Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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„Nein,“ erwidert er, sich schnell erhebend, um seine Zerknirschung durch eine bürgerlich stolze Haltung zu bemänteln.
Während er in diesem Bestreben noch nach ein paar passenden Abschiedsworten sucht, erscheint Johanne Seiler, für beide Theile eine befreiende Unterbrechung, in der Thür. Aber draußen auf dem Flure, wohin ihm Dorette halb gedankenlos das Geleite giebt, wendet sich Putzbach noch einmal um. Die Abschiedsworte, welche er vorher vergeblich suchte, drängen sich ihm jetzt auf die Lippen, und in bewegtem Tone sagt er:
„Ich wünsche, meine liebe Mamsell Rickmann, daß Sie glücklich mit dem Andern werden.“
„Er faßt sich wie ein Mann und wie ein Bürger,“ würde ihm Dorette noch vor einem Jahre höhnisch nachgemurmelt haben – jetzt zuckt sie nur hastig die Achseln.
Als sie zu Johanne zurückkommt, ist sie sehr aufgeregt.
„Du brauchst mir gar nichts zu sagen; ich weiß Alles, Dorette,“ meint die Bürgermeisters-Tochter.
„So weißt Du es?“ flüstert Dorette leidenschaftlich.
„Nun, Kind, man brauchte eben nicht absonderlich hellsichtig zu sein, um zu definiren, daß hier ein Freier abgeblitzt war.“
Dorette senkt den Kopf, und, die Stirn mit beiden Händen beschattend, fragt sie leise seufzend: „Und – das Andere?“
„Weiß ich lange,“ ist die Antwort. „Oh, madame, lui dit-il, me mettez-vous au rang des aveugles ou des sots?“
„Laß Deine Mama und die schlechten Späße! Ich hätt’ Dir’s längst gesagt, Hanne, aber wozu auch? O –!“ und Dorette lehnt eine Secunde mit geschlossenen Augen gegen die Wand.
„Dorette?“
„Ja, was denn? Hanne, Du weißt ja doch, wie es ist!“
„Glaubst Du denn, daß er gut ist?“
„Nein!“ ruft Dorette mit einer Heftigkeit, daß die Andere erschrickt. „Was kümmert es mich, ob er gut ist oder nicht, wenn wir uns lieben?!“
„Seine Augen sind kalt,“ fährt Johanne unerbittlich fort.
„Aber sie schneiden in die Seele, wie ein zweischneidig Schwert,“ antwortet Dorette feierlich. „Und sie können auch glühen, sag’ ich Dir, und sie müssen auch glühen, und sie sollen’s noch oft thun.“ Dann fährt sie fort, und ihre düster flammenden Augen erweitern sich und leuchten prophetisch: „Wir werden über alle Begriffe glücklich werden. Und nun weißt Du es. Frag’ mich nie danach, und sag’ keinem Menschen was davon! Spiele nicht die Eingeweihte – ich hasse das. Es muß sein, als wüßtest Du nichts; auch wenn wir allein sind.“
Indessen brauchte sich Johanne Seiler keinen Zwang anzuthun: die Mädchen sind in der folgenden Zeit kein Mal zusammen, daß nicht Dorette schon nach den ersten fünf Minuten „seinen“ Namen genannt hätte. Nach und nach fängt sie jetzt doch an, ungeduldig zu werden; sie kann Johanne oft unter wilden, glückseligen Thränen umarmen und alle Zärtlichkeit, die eigentlich ihm gilt, über die Freundin ergießen. Es kommen Secunden, in denen sie zweifelt. „Johanne,“ sagt sie einmal, „er will hoch hinaus; er wird sich nicht binden. Warum widersprichst Du nicht? Lüg’ mir doch!“
Aber solche Secunden gehen schneller, als sie gekommen sind: kann es einen Mann geben, der Dorette Rickmann ausschlägt, wenn sie ihn liebt?
Und Anfang December feiert Dorette zwei herrliche Tage; sie stehen fest in ihrer Seele, wie eine große Sonne, die in alle Ewigkeit strahlt, ob auch Nacht und Wolken über sie hingehen.
Im Stadthaus ist ein vom Bürgermeister veranstalteter Ball. Die Familie Seiler hat versprochen, Dorette mitzunehmen, und Johannes wird natürlich auch dort sein.
Dorette ist früh aufgestanden, ehe noch die Decembersonne in ihre Kammer scheint. Schwebenden Ganges, als hätte das Glück Flügel für sie ausgespannt, steigt sie die alte Bodentreppe hinauf, um aus der Truhe ihr weißes Einsegnungskleid hervor zu holen, das sie beim Morgenfeuer aufbügeln will.
Als sie oben den Deckel öffnet und das blendende Gewand sieht, hebt sich ihre Brust und ein langes, entzücktes Lächeln zittert auf ihren Lippen.
„Johannes! Johannes!“ ruft sie vor sich hin.
Es ist das erste Mal, daß sie ihre Liebe, in diesen Namen zusammengefaßt, laut vor sich selber bekennt. Ein Schauer faßt sie, und plötzlich schwingt sie in jähem Wechsel des Empfindens das behutsam dem Kasten entnommene Kleid übermüthig über ihr Haupt empor und eilt mit erhobenem Arme die Treppe hinab. Während dann das heiße Eisen über den feinen Stoff gleitet, denkt sie an den vergangenen Abend: Das Stadtthor war schon verschlossen und der Alte, ihr Vater, seit Feierabend hinübergegangen zum Nachbar. Da klopfte es an die Thür, und auf ihr „Herein!“ trat Johannes Strohmeyer in’s Zimmer.
Seine Augen blitzten auf, als er sie allein, über ein Buch gebückt, in der Stube sitzen sah. Er nahm ohne Weiteres ihr gegenüber am Tische Platz, nachdem er ihr die Hand zum „guten Abend!“ herübergereicht hatte. Sie sprachen von dem Buch, das sie las, von dem Balle auf dem Rathhause und zuletzt von den Stunden, die Johannes im Orgelspiel nimmt. Dorette erinnert sich noch des ganzen Vorgangs von gestern: Im Laufe des Gesprächs hatte sich der Vetter erhoben, um zwischen den Wänden des kleinen Gemaches auf und ab zu gehen. Als er aber auf das Orgelspiel zu reden kam, stand er plötzlich still.
Indem sich Dorette die Scene vergegenwärtigt, hält sie inne in ihrer Arbeit und starrt auf die Wand: dort stand er ja gestern mit erhitztem Gesicht, die dicken, blonden Haare zurückgestrichen, die Blicke seltsam funkelnd. Sie sieht ihn lebhaft vor sich, wie er den einen Arm, der am Körper ruht, gegen die Wand lehnt und den anderen kühn emporreckt, um absichtslos in der Erregung des Augenblicks auf das Thürsims über seinem Haupte zu greifen. Gleich einer Heldengestalt aus der nordischen Göttersage steht er in der Erinnerung des bewundernden Mädchens da: dieses seltsame Gemisch von Schlauheit und Größe, von Feuer und Kälte in den Zügen! Und in der ganzen Erscheinung jene Schönheit, deren Wesen die Kraft ist!
Dorette aber weiß wenig von den alten Göttersagen, stellt auch sonst keine Vergleiche an; wie gestern geht sie vollständig im Momente unter, als wäre es auch heute leibhaftige Wirklichkeit, was sie vor sich sieht.
Und wie gestern hört sie, daß er sagt, er werde nicht lange mehr beim alten Holztüm Unterricht nehmen; es sei weggeworfenes Geld; er wisse schon jetzt mehr, als der Lehrmeister; mit jedem Tage werde es ihm klarer, daß sein eigentliches Feld die Musik sei; wenn er nur die Mittel hätte, würde er gleich wieder zurückgehen, von wo er im Frühjahr hergekommen wäre, um sie dort zu erlernen; so müsse er freilich klein anfangen und sich selber bilden, aber – und von den folgenden Worten ist ihr jedes einzelne im Gedächtniß geblieben: ,Wer klein anfängt, braucht nicht gleichermaßen klein aufzuhören. Der Mann muß in die Welt. Ein Mann, der an der Heimath kleben bleibt, ist ein Löwe im Käfig. Ich habe Blut geleckt, Base, und muß wieder hinaus. Nach Paris brauche ich nicht wieder; das meine ich nicht, aber ich muß in große Kreise. Ich will in ein Amt, das der Mühe werth ist, verwaltet zu werden. Sehen Sie, Base Dora, Andere verstehen mich nicht; man braucht nicht zu wälschen, um in fremden Zungen zu reden, und wenn ich so etwas zu unsern Stralsunder Spießbürgern sage, bedünkt mich’s, daß ich vor Taubgeborenen eine Bach’sche Fuge mit aufgezogenen Registern spiele. Aber Sie verstehen mich, Doring!’
Ja, sie versteht ihn; sie würde ihn verstanden haben, wenn er sie auch nicht so durchbohrend dabei angesehen hätte. Nie ist er ihr so schön erschienen, als in den Augenblicken, da er so sprach, denn es ist das erste Mal, daß er mit so innerer Ergriffenheit gesprochen hat. Es war ein wunderbarer Klang, den das Wort „Welt“ in seinem Munde hatte, aber, obgleich er sie erbeben machte, hat er einen Wiederhall in ihrer Brust gefunden. Und was ihr seine Reden auch zu denken geben mögen: Eines steht doch fest – und das sind seine letzten Worte, und die kann kein nagender Gedanke ihr zerschneiden und kein jäher Zweifel ihr zerreißen.
„Aber Sie verstehen mich, Doring!“ sagt sie jetzt halblaut.
Dann nimmt sie hastig wieder das Bügeleisen zur Hand.
„Was für Blumen soll ich in’s Haar nehmen?“ fragt sie; und so jagt ein Einfall den anderen.
Was ist das? Ruft man nicht ihren Namen vor der Hausthür? – Natürlich ist es Unsinn, aber sie glaubt gewiß, daß es des Vetters Stimme war.
Noch steht sie horchend mit erhobenem Kopf, als sie von Neuem
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_815.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)