Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
|
auf machtvolles Orgelspiel. Greifswald – da ist Leben und Bewegung – da gilt, was man ist, und nicht, wo man herkommt. Wer sich in Greifswald einen Namen macht, verlöscht nicht wie ein Talglicht, wenn seine Zeit um ist. – Auf die Greifswalder Leute hat man ein Auge. Von dort aus ist weiter zu kommen. Unzählige werden sich um diesen Posten bemühen, und mir fliegt er in den Mund. Base, ich habe Glück.“
Dorette nickt, und ihre kleinen zitternden Finger spielen in innerer Erregung auf der Tischplatte. Vor einer Minute durchstach es sie, wie ein glühender Schmerz. „Die Stelle ist ihm lieber, als Du!“ flüsterte ihr eifersüchtiges Herz. Aber nein – nun ist es vorüber und sie geht mit ganzer Begeisterung seiner Freude auf.
Von Fr. Helbig.
Mit dem Eintritte in’s siebenzehnte Jahrhundert begegnen wir neuen Wandlungen. Der spanische Einfluß mit seiner starren Hofetikette und seiner fanatischen Bigotterie war durch den Abfall der Niederlande und durch das wachsende Umsichgreifen der neuen, einen wesentlich deutschen Charakter tragenden evangelischen Lehre gebrochen worden. Und wie sich in der Kunst besonders durch den großen Niederländer Maler Paul Rubens eine freiere Richtung zeigte, so trat sie auch in der Kleidung zu Tage. Dieselbe wurde wieder ungezwungener, malerischer, plastischer. Zunächst fiel die große Mühlsteinkrause weg, und an ihre Stelle trat ein vom Rande des Mieders aufsteigender breiter Kragen, der in der ersten Zeit nach hinten zu sich erhöhte und den Kopf wie ein Pfauenrad oder ausgebreiteter Fächer umrahmte. Das Haar wurde kurz getragen und à la Polkakopf in viele künstliche Löckchen geflochten, während es auf der Stirn eine sogenannte Rolle bildeten die noch kurz zuvor als das Abzeichen ritterlicher Herren galt, wie wir z. B. auf den Bildern Ulrich’s von Hutten und Götze’s von Berlichingen sehen. Auch ihr war es vorbehalten, in der Neuzeit ihre Auferstehung zu feiern. Man befand sich wieder in einer Zeitperiode, wo das männliche Element in der Mode dominirte. So trugen die Frauen auf dem hinten in ein Nest geflochtenen Haare hohe kegelartige Filzhüte mit wallender Feder oder kurzem Schleier. Auch das vorn geöffnete Oberkleid gewann Aehnlichkeit mit dem männlichen Rocke. Die Hüftenwülste und Stahlreifen waren gefallen und das Kleid konnte wieder der natürlichen Linie des Körpers folgen. In der Männlichen Tracht prägte sich der Charakter der Epoche besonders aus in dem ersten Erscheinen des – Stiefels!
In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges legte sich der halb aufrecht stehende Frauenkragen ganz nieder und ging, mit Spitzen ausgezackt, in seiner Breite noch über die Schultern hinaus, auch hier ein treues Seitenstück zu dem Kragen der Männer bildend, wie wir ihn aus den Kriegergestalten eines Gustav Adolf und Wallenstein kennen. Bei würdigen Pastoren- und Professorenfrauen bedeckte er Schultern und Hals bis unter das Kinn, sodaß das lockige Haupt wie auf einer weiten Schneefläche lag, wogegen die Dame der Welt vor einer herzhaften Decolletirung nicht zurückschreckte, die jetzt überhaupt das Vorrecht höfischer Kreise zu werden beginnt. Dagegen hatten sich die Puffärmel noch aus der frühern in diese Periode hinübergerettet, ja sie fanden hier in einem noch größeren Maßstabe ihre Anwendung, indem die Aermel aus einer ganzen Reihe solcher ballonartigen Aufbauschungen bestanden, die von der Schulter nach der Hand zu sich immer mehr verjüngten. An der Seite aufgeschlitzt ließen sie die weißen Unterärmel zum Vorschein treten.
Hatte die Tracht der Männer des Dreißigjährigen Krieges selbst auch im Gelehrtenkleide, wo der pelzverbrämte Talar die Stelle des kürzen Soldatenrocks und der Schuh den Stiefel vertrat, etwas Resolutes und mannhaft Derbes, ja herausfordernd Kriegerisches, so verfiel sie nach dem Dreißigjährigen Kriege wieder dem Naturgesetze der Entartung, indem sie dabei in das entgegengesetzte Extrem gerieth. Sie wurde geziert, gekünstelt, fast geckenhaft. Es war der französische Einfluß, der ihr diesen Charakter aufprägte und der von jetzt ab wie in der Politik, so auch auf dem Gebiete der Mode der herrschende wurde. Die deutsche Mode hat sich ihm nie wieder ganz zu entziehen vermocht, nicht einmal dann, als die politische Ueberhebung des herrschsüchtigen Nachbarvolkes durch das gute deutsche Schwert wiederholte Züchtigung erlitt. Die Mode ist eben eine Großmacht für sich.
Wir bemerken an den Herren aus dem Zeitalter Ludwig’s des Vierzehnten einen seltsamen Luxus von Troddeln, Schleifen und Spitzen an den Armen, den Knieen und selbst auf den hohen Stöckelschuhe, die schon längst den Schnabelschuh verdrängt hatten. Die Tracht hatte etwas Weiches, Weibisches, tänzelnd Geziertes. An dem Minnehofe des großen Ludwig war ja dem Elemente des Weiblichen eine Macht verliehen, wie einst in dem Zeitalter der Troubadoure; nur trug diese zweite Auflage des weiland provençalischen Liebesreichs jetzt das Gewand der Farce. Aber auch in Deutschland waren aus den Helden des Dreißigjährigen Krieges, die sich wild und wacker befehdet hatten, altweiberliche Pedanten geworden, die sich auf dem Reichstage zu Regensburg darüber zankten, ob den kurfürstlichen Gesandten des Reichs allem oder auch den altfürstlichen rothbeschlagene oder beiden zusammen nur grünbeschlagene Stühle geziemten, und was dergleichen große Kleinigkeiten mehr waren; während andererseits am Hofe Königs August des Starken der französische Cultus des Ewigweiblichen in deutscher Auflage erschien.
So finden wir auch bei den Frauen eine zierlich-tändelnde Ausschmückung der Kleider mit Rosetten, Troddeln, Schleifen und Zacken auf den Schultern, am Busen, an den Aermelbauschen und zum seitlichen Aufraffen des im Schooße offenen Oberkleides. Die ganze Figur trägt den Charakter des Aufgeblähten und Gespreizten, und das Haar fällt wieder in langen Ringellocken auf die entblößten Schultern. Das eigentliche Leitmotiv der Tracht bildete aber auf männlicher Seite die Perrücke, auf weiblicher die Schnürbrust. Von der letzteren sagt bezeichnend Jacob von Falke: „Sie war ästhetisch gefährlich; sie schnitt allen Fluß der Körperlinien ab, setzte Hüfte und Taille außer allem Verhältniß, die eine vergrößernd, die andere verkleinernd, und verdarb auf Jahrhunderte hinaus das Verständniß für Schönheit.“
Die Perrücke entstammte der im Dreißigjährigen Kriege hervortretenden Vorliebe für das Tragen langen Haares, und sie trat zuerst als eine lange, lockige Allongeperrücke auf. Als weibliches Pendant hierzu erfanden die Hofdamen Ludwig’s des Vierzehnten, der sich anfangs kühl zur Perrücke verhielt, dann aber, als die Natur sein edles Haupt im Stiche ließ, ihr eifrigster Förderer wurde, ein wunderliches Gestell aus Draht, Spitzen und Bändern, das sie auf das aufgelockte Haar befestigten, die sogenannte Fontange, so benannt nach der Marquise von Fontange, welcher während der Jagd der Wind die Frisur zerstoßen und zerzaust hatte, was sie veranlaßte, dieselbe nun künstlich zu befestigen.
Während die Damen erst das bauschige Oberkleid unter der Taille auf beiden Seiten zurückschoben und am Unterkleide mit Schleifen befestigten, traten diese Seitenflügel mit der Zeit zurück, bauschten sich aus dem Rücken hoch auf und fielen zugleich als lange schmale Schleppen zu Boden, ein Motiv, das sich auch die jüngste Zeit wieder zurecht gelegt hat. Vornehme Damen ließen sich diese Schleppe auf der Promenade durch phantastisch gekleidete Zwerge oder Mohrenknaben nachtragen. Unsere Damen kennen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_819.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)