Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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hatten. Warum verglich der Verfasser jener Stelle die Klarheit
des Himmels mit der Farbe des Sapphirs? Einfach, weil seine
Sprache noch kein Wort für den Begriff des Blauen besaß.
„Dieser Nothbehelf“, schrieb ich „führt uns zu dem Kerne der Sache, welcher psychologisch sehr interessant ist. Es scheint mir nämlich daraus hervorzugehen, daß unausgebildeten Sprachen die Farbenbezeichnungen durchweg zu fehlen scheinen. In der That wird man bei genauerem Nachdenken finden, daß die Bezeichnung der einzelnen Farbentöne erst dringend wurde, nachdem man zu einem gewissen Kleider- und Wohnungsluxus gelangt war, seitdem der Färber sein Amt begonnen hatte.“
Weshalb man nun zuerst ein Wort für die rothe Farbe nöthig gehabt hat, erklärt sich leicht daraus, daß sich rothe Farbstoffe überall in der unorganischen und organischen Natur im Röthel, Zinnober, rothen Beeren und Farbhölzern fertig gebildet vorfinden. Man malte und färbte daher zuerst roth und brauchte deshalb auch zuerst ein eigenes Wort für diese Farbe, und dieses Wort leitet sich in allen indogermanischen Sprachen von dem Sanskritworte rudhira, Blut, (erythros der Griechen, rutilus der Römer, roth der Deutschen) her. Man sieht, unser Wort Roth heißt ursprünglich blutfarben, und da man im gewöhnlichen Leben überall mit ähnlichen Vergleichsworten auskommen kann, so war gar kein zwingender Bedarf zur Schaffung besonderer Farbworte für ein Naturvolk vorhanden. Der nächst dem rothen in der Natur am häufigsten fertig gebildete Farbstoff ist gelb, während die grünen und blauen Pigmente meist erst durch umständliche Processe aus Mineral- oder Pflanzenstoffen gewonnen werden müssen. Leib und Gewand sind gewiß lange Zeit nur roth und gelb gemalt und gefärbt worden, bis man endlich auch blaue und grüne Zeugfarben von befriedigender Lebhaftigkeit mühsam ermittelte, und im gleiche Schritte mit der Färberei hat der Wortschatz zugenommen.
„Die Bezeichnung der Mittelfarben zwischen den Haupttönen ist meist ein Werk der jüngsten Zeit, zum Zeichen, wie spät sich die Sprachen in dieser Richtung vollendeten. Aber wenn die Farbbezeichnungen Lila, Violett und Pensée die allerjüngsten darunter sind, so leite ich das nicht daher ab, daß diese Farben erst in neuerer Zeit zur Geltung gekommen wären sondern daher, weil man erst in neuerer Zeit die Flieder-, Veilchen- und Stiefmütterchenfarbe als Kleider- und Modefarbe zur Herrschaft bringen konnte und in der Küpe sicher zu treffen lernte.“
In demselben Aufsatze, in welchem ich alle diese Gesichtspunkte zuerst aufstellte, wies ich darauf hin, daß sich eine ganz ähnliche Unsicherheit im Gebrauche noch nicht hinlänglich fixirter Farbstoffnamen wie beim Homer, auch bei jetzt lebenden afrikanischen Naturvölkern finde, und forderte Reisende und Ethnologen auf, darüber Untersuchungen anzustellen, ob diese Naturkinder ein unausgebildetes Unterscheidungsvermögen – oder blos – wie ich behauptete, – eine in dieser Richtung unausgebildete Sprache besäße.
Zu meiner Freude fiel diese Anregung auf einen sehr fruchtbaren Boden. Der Erste, der sie befolgte, war ein in England lebender Amerikaner Namens Grant Allen. Herr Charles Darwin hatte nämlich meinen Aufsatz, der ihm sehr überzeugend erschienen war, Herrn Gladstone übersandt und dieser beförderte die ihm gewiß nicht sehr erfreuliche Arbeit mit dem ihm eigenen Gerechtigkeitsgefühl weiter an Grant Allen, von dem er wußte, daß er sich im Allgemeinen mit dem Farbenprobleme beschäftigte. Grant Allen sandte nun gleich im folgenden Jahre (1878) eine Menge Fragebogen an sehr zahlreiche Missionäre, Consuln und Reisende in fremden Ländern, um festzustellen, ob die Eingeborenen die Farben unterscheiden und benennen könnten. Ueber das Resultat dieser Untersuchungen hat Grant Allen in einem soeben auch in deutscher Uebersetzung erschienen Buche[1] berichtet, und es zeigte sich, daß, völlig obigen Aufstellungen gemäß, auch die am niedrigsten stehenden Menschenrassen die Farben unterscheiden könnten, aber daß sie meist nur für diejenigen Farben besondere Worte haben, die sie auch färben können, während sie von den anderen, gerade wie Homer, oft nur ein Wort für zwei Farben besitzen.
Diese Untersuchungen sind seitdem sehr vervielfältigt und zum Theil in besonderen Schriften von Dor (1878), Marty (1879) und Anderen behandelt worden, ohne daß dadurch wesentlich neue Gesichtspunkte zu Tage gebracht worden wären. Auch die beiden berühmten Berliner Autoritäten der Anthropologie und Ethnologie, die Professoren Virchow und R. Hartmann, haben durch ihre Prüfung des Farbensinns afrikanischer Naturvölker dasselbe Resultat erhalten, und Dr. Almquist, der Arzt der „Vega“, hat unter den in farbenarmen Polarländern wohnenden und auf niederster Culturstufe stehenden Eskimos und Tschuktschen sogar fast weniger wirklich farbenblinde Personen angetroffen, als unter uns, nämlich circa drei Procent. Auf Grund von in jüngster Zeit (1880) abgeschlossenen Untersuchungen des Leipziger Ethnologen Pechuel-Lösche, die ebenfalls ergaben, daß die Naturvölker ohne Ausnahme die Farben wohl zu unterscheiden, aber nicht alle zu benennen wissen, hat sich nun auch Magnus von seiner mit Zähigkeit festgehaltenen Idee losgesagt, freilich nur halb, wie man sich von liebgewonnenen Illusionen eben nur schwer trennt. Er meint nämlich, die von mir als Schlüssel gegebene Sprachentwickelung erkläre das Räthsel doch nicht befriedigend; es liege eben noch ein tieferes Geheimniß zu Grunde, welches erklären müsse, warum die Benennung der Farben gerade mit roth begonnen und mit blau und violett aufgehört habe, und warum die Naturkinder immer die neben einander liegenden Farben (z. B. blau und grün) mit demselben Worte bezeichneten. Nun, ich denke, das letztere „Wunder“ bedarf überhaupt keiner Erklärung, und das erste habe ich bereits vor drei Jahren genügend ausführlich erklärt. Die Natur hat zu viele Räthsel, als daß wir noch nöthig hätten, solche hineinzutragen, die gar keine Räthsel sind. Die Farbenempfindung ist ebenso elementar, wie die der verschiedenen Töne, Geruchs- und Geschmackseigenthümlichkeiten, und die Farbenblindheit ist einfach ein Gebrechen, welches gar nichts mit unserer Frage zu thun hat. Ich zweifle nicht daran, daß sich der Farbensinn ebenso gut bilden und vervollkommnen lässt, wie der Tonsinn; aber ich bestreite, daß er irgendwo bei normalen Menschen und Völkern fehlt oder gefehlt hat. Auch braucht er keineswegs bei niedern Rassen durchwegs unausgebildet zu sein, und Professor Hartmann hat in dieser Richtung noch in jüngster Zeit auf den außerordentlich feinen Geschmack hingewiesen, den afrikanische Völker in der Verwendung gebrochener und stumpfer Farben an ihre Kunstproducte entwickeln. Kurz, Alles, was ich wünsche durch meine früheren und diesen Artikel zu erreichen, besteht darin, einer alten, ziemlich zählebigen Gelehrtenschrulle das Lebenslicht ausgeblasen zu haben.
In der äußersten Ecke von Westfalen, dort, wo die hannoverschen Lande die rothe Erde rings umschlossen, im Herzen des Landes der alten Sachsen und in der Nähe ihres von Karl dem Großen zerstörten Nationalheiligthums, der Irmensul, erhebt sich am linken Ufer der Diemel ein ziemlich hoher Berg, dessen erste Ansiedelungen noch vor die Zeiten des gewaltigen Sachsenführers Wittekind fallen. Drunten im Thale zieht sich die gewerbreiche Stadt Warburg, amphitheatralisch am Berge hinauf, im Mittelalter die zweite Hauptstadt des Hochstifts Paderborn, gerühmt wegen der Fruchtbarkeit des umliegenden Bodens. Aber im übrigen deutschen Lande würde Warburg deswegen wohl ebenso wenig bekannt geworden sein wie durch seine historische Vergangenheit, die doch nur in Kriegen mit den umwohnenden rauflustigen Edeln, in wüthenden Parteikämpfen innerhalb der Stadt und in Drangsalen, welche die Wiedertäufer und der dreißigjährige Krieg über sie brachten, besteht. Erst in neuester Zeit wurde der Name der Stadt weit über die enge Grenze Westfalens getragen; denn wo man sich heute mit Kunst und Kunstgewerbe des Mittelalters beschäftigt, wird Warburg als die Vaterstadt des großen Silberschmiedes Anton Eisenhut genannt.
- ↑ „Der Farbensinn. Sein Ursprung und seine Entwickelung.“ Autorisirte deutsche Übersetzung. Mit einem Vorwort von Dr. Ernst Krause. Leipzig. Günther 1880.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_720.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2021)