Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Braunkohlen schaffen, und von hier gingen dieselben weiter nach Aken, Barby, Magdeburg etc. Dieses Geschäft nahm bald einen größeren Aufschwung, und um es noch mehr zu heben, wurde zur schnelleren Förderung der Einladung in die Fahrzeuge das Elbufer durch eine Quaimauer abgegrenzt und die Seite des Walles nach dem Strome zu mit einfachen hölzernen „Rutschen“ versehen.
Auf der Nordseite des so vorgerichteten Platzes wurde bereits im Herbste 1859 ein Speditionsgeschäft eröffnet, das rasch in Aufnahme kam; ihm folgte am südlichen Ende des Pflasters bereits im Jahre 1861 ein zweites, von Hamburger und Leipziger Kaufleuten begründet. Schon im Jahre 1860 belief sich der Waarenverkehr auf 145,000 Centner, erreichte 1876 die Höhe von 940,000 und bezifferte sich in dem sonst für den Handel so ungünstigen Jahre 1877 sogar auf 1,452,450 Centner.
Die Ursache des außerordentlichen Aufschwunges beider Speditionsgeschäfte ist zunächst in der ungewöhnlich günstigen geographischen Lage dieses Elbausladeplatzes zu suchen. Er ist nur siebenundeinhalb Meilen von Leipzig entfernt, und directe Schienenwege vermitteln hier den Weitervertrieb der von Hamburg und Harburg kommenden Güter über Leipzig nach Sachsen, Böhmen, Baiern und Oesterreich, sowie über Halle nach den thüringischen Staaten. Aber nicht weniger verdankt der neue Hafenplatz sein rasches Aufblühen der in früheren Jahren vorherrschenden freisinnigen Handelspolitik Deutschlands. Dem Verkehr sind große Steuererleichterungen zugestanden worden; Privattransitläger wurden am Platze selbst gestattet; 1866 wurde eine mit den ausgedehntesten Befugnissen ausgestattete Zollexpedition daselbst errichtet, und die Eisenbahnverwaltung beeilte sich, durch mannigfache Frachtermäßigung den Waarenverkehr in Wallwitzhafen zu beleben. Diese Anstrengungen wurden auch von einem unerwartet günstigen Erfolge belohnt: in neunzehn Jahren, von 1858 bis 1877, wurden an diesem früher sumpfigen, unzugänglichen Orte im Ganzen 14,319,327 Centner Güter spedirt. Dieser Aufschwung erlahmte auch in den letzten Jahren nicht. Das Vorjahr 1879 war für Wallwitzhafen das bisher günstigste, indem während desselben gegen 130,000 Centner mehr expedirt wurden als im Vorjahr 1878.
Mit dieser Zunahme des Verkehrs wuchsen auch neue Bauten aus dem trockengelegten und für die Cultur eroberten Boden des Hafenortes hervor. Gegenwärtig befinden sich auf Wallwitzhafen fünf große massive Speicher mit trefflichen Kellerräumen, zwei Zollniederlagen, in denen durchschnittlich 6000 bis 10,000 Centner lagern, vier große Bretterschuppen, ein Guanoschuppen und zwei Coaksschuppen, die Zollexpedition, zwei Comptoirs, ein Arbeiterhaus, ein großer Kohlenkeller, ein Wohnhaus, eine Schmiedewerkstatt und noch manche andere bauliche Räumlichkeiten. Ein Schienennetz von über sechshundert Ruthen verbindet die einzelnen Ausladestellen und Güterspeicher unter einander und läuft am südlichen Ende von Wallwitzhafen in das nach dem Dessauer Bahnhofe führende Hauptgeleis.
Vier Dampf- und zwei Handkrahne befördern die Aus- und Einschiffung der Waaren, und alljährlich werden 300 bis 350 Kähne gelöscht und ungefähr 100 Fahrzeuge zu Thal beladen. Während schon früher eine Expreßdampfschifffahrt die Beförderung der Stückgüter bis nach Hamburg erleichterte, ist in der letzten Zeit durch die Einführung sogenannter „Jagdkähne“ so viel erreicht worden, daß beispielsweise Güter von Hamburg nach Leipzig inclusive Zollabfertigung und Ueberladung vom Kahn zur Bahn binnen acht Tagen abgeliefert werden können. An der Schifffahrt überhaupt betheiligen sich vier Dampf- und Segelschifffahrts-Gesellschaften und viele private Segelschiffe.
Der Anblick des täglich von einer größeren Anzahl Fahrzeuge belebten Ausladeplatzes ist ein sehr erfreulicher, wozu auch die prächtige landschaftliche Staffage beiträgt, wie sie nach allen Seiten hin in der Umgebung Dessaus sich findet.
Sehr interessant aber ist ein Rundgang über Wallwitzhafen, ein Blick in die Speicher, Schuppen, Keller und sonstigen Räume, in welchen die Producte und Fabrikate zweier Hemisphären aufgeschichtet sind. Neben mächtigen, ähnlich unseren Holzklaftern im Freien aufgestellten Barren Roheisen sieht man hier große Quantitäten amerikanischen, englischen und französischen Schiefers, Maschinentheile aus Holz und Metall etc. In den Speichern liegen gewaltige Haufen brasilianischer Farbehölzer, viele Tausende Fässer Harz, Oel, Soda, Cement, Guano in Säcken, rohe Baumwolle, Jute, Droguen, Chemicalien, Färberei- und Gerbstoffe, Getreide, Häute, Petroleum, Wein, Zucker, Sardellen, Häringe, Südfrüchte und Gewürze, Reis, Kaffee, Syrup, Tabak, Baumöl, Leinöl, Paraffin und Stearin und was sonst der Mensch der Natur abgewonnen und durch seiner Hände Fleiß zum Nutzen oder zur Verschönerung des Daseins geschaffen hat.
Will der Besucher aber seine Wanderung mit einem erhebenden Anblick beschließen, so möge er den in der Nähe liegenden „Wallwitzberg“ besteigen, eine 1817 als Aussichtspunkt aufgeschüttete Anhöhe. Von hier aus genießt er einen sehr weiten Umblick über das offene Land, der besonders im Frühjahr, wenn die reichen Obstplantagen in der Elbaue im vollen Blüthenschmuck stehen oder wenn zur Abendzeit die grünen Eichenwaldungen von den letzten Strahlen der Sonne vergoldet werden, ein überaus herrlicher ist.
Ein weiterer Aufschwung steht übrigens Wallwitzhafen bevor. Hoffentlich wird früher oder später das Project einer directen Canalverbindung mit Leipzig ausgeführt werden; die Zeitströmung scheint wenigstens solchen Unternehmungen günstig zu sein. Bei dem ausgedehnten Eisenbahnbau hat man in Europa den Ausbau der Canäle vernachlässigt, und schon jetzt macht sich der Mangel an billigen Wasserwegen vor Allem unseren Landwirthen recht fühlbar. Wenn diesem Uebelstande abgeholfen werden wird, dann werden wohl auch in Deutschland große Flußhäfen entstehen, deren Bedeutung die bisher vorhandenen übertreffen wird. Jedenfalls aber bildet in einer für das Canalwesen nichts weniger als günstigen Zeit die Entstehung des Wallwitzhafens ein sprechendes Denkmal deutschen Fleißes, welcher selbst unter ungünstigen Verhältnissen das vorgesteckte Ziel durch Ausdauer zu erreichen versteht.
Eine objective Würdigung der überaus verwickelten Parteiverhältnisse in Oesterreich ist für uns im Reiche sehr schwer. So mag es auch kommen, daß der zähe Kampf, den unsere Stammesgenossen in Oesterreich gegen die gewaltsam hereinbrechende Hochfluth des Slaventhums seit mehr als einem halben Jahre zu bestehen haben, bisher nicht jene Beachtung bei uns fand, welche verwandte Bestrebungen für Erhaltung der Eigenart anderer germanischer Völker zu finden pflegen.
Die entferntere Vorgeschichte dieses Kampfes in Oesterreich ist zu bekannt, als daß wir hier auf dieselbe zurückkommen könnten. Unmittelbar vorbereitet und eingeleitet wurde der jetzige Kampf durch die den slavischen Bestrebungen mehr als wohlwollende Haltung, welche das vor Jahresfrist an’s Ruder getretene Ministerium bekundete. Sofort erschienen die czechischen Abgeordneten auf ihren lange verwaisten Parlamentssitzen. Hand in Hand mit den polnischen, feudalen und clericalen Fractionen begannen sie, immer auf dem Boden der Verfassung stehend, den Kampf gegen die Verfassung, indem sie dieselbe, und zwar stets nur von Fall zu Fall, ihren national-reactionären Absichten entsprechend umzudeuten oder zu modificiren suchten. Aus der bisher beliebten Negirung der Verfassung entwickelte sich naturgemäß ein planmäßig eingeleiteter und betriebener Kampf gegen alles Deutsche, dessen Vertreter sich der Mehrzahl nach gezwungen sahen; sich in der Defensive auf den leider lange genug perhorrescirten deutsch-nationalen Standpunkt zu stellen. Zunächst entbrannte im Frühling dieses Jahres der Kampf auf das Heftigste aus Anlaß der von der Regierung ausgegebenen Sprachenzwangs-Verordnung. Nach derselben sollte Jedermann das Recht zustehen, sich einer beliebigen im Lande gesprochenen Sprache im Verkehr mit den öffentlichen Behörden zu bedienen und die Erledigung in derselben Sprache zu fordern.
Wenn man bedenkt, daß beispielsweise im nördlichen und westlichen Böhmen, in Nordsteiermark und Nordtirol meilenweite Distrikte nur von Deutschen bewohnt werden, dennoch in denselben von Jedermann eine czechische, slovenische oder italienische Amtshandlung provocirt werden kann, so liegt es auf der Hand, daß diese Verordnung einer förmlichen Austreibung aller deutschen Richter und Beamten gleichkommt. Denn daß die Czechen, dank ihrer untergeordneten Culturverhältnisse, gezwungen sind, sich frühzeitig des deutschen Idioms zu bemächtigen, dagegen der Deutsche jede andere Cultursprache eher als das für ihn ziemlich werthlose Czechische zu erlernen bestrebt ist, bedarf wohl keiner weiteren Rechtfertigung. Es ist daher begreiflich, daß diese Sprachenverordnung einen wahren Sturm von Protesten aus allen deutschen Bezirken und Gemeinden Oesterreichs entfesselte. Wir sagen absichtlich aus den „deutschen“ und nicht aus den „verfassungsmäßigen“ Bezirken; denn daß irgend eine polnische oder ruthenische Gemeinde aus Galizien – und Galizien hat die Jahre über mit recht ergiebigem Nutzen zur Verfassung gehalten – sich diesen Protesten angeschlossen hätte, ist uns nicht bekannt.
Die Regierung, sehen wir von etlichen Beschwichtigungsartikeln und Erklärungen ab, that nichts, was einer Rücknahme der Verordnung gleich
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_742.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)