Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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zusammenschrickt; denn jetzt klopft es an das Fenster, und sie sieht in der Dämmerung des Morgens die Umrisse einer hohen Gestalt, welche dicht an die Scheiben herangetreten ist. Es ist doch Johannes; eilig ergreift sie die kleine Lampe und geht hinaus auf den Flur, das Haus für den Geliebten zu öffnen. Lachend, mit vorgebeugtem Haupte tritt Johannes durch die niedrige Thür.
„Sie wollen wohl nach Paris, Vetter, und einen Gruß für Ihren Alten bei uns zurücklassen? Oder ist Ihnen das Nachtwandeln angekommen?“ fragt sie hastig und leichthin.
„Keins von den Beiden, Base! Der Einfall machte mir nur Spaß, Sie früh Morgens mal recht hausmütterlich herumwirthschaften zu sehen.“
Das Blut schießt ihr verrätherisch in's Gesicht, und er hört, wie sie hastig athmet.
„Sie haben sich in Frankreich die galanten Redensarten recht angewöhnt,“ sagt sie und blickt ihn trotzig, verführerisch an.
„Und Sie sind wieder mal nicht ehrlich, Dora!“ flüstert es zurück, und er schüttelt sie leise am Arm.
„Lassen Sie mich und kommen Sie mit in die Stube! – Sehen Sie: da liegt meine 'hausmütterliche Beschäftigung'. Das Kleid zieh' ich heut Abend zum Ball an. Weiß ist meine Couleur.“
„Schönen Mädchen steht Alles,“ antwortet er.
„Brrr!“ erwidert sie mit graciöser Keckheit. „Und setzen Sie sich dort – ich muß weiter bügeln.“
Und sie stellt sich so, daß er fortwährend ihre ganze Gestalt in's Auge fassen kann, aber über ihrem Thun liegt eine unruhige Beweglichkeit, so gewandt sie auch Alles macht.
Plötzlich tritt er hart an sie heran, bückt sich, stemmt sich mit verschränkten Armen an die Kante des Bügelbrettes und blickt mit einer Miene fast leidenschaftlicher Bewunderung zu ihr auf. Er merkt, wie ihre Hand, die auf dem Griffe des Eisens ruht, zusammenzuckt.
„Warum ich eigentlich kam,“ sagt er, „ist, daß ich fragen wollte, wann ich Sie auf den Abend zu Seiler's holen soll, Base? Ich muß heute ohnedem beim Bürgermeister aufwarten und werde sagen, daß für Ihre Begleitung gesorgt ist; ich darf doch?“ und immer noch blickt er unverwandt in ihr Gesicht.
Ihre Augen glänzen siegreich zu ihm hinüber.
„Kommen Sie! Heute Abend, gegen acht Uhr bin ich fertig,“ stürzt es beinahe unbewußt von ihren Lippen.
„Es ist das erste Mal, Base, daß ich mit Ihnen tanze. Wenn wir mit einem Mädchen tanzen, ist sie unsere Gefangene.“
„Aber wenn wir ‚halt!‘ sagen, müssen Sie uns freigeben,“ antwortet sie gepreßt und versucht gleich darauf recht laut und harmlos zu lachen. „Wir sind Ballköniginnen, Vetter, und Sie haben Unterthanengehorsam zu leisten.“
„Ich will Sie nicht böse machen; sonst würde ich Ihnen aus der Weltgeschichte zeigen, wie schwach Königinnen sind.“
„Auch Maria Theresia?“ fragt sie stolz.
„Nein, die nicht – die große Feindin Ihres großen Fritzen nicht – des einzigen Mannes, den Sie fürchten und anbeten – nicht wahr? Sie haben mich halb geschlagen. Aber was für eine Krone setzen Sie heute Abend auf, Base?“
„Ich weiß nicht; man braucht auch keine Krone, um sich in Respect zu setzen, wenn man von Natur schon Königin ist. Ich hole mir heut Nachmittag ein paar frische Blumen vom Gärtner herein.“
„Ich will hingehn und sie für Sie aussuchen. Es machte mir Spaß – soll ich nicht?“
In diesem Augenblick hört man drinnen in der Kammer den Alten poltern.
„Gegen sieben bin ich mit den Blumen hier. Ist's früh genug?“
„Ja.“
„Adieu, Bäschen! Freuen Sie sich auf heute Abend?“
„Unsinn! warum würd' ich sonst hingehen? Guten Morgen, Johannes!“ ... dann hält sie plötzlich, wie erschrocken, inne.
„Adieu! – Guten Morgen, Dora!“ und er zieht die kleine heiße Hand, welche sie ihm reicht, einen Augenblick schmeichelnd durch seinen Arm, eilt dann aber jählings hinaus und läßt das verwirrte Mädchen allein im Zimmer.
Und Nachmittags um fünf, als es schon anfängt, finster zu werden, sieht man Johannes Strohmeyer raschen Schrittes durch's Thor hinaus zum großen Kunstgarten gehen. Er denkt an Dorette und lächelt, und seine Augen blicken mit unruhiger Lebhaftigkeit vor sich hin. Er fragt nicht, ob sie ihn liebt: natürlich liebt sie ihn – das hat sein durchdringender Blick schon entdeckt, als kaum die ersten Blumen des Sommers blühten.
Und vielleicht wäre seine eigene Liebe jetzt noch leidenschaftlicher, wenn er sein Glück länger zu erkämpfen gehabt hätte. Trotz ihrer schnellen Hingabe aber wird ihm Dorette mit jedem Tage unentbehrlicher und übt eine seltsame Gewalt auf ihn aus. In allen Dingen, die er unternimmt, ist ihm an ihrem Urtheil gelegen, und manchen Abend, den er in angeregter Männergesellschaft verbringen könnte, opfert er, um nur wieder im kleinen Thorschreiberstübchen der Base gegenüber zu sitzen.
So leben sie neben einander hin, und es versteht sich von selbst, daß er sie heirathen wird – wenn er erst so weit ist.
Als er beim Gärtner drei leuchtende, dunkelrothe Rosen für Dorette abschneiden läßt, sieht er sehr befriedigt aus und läßt die Finger spielend über ihre sammetnen Blätter gleiten. Ebenso, ganz ebenso wird das schöne, stolze Mädchen mit sich spielen lassen, wenn er sie erst für sich gebrochen haben wird.
Es ist nur wenige Minuten über sieben Uhr, als er mit den Rosen beim Thorschreiber eintritt. Dorette kommt ihm entgegen und nimmt sie ihm strahlenden Gesichtes ab; das weiße Tanzkleid hat sie schon angelegt und beeilt sich nun, die Blumen als letzten Schmuck in's Haar zu stecken. Aber drei Rosen scheinen ihr zu viel als Kopfputz; sie löst die eine wieder ab und steckt sie vorne an die Brust. Als sie so geschmückt in die Mitte des kleinen Gemaches tritt, glühen ihr Wangen und Lippen so tief vor fieberhaft seliger Erwartung, daß der alte Rickmann in seiner kindlichen Einfalt ausruft: „Nun sag' mir mal Einer, wo die Rosen schöner blühen, auf Doring's Frisur, oder in ihrem Gesicht!“
Dann stellt er sich vor sie hin und sieht sie mit stiller Freude an. Ab und zu nickt er auch wohl vor sich nieder und blickt dann wieder bedeutungsvoll zur Seite, wo Johannes Strohmeyer steht. Freilich – ih freilich doch, dies ist noch ein anderes Paar, als die blühende Dorette und der reiche Herr Putzbach, den die äußere Schönheit nie gedrückt hat.
Anfangs hat es ihm nicht recht in den Sinn gewollt, daß sein junges Kind mit dem weitläuftigen Vetter heute Abend so allein durch die Straßen gehen wollte. Aber jetzt hat er sich ganz darüber beruhigt; es wird ja Alles anders in der Welt; Moden und Sitten und alle altväterischer Gebräuche werden verändert, und seine Dorette muß ja am besten wissen, was sie thun oder lassen kann. So geht er denn ganz in Bewunderung auf.
„Doring, was werden die Leute denken, wenn Du hereinkommst?“ kann er sich schließlich nicht enthalten zu sagen.
„Nichts, Vater! Sind nicht alle so vernarrt in mich, wie Sie. Und Sie hätten, weiß Gott, am wenigsten Grund dazu,“ spricht sie hastig und unachtsam weiter, während sie Mantel und Kapuze über den Arm nimmt. „Eines schönen Tages schwimme ich Ihnen doch davon, und Sie haben als Gluckhenne das Zusehen vom Ufer.“
„Unsinn das – wo wolltest Du denn hinschwimmen?“
„Die Welt ist weit. Wenn ich mich z. B. heute Abend mit einem vornehmen schwedischen Officier verlobte, schwämm' ich Ihnen gewiß gleich davon.“
„Leichtfertiges Zeug, Doring, und davor ist dem alten Thorschreiber gar nicht bange.“
Und wieder sieht er Johannes Strohmeyer mit einem unbeschreiblich tiefen Blicke väterlichster Freundlichkeit an.
„Aber ich fürchte,“ setzt er launig hinzu, „Du schwimmst mir so schon alle Tage davon – und ich Alter seh' Dir dumm nach und weiß viel, wo Du hinsteuerst.“
„Lassen Sie, Vating!“ sagt sie schnell und erröthet.
Der Alte aber lächelt sehr glücklich, wie immer, wenn ihn die Tochter einmal mit dem herzlichen vorpommerschen „ing“ anredet.
Indessen sieht Johannes, der näher getreten ist, fast mit einem Anfluge von Eifersucht auf den Thorschreiber.
„Aber nun habe ich auch lange genug vor Euch auf dem Präsentirteller gestanden,“ ruft Dorette plötzlich und geht, sich leicht von einer Seite zur anderen wiegend, einige Schritte vorwärts. „Vetter, haben Sie auch den Begel nicht vergessen? Das ist ein alter Stralsunder Tanz; den muß Jeder weg haben: wir wollen die Probe machen.“
Doch schon nach wenigen Secunden meint sie: „Bewahre Gott, es ist lächerlich, hier in dem Loch zu tanzen. Ich will mich langsam aufkappen; dann wird's Zeit sein, zu gehen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_816.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)