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Seite:Die Gartenlaube (1880) 860.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


fährt wie ein Schwert durch sein Herz. Da ermannt er sich und legt wie ein Mann auf einmal sein ganzes Geschick in ihre Hand.

Dich will ich – Du weißt es,“ sagt er mit Leidenschaft.

„Und das sagen Sie, und das wagen Sie mir zu sagen?“

Sie scheint über sich selbst emporzuwachsen.

„Ich weiß, was ich that – ich entschuldige mich nicht – ich sage nicht: des Teufels Künste verführten mich – nein, Dorette, ich, meine Natur, ich selbst that das – aber damals liebte ich Dich nicht, wie heut. Dorette, sieh nicht weg! Nur die Liebe kann sühnen, was an der Liebe verbrochen ist.“

„Wer sagt, daß ich Sie liebte?“

„Dorette, lüge nicht! Ich weiß es besser. Lüge nicht jetzt, wo das Glück zweier Menschen auf dem Spiele steht!“

„Du irrst, Johannes,“ sagt sie tonlos, „heute steht Nichts auf dem Spiel – einst – damals – heut nicht mehr. Mein Glück hast Du auf einen Schlag zertrümmert – geh! es ist lange vorüber.“

„Nein!“ sagt er; „heut ist heut! Es giebt kein 'damals'. – Damals liebte ich Dich nicht, wie heut. Du bist ...“

„Und doch küßten Sie mich?“

„Heute küß' ich Dich nicht. Heute möcht' ich knieen vor Dir. Ich habe Ehr' genossen, und mein Herz blieb hohl – Dorette.“

„Geh, Johannes, ich liebe Dich nicht.“

„Du lügst. Du liebst mich, wie ich Dich liebe. Du bist mein.“

„Nie!“ ringt es sich über ihre bebenden Lippen.

„O Gott,“ ruft er, „giebt es denn keine Vergebung? Dorette, warum nicht? warum: nie?“

„Ich mag nicht mehr,“ antwortet sie und wendet sich schwer athmend von ihm fort. Als sie aber hört, wie er tief aufseufzt, kehrt sie sich wieder zu ihm. Sie sieht ihn matt an, und ihre Stimme sinkt zu einem heiseren Flüstern herab. „Ich mag nicht, Johannes; schon als Kind mocht' ich aus keinem Gefäß trinken, das andere Lippen vor mir berührt hatten. Eine Andere war Deine Braut; es ist kindisch, aber ich kann nicht anders: Du hast sie geküßt?“

„Einmal – ohne Liebe,“ stöhnt er.

„Nein – nein – ich mag nicht,“ wiederholt sie schaudernd, wie zu sich selbst.

„Höre mich an!“ ruft er zornig, „so wirst Du verhungern und verdursten. Du – ich – wir Beide!“

„Ich kann nicht Dein Weib werden. Ich weiß, Du hast sie nie geliebt – Du wirst nie eine Andere, als mich lieben – aber sie war Deine Braut. Ich kann es nicht vergessen.“

„Meine Braut!“ stößt Johannes höhnisch hervor; „wenn Du wüßtest ...“

„Nein, nein, nie!“ fährt sie fort. „Der Neid würde von meinem Brode essen und von meinem Wasser trinken; er ist ein gefräßig Thier – laß mich!“

„Ich lasse Dich nicht und fürchte mich nicht vor Dir,“ und er fällt vor ihr nieder und umfaßt ihre bebenden Kniee.

Da richtet sie sich mit letzter Kraft empor.

„Johannes!“ ruft sie und sieht ihn mit furchtbarem Ernst an; „diese Stunde habe ich kommen sehen. Tag und Nacht habe ich seit Monaten gewußt, daß sie käme, und Tag und Nacht habe ich gesonnen, wie es sein würde, wenn ich jetzt noch – Dein würde. Wir hätten eine Hölle auf Erden. Die Eifersucht ließe mir keine Ruhe. Was Du auch thätest, wozu Dich auch Gaben und Amt riefen, immer würde ich denken: wenn er Dich wieder um sie verleugnen könnte, er thäte es wieder.“ Aber sie kann nicht mehr; die Leidenschaft erstickt ihre Stimme. „O Gott, mein Gott!“ fleht sie dann und ringt verzweifelt die Hände.

Wenn sie jetzt zusammenbräche, ohnmächtig und hülfsbedürftig, wie ein anderes Mädchen! Sehnsüchtig hängen Johannes' Blicke an ihrer schwankenden Gestalt. Aber sie faßt sich. Hastig beugt sie sich nieder und raunt ihm mit glühendem Athem in's Ohr:

„Fort! fort! – wenn Sie Erbarmen haben! Ich kann Ihnen nicht vergeben.“

Er aber kniet noch und rührt sich nicht und hält das Gesicht dumpf stöhnend in den Falten ihres Kleides begraben. Endlich – endlich – erhebt er sich.

„Und dies ist das Letzte?“ fragt gepreßt.

„Ja,“ sagt sie, ohne ihn anzusehen.

Da geht er wankend hinweg, und ihr Herz schreit auf, und sie schaut wild und verzweifelt um sich, als hätte sie eine zweite Jugend und ein zweites Glück verloren.




10.

Des anderen Tages erscheint der getreue Putzbach schon zur Vormittagsstunde bei der Wittwe Gerhard. Diesmal nicht scheu und angstverworren, wie bei seiner ersten Werbung, diesmal stolz und sicher, wie ein Freier, der seiner Sache gewiß und des erhebenden Bewußtseins voll ist, mit seiner Hand eine außerordentliche Gabe darzubringen. Die Zeit hat seine Züge gereift, doch gewissermaßen auch verhärtet, seine Gebärden und sein sonstiges Auftreten abgeschliffen. Er ist weniger lächerlich, als früher, aber auch weniger anziehend, wenn man dieses Wort auch auf solche Persönlichkeiten übertragen darf, die uns kein reines Wohlgefallen, sondern nur eine gewisse, aus Rührung und Belustigung gemischte Theilnahme erregen. Geschäftig nähert er sich Doretten, doch als er ihr aufmerksam in's Gesicht blickt, verläßt ihn einen Augenblick seine zuversichtliche Haltung.

„Mamsell Rickmann, wie sehen Sie nur aus!“

„Ja, es scheint, mir liegt ein ansteckendes Fieber in den Gliedern. Bemühen Sie sich nicht mehr so oft her! Es könnte Sie auch packen.“

„Wie,“ stottert der Bestürzte, unwillkürlich zurückweichend, „wie meinen Sie das? Wollen Sie nicht einen Arzt ...“

„Putzbach,“ sagt Dorette und rührt ihn leicht mit der Hand an, „gehen Sie! Es wird nichts daraus; ich heirathe Sie nie. Sehen Sie nicht so ungläubig aus; ich habe ein böses Spiel mit Ihnen getrieben – ich bin schlecht. Begreifen Sie es doch: ich bin schlecht, und da ich Sie obendrein nicht liebe, verlieren Sie nichts an mir!“

Und Putzbach begreift endlich, noch nicht gleich, daß er „nichts an ihr verliert,“ wohl aber, daß er sie verloren hat, daß sie von Anfang an für ihn verloren war. Eine tiefe Röthe des Zornes steigt ihm bis hinauf unter die gepuderte Frisur und drängt seine kleinen wasserblauen Augen aus ihren Höhlen.

„Sie haben mich behandelt wie einen Schuljungen, Mamsell,“ ruft er mit unstät funkelndem Blick. „Und ich habe Sie geliebt, treu geliebt. Aber Sie können gewiß sein, Mamsell: ich werde nicht wieder in Ihren Weg treten.“

„Ich hab' keine andere Sprache verdient,“ murmelt Dorette und mißt den sich steif vor ihr Verneigenden mit dem Blick.

„Es hat nicht sein sollen,“ poltert Putzbach, sobald er gegangen ist und sich allein auf dem weiten Hausflur des Consulhauses sieht, mit heiserer Stimme vor sich hin. „Schändliche, gefallsüchtige Geschöpfe, diese Mamsells aus niedrigen Ständen! Wenn sie nur nicht so absonderlich schön und graziös wäre und ich mich nicht als dummer Junge schon in ihre galanten Manieren verliebt hätte! Verliebt – verliebt!“ wiederholt er leiser mit klagendem Accent. Dann rafft er sich auf, und der Commerzienrath in spe kommt über ihn. „Doch, es hat nicht sein sollen,“ sagt er bedächtig. „Und – und – ja es ist besser so. Wart', Mamsell, ich werde Euer einer wieder etwas weißmachen!“

„So wäre denn auch dies abgethan,“ spricht Dorette unterdessen bei sich selbst, „und alles Vergangene soll mir vergangen sein.“




11.

Inwieweit es ihr möglich gewesen ist, nach diesen Worten zu leben, erhellt aus dem Bruchstück eines Briefes, das man zwanzig Jahre später, als Dorette eben verstorben ist, unter ihren Papieren findet. Es lautet:

„Und nun laß Dir 'adieu' sagen, Johannes, mein Johannes!“ Diese zwei Worte sind besonders unterstrichen, aber halb verlöscht, als wären Thränen darauf gefallen „Es ist gut, daß wir uns hier auf Erden nicht wieder gesehen haben; ich bin zu grausam häßlich geworden. Sollte ich mich doch geirrt haben, und wären wir dennoch glücklich geworden? Sollte ich Unrecht gethan haben, Johannes? Weil ich Dich fallen ließ, ließest Du Deine Zukunftspläne fallen – hätte ich Dich doch heirathen sollen? Glücklich wäre ich nicht geworden, aber hätte ich es dennoch gemußt, um Dich Dir selber zu retten? Es ist mir nie eingefallen, daß die Liebe Selbstaufopferung fordern könne; Liebe und selbstisches Glück waren immer ein und dasselbe für mich. Aber je näher mir der Tod kommt, desto mehr werde ich mir selber entrückt und sehe Eigenes wie Fremdes, und alle Dinge treten in hellere Beleuchtung. Aber nein, das ist gewiß – vergessen konnte ich nicht. Möge Gott

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 860. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_860.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)