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Seite:Die Gartenlaube (1880) 760.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


manchen Auffassungen der württembergischen Geistlichkeit und neigte in mehreren Punkten dem Calvinismus zu. Dafür mußte er sein engeres Vaterland verlassen, und zeitlebens versperrten ihm die lutherischen Orthodoxen in demselben den Weg zu einer festen Anstellung. Ihr Haß und ihre Unduldsamkeit trafen den gefeierten Mann, dessen Schriften von wahrhaft christlichem Geiste durchhaucht sind und der sich in Graz die Märtyrerkrone erwarb. Ja, als unserm Kepler während seines Aufenthaltes in Linz von dem dortigen lutherischen Geistlichen das Abendmahl verweigert wurde, weil er die sogenannte Concordienformel mit der Verfluchung der Reformirten nicht unterschreiben wollte, und er sich deshalb beschwerend an das Consistorium zu Stuttgart wandte, nannte ihn unter Anderem dieses in seiner Antwort einen Wolf im Schafspelz, der mit ungereimten Speculationen sich selber verwirre, an Gottes Wort, Christus und Kirche sündige und besser daran thäte, seinen mathematischen Studien mehr obzuliegen.

Daß bei solchen Erfahrungen unseres humanen Astronomen Meinung von den Vertretern der Kirche keine besonders hohe sein konnte, ist natürlich. An Markgrafen Ernst Friedrich von Baden schrieb er:

„Das Uebel, welches Deutschland drückt, rührt größtentheils von dem Uebermuth einiger Geistlichen her, welche lieber regieren als lehren. Gewisse, zum Lehramt berufene Doctoren wollen Bischöfe sein, suchen in ihrem unzeitigen Eifer alles umzukehren und verleiten ihre Fürsten zu übereilten Schritten. Der Geist der Einigkeit und wechselseitiger Liebe wird vermißt.“

In ähnlichem Sinne schrieb er an den katholischen Prälaten Johann Pistorius:

„Sie werden mir an jenem großen Tage das Zeugniß geben, daß ich nie einen persönlichen Haß gegen den Papst und gegen die Priester hatte, sondern allein Eifer für Gott und seine Anstalten, indem ich in derjenigen Freiheit bleibe, in der mich Gott geboren werden ließ. Zu den Thorheiten dieser Welt zähle ich den Verfolgungsgeist, welcher alle Religionsparteien beherrscht, die Einbildung, welche jede hat, ihre Sache sei auch die Sache Gottes, sie allein besitze das Privilegium zur Seligkeit, die Anmaßung der Theologen, ihnen stehe das Recht, die Schrift auszulegen, allein zu, ihnen müsse blindlings geglaubt werden, selbst wenn ihre Auslegungen der Vernunft entgegen laufen, endlich die Vermessenheit, mit der sie Diejenigen verdammen, welche von der evangelischen Freiheit Gebrauch machen.“

Hiermit denken wir genugsam das Verhältniß Kepler’s zu Religion und Kirche charakterisirt zu haben und wollen nur noch einige Zeilen über sein Verhältniß zum Vaterlande hinzufügen.

Kepler trug die schönste der deutschen Tugenden in der Brust: die Treue. Dies zeigte er nicht blos gegen seine Glaubensgenossen, er harrte auch treu bei dem entthronten Kaiser Rudolf aus, dem er noch nach dessen Tode die astronomischen Tafeln widmete – und vor Allem blieb er seinem Vaterlande treu. Er versäumte es niemals, in seinen vielgelesenen Kalendern unter astrologischen Andeutungen versteckt seinem Volke geistreiche Winke über sein politisches Heil zu geben. Zweimal sollte Kepler sein Vaterland verlassen und einem Rufe in’s Ausland folgen – zweimal widerstand er solcher Versuchung. Als er, hart bedrängt, von Linz aus nach einem andern Aufenthaltsorte ausschaute, lud ihn König Jacob der Erste von England zu sich; er aber schrieb damals an seinen Freund Berneke in Straßburg unter Anderem:

„Ich bin meinem Vorsatze treu geblieben, meine Dankbarkeit zu beweisen und den Ständen auch in ihrer Gefahr zu dienen, wenn ich kann und sie mich nicht zurückweisen. – Du siehst, die Flamme des Bürgerkrieges wüthet in Deutschland; es siegen Diejenigen, von welchen das Wohl des Reiches abhängt; das Benachbarte wird ergriffen; das Feuer verbreitet sich immer weiter. Soll ich also über das Meer hinüber gehen, wohin man mich einladet? Ich ein Deutscher?“

Ein anderes Mal, als er eine Professur zu Bologna ausschlug, schrieb er: „Ich bin nach Geburt und Gesinnung ein Deutscher und von Jugend auf gewohnt, mich im Reden und Handeln der deutschen Freiheit zu bedienen.“

So blieb er Deutschland treu und sparte uns denn Vorwurf, daß das Ausland ihn vielleicht besser behandelt hätte, als sein Vaterland.

Zwar macht man diesem unserem Vaterlande so wie so den Vorwurf, es sei zu Lebzeiten des großen Mannes sehr undankbar gegen ihn gewesen, und eine Zeitlang hat man sich bei uns darin gefallen, höhnisch zu sagen, daß wir unsern Kepler geradezu hätten verhungern lassen. Diese Behauptung ist eine historische Unwahrheit; denn das Inventar, welches in Regensburg über den Nachlaß des verstorbenen Kepler aufgenommen wurde, zeugt, wenn auch nicht von bedeutender Wohlhabenheit, so doch auch nicht von Dürftigkeit. Wohl steht es ja fest, daß Kepler einen harten Kampf mit dem Leben zu bestehen hatte, aber abgesehen von der oben berührten tadelnswerthen Haltung der württembergischen Theologen, kann man doch in einer Zeit, in welcher der Wohlstand und zwei Drittel der Einwohnerzahl eines Landes unter blutigen Gräueln vernichtet wurden, füglich nicht erwarten, daß dem Manne der Wissenschaft reichlich mit Gold gelohnet werde. Und trotz aller Entbehrungen, die er zu erleiden, trotz alles Leides, das er zu erfahren hatte, können wir von Kepler sagen: er war ein glücklicher Mann; denn hoch wie der Vogel in die freie Himmelsluft schwang sich sein Geist über die Sorgen und Genüsse der Alltagswelt hinauf zu den freien und lichtvollen Höhen des Geistes, wo das Leid der Erde nur von fern herauf klingt. Er sah dort oben die ersten Strahlen einer aufgehenden Sonne und schaute weit über Jahrhunderte hinaus. Er war ein glücklicher Mann des deutschen Ideals, auf den wir wohl die Worte des berühmten Alexandriners Claudius Ptolemäus anwenden dürfen:

„Der ist nicht todt, der die Wissenschaft belebt hat,
Und der war nicht arm, der das Geistige besaß.“

Ch. Ruths.




Schwester Carmen.
Aus dem Leben einer deutschen Herrnhuter-Colonie.
Von M. Corvus.
(Fortsetzung.)


„Eher sterben als mein Weib werden?“ fragte Jonathan höhnisch, indem er an Carmen und Alexander hinantrat. „Fürwahr, eine schöne Antwort, die ich mir zu holen komme! Das also ist die züchtige Schwester, die ich nicht berühren darf? Einen rechtschaffenen Mann, der sie liebt, stößt sie von sich und weist den Willen des Heilandes zurück, um dafür einem fremden Eindringlinge sich in die Arme zu werfen? Denkst Du, wir werden eine Schwester unter uns dulden, die aller demüthigen Liebe und Ergebung, aller Zucht und Sittsamkeit entbehrt, wie sie für ein Glied der Gemeine sich geziemen? Ich, als Vorsteher der Schwestern, werde nun bei den Aeltesten darauf antragen, daß Carmen Mauer aus der Gemeine gestoßen werde.“

Carmen stand wie betäubt unter diesen entsetzlichen Worten; sie athmete tief, aber sie antwortete nichts. Sie preßte nur die Hände gegen das klopfende Herz und hob das bleiche Gesicht zu ihm empor, ruhig, theilnahmlos, als ob seine Beschuldigungen und Drohungen jetzt unempfunden an ihr abprallten.

„Fräulein Carmen!“ rief, als Jonathan schwieg, Alexander’s tiefe, wohllautende Stimme. Dieser Laut scheuchte alles Entsetzen von ihr hinweg, und sie kehrte die Augen fragend und vertrauensvoll wieder zu ihm hin.

„Fräulein Carmen,“ fuhr er fort, „Sie haben mir einmal gesagt: nur der Arm des Vaters oder des Gatten dürfe Sie umschlingen. Wenn mein Arm Sie jetzt stützend umfangen hielt, haben Sie es geduldet, weil Sie meiner Ehre und meiner Liebe so fest vertrauen, um damit für alle Zeit mir das Recht zu geben, Sie als Gatte zu beschützen?“

Sie sah ihn an mit freudigem Stolze. „Ja!“ sagte sie fest, ohne Zaudern, ihm die Hand hinreichend.

Er drückte diese Hand mit leidenschaftlicher Wärme.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_760.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)