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Seite:Die Gartenlaube (1880) 773.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Der Julius-Thurm in Spandau.

„In Bereitschaft sein, ist Alles.“

Dieses Wort Hamlet’s machte der Reichskanzler im Jahre 1874 zu seinem Motto. Er forderte aus den Milliarden der französischen Kriegscontribution damals 120 Millionen Mark, um im Falle der Noth in kürzester Frist die Kriegsbereitschaft herstellen zu können. Im Grunde bedeutete diese Forderung nur eine Erweiterung des preußischen Kriegsschatzes von 90 Millionen auf 120 Millionen für das deutsche Reich. Nach der Bewilligung des Reichstags gingen am 3. Juli 1874 60 Millionen Mark aus der deutschen Reichsbank nach Spandau ab, und zwei Tage später folgten weitere 60 Millionen. Dieser Reichskriegsschatz, bestehend aus geprägtem Gold und schweren Goldbarren, wurde in eisernen Kisten in die Tiefe des Julius-Thurms zu Spandau versenkt.

Als ich zum ersten Male vor den hohen Bastionen der Citadelle stand, welche den Julius-Thurm mit seinem „Spreegold“ umgiebt, fiel mir unwillkürlich Moritz Hartmann’s launiges Märchen von dem Prinzen ein, der viele Jahre lang eine Festung berannte, um einen köstlichen Kuchen zu erobern. Der thörichte Prinz erstürmte nach schrecklichen Opfern und Mühen die Citadelle, allein der heißersehnte Kuchen war indessen – altbacken geworden. Einer gleichen Gefahr ist zwar der vielbegehrte Schatz im Julius-Thurm nicht unterworfen; denn Gold, in welcher Form und unter welchen Verhältnissen es immer erscheinen mag, behält seinen Werth, aber gleichwohl schrumpft der Schatz ein, wie Alles, was man abseits trägt vom Strom des Lebens: seit sechs Jahren liegen die 120 Millionen im Julius-Thurm, und ein einfaches Rechenexempel lehrt, daß dieselben seither – ohne Zins auf Zins zu legen – bereits 30 Millionen als Zinserträge gebracht hätten.

Ach, wir Armen! Was hätte sich mit dreißig Millionen Alles schaffen lassen! So lange indessen die Culturvölker die stehenden Heere fort und fort wachsen lassen, so lange in Ost und West die Kriegsfurie lauert, mögen Bismarck und Moltke Recht behalten mit dem Ausspruche: In Bereitschaft sein, ist Alles.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_773.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)