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Seite:Die Gartenlaube (1880) 748.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Siehst Du nicht die riesige Welle kommen? Schwarz und gähnend wälzt sie sich daher. Sie wird uns verschlingen – schwarz, ganz schwarz.“

„Ihr träumt. Der Kienspan qualmt im Zugwind, wie schwarze, flatternde Wolken.“

„Weib, ich muß Dich retten.“

Er zog Karin mit einem gewaltigen Ruck fest an sich.

„O Gott!“ seufzte sie leise.

„Wunderbar!“ flüsterte er, „wie ganz anders, wie sanft auf einmal Deine Stimme klingt!“ – er preßte sie fester an sich. „Und nun hinab!“ rief er, „hinab in die Fluth!“

Nur noch eine heftige, wie stürzende Bewegung des Träumenden, dann ein furchtbares Beben und Schütteln, das seinen Leib durchfuhr – und klar und groß schlug er die Augen auf.

„Wo bin ich? – Du bist nicht Du,“ sagte er nach kurzem Besinnen und ließ das Mädchen aus den Armen. „O, wie schön Du bist!“

Mit klopfendem Busen, mit flammenden Wangen, verwirrt und bestürzt, eilte Karin hinaus. Sie flog mehr als sie ging.

„Mutter Hedda, Vater Claus, er ist erwacht – er lebt.“

Draußen im brausenden Sturm, im fallenden Regen blieb sie einen Augenblick aufathmend stehen. Rustan, der ihr nachgeeilt war, schmiegte das schöne kräftige Haupt in die Falten ihres wehenden Kleides. Vom Himmel schoß ein Stern herab, und es war ihr, als wäre er ihr in den Schooß gefallen, als wäre sie auf einmal reich geworden, unendlich reich, und als müßten alle ihre Wünsche verblassen vor dem einen leuchtenden Besitz.

„Leben! O, wie schön ist es, zu leben!“ flüsterte sie in sich hinein.

Fernab im Osten, inmitten der ziehenden Wetterwolken, glomm es röthlich, das einzig Feststehende im jagenden Getümmel des Sturmhimmels. Karin schauete in das wachsende Roth der Ferne ahnungsvoll hinüber – hinüber – –

Es war der anbrechende Morgen.

(Fortsetzung folgt.)




Der Dichter-Componist des Jahrhunderts.


Schon wieder Wagner? – Allerdings haben wir mehr als genug von jener sentimentalen Wagner-Literatur, welche in der ersten besten Fermate des Componisten etwas ganz Besonderes findet, und zu viel von jener doctrinären, in welcher Leute von schlecht erwiesener Vollmacht gegenüber dem gewaltigen Schöpfergeist des Meisters von Baireuth die Kunstgesetze vertreten wollen. Aber wenn es Thatsache ist, daß die Einen in Richard Wagner eine Art von Menschheitsretter verehren, während ihn die Andern als Kunstverderber hassen, so bedarf es keiner weiteren Rechtfertigung, wenn immer wieder der Versuch gemacht wird, über die Bedeutung und das Wesen des Mannes aufzuklären. Der einfache Kunstfreund, welcher sich heute Abend an einer Oper Wagner’s erbaut hat, liest morgen in der Zeitung, daß die Werke des Baireuther Tonzauberers Kunstsinn und Charakter gefährden, und einem Andern, der die ganze Vorstellung wenig nach seinem Geschmack gefunden, wird in einem zweiten Blatte versichert, daß es ein Entzücken gewesen sei vom Anfang bis zum Ende. Ein Blick auf den äußeren Verlauf dieses Wagner-Krieges, der nun schon vierzig Jahre gedauert hat, hilft auch nur wenig zur Orientirung, denn darnach kann sein Ausgang noch unentschiedener erscheinen: die Gegenpartei hat bis jetzt nicht capitulirt, sondern vertröstet sich auf dieselbe Zukunft, auf welche sie schon in früherer Zeit mit spöttischem Scherze die Anhänger Wagner’s verwies.

Wird man sich jemals über Wagner völlig einigen? In der Hauptsache: ja. Ein Rest von Widerspruch wird freilich immer bleiben; Naturen, welche in der Kunst nur den Frieden und die geebnete Schönheit des Parkes suchen, kann man nicht zumuthen, Freunde eines Künstlers zu sein, der in seine Werke die Leidenschaften in ihrer vollen Naturgewalt hineinträgt. Aber seinen formellen Reformen gegenüber wollen wir uns hüten, kleinlich zu sein; denn an und für sich sind sie sachlich und historisch berechtigt und so wenig unerhört, daß sie von dem harmlosen Theile des Publicums in der Regel nicht als Neuerungen empfunden, ja wohl überhaupt gar nicht bemerkt werden. Wie Wenige unter denen, welche den „Fliegenden Holländer“, den „Tannhäuser“ oder den „Lohengrin“ anhören, haben eine Ahnung davon, daß die Anlage dieser Werke eine andere ist, als die einer Mozart’schen Oper! Auch der junge Richard Wagner wurde bei den ersten Schritten, die er als schaffender Künstler that, vom Geiste der Nachahmung geleitet. Daß er mit den Ouvertüren, Schauspielmusiken und Opern seiner Junggesellenjahre den hervorragendsten Meistern der Reihe nach seinen Tribut gebracht habe, erzählt Wagner selbst auf’s Anmuthigste in seiner Selbstbiographie. Erst mit dem „Fliegenden Holländer“ sehen wir Wagner von der vorhandenen Opernform einigermaßen abweichen. Der Daland und seine Melodiensucht gehört freilich noch ganz zu der alten Oper im schlechten Sinne des Worts. Aber für die Verknüpfung der Scenen hat er hier einen neuen Kitt gefunden. In dieser Oper erscheinen zum ersten Male die berühmten „Leitmotive“, in welchen Etliche nebst einer gewissen Geschicklichkeit im Harmonisiren das ganze Geheimniß von Wagner’s Kunst gefunden zu haben meinen. Außer dieser Aeußerlichkeit ist für die musikalische Entwickelungsgeschichte unseres Componisten in dem „Fliegenden Holländer“ noch manches von höchster Wichtigkeit; namentlich darf nicht übersehen werden, wie eng hier der Musiker sich an den Poeten kettet. Dieser ist mit jenem stark und schwach; wir erblicken den Componisten auf Höhen, wo nur immer die gewaltigsten Meister der Tonkunst hingekommen sind, wenn er das erschütternde Loos der Helden singt, und flach, wenn es sich um Daland's Feilschereien handelt. Es scheint, als könnte er viel besser fliegen als gehen. Wer Wagner’s „Holländer“ mit den „Meistersingern“ vergleicht, kann dies nur thun mit Erstaunen über die unvergleichliche Entwickelung, die zwischen diesen beiden Werken mit dem specifischen Musiker vor sich gegangen ist, aber noch bis zum „Lohengrin“ zeigt sich dieser vom Dichter oft unbedingt abhängig, und gering, wo ihn der letztere im Stiche läßt.

Dieser Umstand hat zu der Meinungsverschiedenheit über Wagner den ersten und einen sehr heftigen Anstoß gegeben. Wenn seine Verehrer ihn unumwunden in eine Reihe mit den größten Componisten der Vergangenheit stellten, so dachten sie einseitig an Leistungen wie die große Auftrittsarie des „Holländers“, und wenn dem gegenüber seine Gegner ihn wie eine Art Dilettanten behandelten, so hatten sie vielleicht den Daland im Auge und manche Rollen von Wagner’s fürstlichen Baßsängern: König Heinrich und Landgraf Hermann. Nur übersahen sie dabei in ihrem Gesammturtheile, daß Wagner auf dem Wege war, den Organismus der Oper auf eine höhere, jedenfalls neue Stufe zu bringen. Die Gereiztheit, welche sich den Debatten leider gleich von Beginn an beigemischt hatte, verhinderte dieses Zugeständniß, welches gegen Mozart und Beethoven ebenso wenig einen Vorwurf einschließt, wie man mit der Behauptung „Columbus hat Amerika entdeckt“ den Ruhm Karl's des Großen schmälert.

Wenn man die Reformen Wagner’s näher bezeichnen will, so kann man es nicht umgehen, einiges Allgemeine über die Oper vorauszuschicken. Sie hat die Aufgabe, eine Handlung mit Hülfe der Musik darzustellen, und besitzt dem gesprochenen Schauspiele gegenüber den Vorzug, den in den scenischen Vorgängen liegenden Gefühls- und Stimmungsgehalt stärker und inniger ausdrücken zu können. Wenn sie aber diesem Zwecke, wie bekannt genug, sehr häufig nicht entsprochen hat, so liegen die Gründe hierfür erstens in der Natur der Musik überhaupt und zweitens in den musikalischen Verhältnissen, die zu der Zeit herrschten, als die Oper entstand.

Was die Natur der Musik überhaupt betrifft, so haben von den Philosophen des Alterthums und den Leitern der mittelalterlichen Kirche ab bis auf unsere Tage sich von Zeit zu Zeit denkende Männer die Frage vorgelegt, ob die Musik mehr schade oder nütze? Ueberall, wo sie zugelassen war: in der Kirche, auf der Bühne, beim Marsche der Krieger, auf dem Tanzboden und im Concertsaale, hat sie immer wieder die Neigung gezeigt in’s sinnlos Sinnliche zu verfallen, und sich als ein zwiefältiges Instrument erwiesen, mit dem ebenso viel Unheil angerichtet, wie Segen gestiftet werden kann. Nirgends aber kommt soviel darauf an, in welchem Sinne ihre Macht gebraucht wird, wie in der Oper. Der Meister erschließt hier mit seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_748.jpg&oldid=- (Version vom 18.11.2021)