Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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No. 48. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
„So!“ sagte Vater Claus, indem er mit Daniel von der Felsenhöhe herabkam und sich der Hütte zuwandte, „nun haben wir jeden Winkel und jede Höhle der Insel durchsucht – sie sind verschwunden.“
„Ja, Herr!“ meinte Daniel und sah ihn mit offenem Munde schläfrig an.
„Potz Anker und Segeltuch!“ fuhr der Alte fort, „ein räthselhaftes Mädchen ist und bleibt sie doch. Heute Nacht noch Gischt und Gezische, wie wenn Feuer und Wasser zusammengerathen, sowie ich nur den Namen nenne. 'Nein, den Olaf nicht,' zeterte sie, 'den nicht!' – und nun? Fort, Beide fort! Die Dämmerung bricht schon herein. Vier Uhr und noch immer nicht zurück! Ist Dir je so etwas vorgekommen, Daniel?“
„Nein, Herr!“ entgegnete er und blinzelte ihn wieder mit seinen kleinen Augen dumm an.
„Und wohin?“ polterte der Graukopf verdrießlich und knöpfte in innerer Unruhe seinen Rock zwecklos auf und dann wieder zu. „Gott weiß es. Hinaus könnte man bei dem Höllenwetter allenfalls segeln, obgleich es ein tolles Stück wäre –“
„Ja, Herr.“
„Aber hinein in den Felsenhafen gewiß nicht, ohne unbarmherzig zu ersaufen.“
„Nein, Herr.“
„Hast Du dem Axel aufgetragen, nachzusehen, ob das Boot an der Kette liegt?“
„Ja, Herr.“
„Und ihn seitdem noch nicht wiedergesehen?“
„Nein, Herr.“
„Zum Kukuk mit Deinem: 'Ja, Herr – nein, Herr!' Geh’ selbst und sieh’ nach dem Boote!“
„Ja, Herr.“
Daniel setzte seine breiten, plumpen Stiefel eben in Bewegung, als Vater Claus ihm nachrief: „Halt, mein Junge! Da kommt Axel selbst.“
„Das Boot ist fort,“ sagte Dieser, indem er über die Klippen zu ihnen daherkam, „fort mit Rudern und Segeln, Herr. Nur das andere Boot, das schon seit Wochen leck ist, liegt an der Kette.“
„Verdammt! So ist kein Zweifel mehr,“ fluchte der Alte und stampfte ärgerlich mit dem Fuße auf.
„Eine Entführung, wie sie im Buche steht!“ lachte Axel, aber in sein Lachen mischte sich doch heimlich ein Ton ängstlicher Beklommenheit.
„Das begreife, wer kann!“ wetterte der Greis, und in seinem sturmzerfressenen Gesichte standen Zorn und Schmerz zugleich.
„Weiberherzen, Weiberherzen!“ spottete Axel weiter.
„Blasser Undank!“ seufzte Vater Claus, „hab’ ich sie nicht gehalten wie mein eigen Kind?“
„Wie Euer eigen Kind?“
„Ja doch, Junge! Eigen Kind oder nicht – brauchst nicht gleich Alles auf die Goldwage zu legen,“ murrte er, und um seine Mundwinkel spielte etwas wie versteckte Verlegenheit. „He, Baron!“ rief er dann abbrechend Hallerstein zu, der, das Fernrohr am Auge, soeben auf der Höhe eines benachbarten Felsens erschien. „Seht Ihr etwas?“
„Einen schwarzen Punkt, wie ein Boot,“ antwortete Dieser mit dem Ausdrucke höchster Erregung. „Ja, ein Boot – eine schlanke Mädchengestalt darin – Karin! Nun etwas hell Schimmerndes – Rustan’s weiße Haare! Und da, da – eine Mannesgestalt –“
„Das ist Olaf,“ unterbrach ihn der Alte, der zu ihm getreten war und durch das Fernrohr in den Orkan hinaus gelugt hatte. „Nur ein Wunder kann sie retten. „Daniel,“ wandte er sich an den Burschen, „lauf’ und bringe Stricke und Rettungskörbe zur Stelle! Wollen thun, so viel wir vermögen. Vorwärts!“ Daniel ging. –
Eine Minute später standen die Anderen, Mutter Hedda unter ihnen, auf dem Felsen um den Baron; sie blickten angstvoll in die See hinaus. Schon dunkelte der Abend, und noch immer war der Sturm im Wachsen. Er schwang seine feuchten schwarzen Fittige mit einer Gewalt, daß das Wasser sich in wilder Empörung aufbäumte. Es war, als wollte die Fluth das Land in rasendem Ansturze hinabschlingen. Das kleine Fahrzeug schoß mast- und ruderlos mit fliegender Schnelle vor dem Wetter her, über die Untiefen hin und an drohenden Felsbänken vorüber. Plötzlich tönte, wie eine Geisterstimme, angstvolles Rufen durch den Sturm. Alle fuhren erschrocken zusammen.
„Sie sehen uns,“ sagte der Alte? „Olaf ruft uns an. Himmel und Hölle! Was thun? Wie helfen? Unser zweites Boot ist leck.“
„Wir können nicht wider die Sterne,“ meinte Mutter Hedda.
Das Sausen des Windes schwieg einige Secunden, und durch die Stille der Luft gellte wieder der Nothruf Olaf’s, wie die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_781.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)