der Leute, die gestorben sind, und deshalb[WS 1] hab’ ich dem seligen Herrn Oberforstmeister seinen Schlafrock tüchtig eingepfeffert – die Motten saßen nämlich fingerhoch drin – und mit all dem verschossenen abgetakelten Krimskrams in eine Kiste gepackt. Die steht nun festvernagelt in einer Bodenecke, und da kann sie bleiben bis an den jüngsten Tag – ich stör’ sie ganz gewiß nicht. Und das hübsche Daunenbett, worin das Oberforstmeister-Jüngelchen vor vielen, vielen Jahren einmal ein paar Wochen geschlafen hat, das liegt gründlich gelüftet und ausgeklopft in der Bettkammer, und es können nun auch einmal Andere darin schlafen. – So – und nun sehen Sie, wie hübsch bequem und geräumig es hier oben geworden ist! Jetzt könnten meinetwegen noch zehn Amtmannssöhne aus dem Goldlande kommen.“
Damit schloß sie die nach links liegende Zimmerreihe auf, und sie hatte Recht, ein behaglicheres Logement ließ sich nicht denken. Trotz alledem ging dem Gutsherrn die totale Umwandlung nahe – er hatte sie sanctionirt, ohne es zu wissen.
„Es war die höchste Zeit, daß ein vernünftiger Mensch wieder einmal in das Grabmal da hereinkam,“ führ Frau Griebel fort, ohne auch nur die geringste Notiz von der Verstimmung ihres jungen Herrn zu nehmen. „Und wenn unserer alten Dame die Mottenwolken um die Ohren geflogen wären, da hätte sie tausendmal ,Ja und Amen‘ gesagt zu einem gründlichen Ausfegen. – Uebrigens frage ich, was hätte denn werden sollen, wenn Sie später einmal mit Familie zur Sommerfrische in den Hirschwinkel kommen? Da sollten sich wohl die munteren kleinen Brandenburger vor dem vermoderten Sechswochenkindchen der Seligen in die Ecken drücken? I, das wär’ ja noch schöner.“
Dieses Argument der resoluten, leibhaftigen Praxis war offenbar der wirksamste Effect der ganzen ausführlichen Rede Herr Markus räumte schweigend das Feld.
Das begab sich am Morgen des Tages, wo die Uebersiedelung der „Amtmannsleute“ vom Vorwerke nach dem Gutshause stattfinden sollte. Droben war Alles fertig. Der Erker stand voll köstlicher Blumen, und über allen Thüren hingen Kränze und Guirlanden, drunten aber wurde erst recht gerückt und geschoben und abgestäubt – die Wohnstube, Herrn Markus’ einstweiliges Asyl, kam zuletzt an die Reihe.
Man mußte sehr vertieft sein in das Reinigungswerk; denn als die Einziehenden den Hof betraten, da bellte nur Sultan wie besessen zur Begrüßung, und die Truthühner kamen anstolzirt, sonst aber ließ sich kein lebendes Wesen sehen. Erst als der Gutsherr mit seiner Braut die Hausflur betrat, flog die Wohnstubenthür auf, und Frau Griebel kam herausgepoltert, hinterdrein Luise.
„Eine schöne Bescherung!“ rief die kleine dicke Mama. „Um ein Haar hätte ich den Willkommen versäumt, und hab’ mir doch die allerschönste Rede einstudirt. Aber der ist d’ran schuld.“ – Sie schlenkerte den verloren gewesenen Henkelducaten am langen
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: deshab
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_207.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2016)