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Seite:Die Gartenlaube (1880) 700.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


daß man es wirklich aufgeben muß, selbst zu denken, um nur in das Ganze zu passen,“ rief Carmen ungeduldig. „Den freien Geist schränken sie ein, und Jeder hört auf, er selbst zu sein. Gutsein, Vater, ist doch nicht ein automatenhaftes Nachahmen des Vorgeschriebenen, sondern ein freies Ergreifen des Rechten – erst wenn ich es selbst erwähle, mache ich es mir wahrhaft zu eigen.“

„Den freien Geist – was nennst Du so? Er ist doch so oft sein eigener Sclave, Sclave von Gelüsten, die den Begriff von Recht und Unrecht schwankend machen und uns oft genug das Heil der Seele kosten,“ entgegnete der Vater beunruhigt. „Darum verwirf nicht den Weg, den die Brüderkirche uns mit ihren Schranken vorzeichnet, und wandle ihn lieber still und ergeben, ohne zu grübeln oder Dich dagegen auflehnen zu wollen!“

So wurde aus dem mit so vieler Liebe geplanten Baue nichts als eines jener kleinen Häuser, wie sie hier die Reihen der Straßen bilden. Aber Carmen wurde das Aufgeben ihres mit so vieler Liebe und Freude entworfenen Planes nicht so leicht, wie dem Vater. Der Aufenthalt in Wollmershain hatte in ihr nicht neue Wünsche und Abneigung gegen das Althergebrachte erweckt, wohl aber hatte er in ihr vieles vertieft, was als heißes Verlangen oder als unwillkürliches Auflehnen gegen hier Bestehendes längst in ihr lag. Sie verehrte Frau von Trautenau außerordentlich, und alles in deren Art und dem Haushalte von Wollmershain war ihrer eigenen Natur ungemein sympathisch. So geschah es, daß, obschon sie nicht wieder nach Wollmershain gekommen war, sie doch viel in Gedanken daselbst verweilte und von Menschen und Dingen dort sprach.

Als sie so auch eines Tages von dem freien, ungebundenen und doch so harmonisch schönen Leben auf Wollmershain sprach, klangen durch die geöffneten Fenster Posaunentöne herein – man blies einen Choral.

„Wer ist denn gestorben, Carmen?“ fragte Mauer und horchte gespannt hinaus nach dem kleinen Platze vor dem Hause. „Ist das nicht das Sterbelied der ledigen Brüder? Ich erkenne den Choral wieder, wie ich mich aller unserer Sterbelieder erinnere. Wie oft doch, als ich unter dem Joche des Sclaven litt, habe ich gedacht, daß bei meinem Tode kein Sterbelied ertönen werde – nun werden die Posaunentöne doch auch den Brüdern es einmal sagen, wenn das Herz des alten Wittwer Mauer ausgeschlagen hat.“

„O Vater, daran darfst Du jetzt nicht denken!“ bat Carmen. „Der aber, für welchen das Lied ertönt, war der ledige Bruder Christoph Jäger, welcher gestern Abend gestorben ist. Er war unser Vertreter, der für uns ledige Schwestern im Gemeinrath spricht, und es muß nun ein neuer für uns gewählt werden.“

Diese Wahl erfolgte denn auch sofort. Die Aeltesten gaben ihre Stimmen ab über die, welche sie am geeignetsten für diese Stelle hielten. Die Meisten schlugen Bruder Jonathan Fricke vor, und als nun, wie üblich, über die Vorgeschlagenen geloost wurde, fiel auch, zu allgemeiner Freude, das gezogene Loos auf Bruder Jonathan. Niemand war dadurch befriedigter, als Schwester Agathe, die stets so gern auf Jonathan's Rath gehört hatte. Nun die Angelegenheiten ihres Chores nach außen hin seiner Umsicht und Weisheit, seiner Frömmigkeit und Bruderliebe anzuvertrauen, war ihr, als ob sie ihr Schiff der kundigen Hand eines sicheren Fährmannes übergebe.

Er selbst nahm das Amt demüthig und ergeben wie eine Pflicht an, welche der Herr ihm auferlege und welcher er auf dessen Geheiß sich unterziehen müsse, wenn er auch nicht würdig dazu sei und die Erfüllung ihm schwer werde. Aber bei aller Demuth seines gebeugten Hauptes hatte er doch etwas von einem Könige, dem man huldigt, als er von den versammelten Schwestern das Versprechen hinnahm: seiner Vertretung vertrauen und seiner Weisung folgen zu wollen.

(Fortsetzung folgt.)




Der Abschiedsabend Nordenskjöld's in Berlin.
Eine Plauderei von A. Woldt.


Selten wohl hat sich in der deutschen Gelehrtenwelt ein hervorragenderer Anlaß zur Versammlung wissenschaftlicher Capacitäten gefunden, als jene unvergeßlichen Tage des diesjährigen deutschen Anthropologen-Congresses zu Berlin vom 4. bis 12. August dieses Jahres ihn boten. Hunderte von Autoritäten auf den verschiedensten wissenschaftlichen Gebieten knüpften dort in persönlichem Gedankenaustausch dauernde Beziehungen des Geistes und des Herzens an. Von den beiden berühmtesten damaligen Gästen der deutschen Hauptstadt war der eine, Dr. Heinrich Schliemann, schon am zweiten Congreßtage, nachdem er in Gegenwart des Kronprinzen und der Kronprinzessin seinen von Begeisterung durchströmten Vortrag über Ilios gehalten hatte, wieder nach Leipzig zurückgefahren, um daselbst in täglich dreizehnstündiger Arbeit die letzte Feile an sein neues, mit zweitausend Illustrationen soeben erscheinendes großes Werk „Ilios“ zu legen; der andere, Baron von Nordenskjöld, verweilte in der behaglichen Gastfreundschaft des bekannten Mäcens Kaufmann William Schönlank volle acht Tage, vereint mit seinem berühmten Freunde und Lehrer, Professor O. Torell, dem schwedischen Geologen. Selbstverständlich beeilten sich die verschiedensten Kreise Berlins, den kühnen Polarforscher und Entdecker der nordöstlichen Durchfahrt zu feiern. Auf den feierlichen Empfang am ersten Tage im Festsaale des Berliner Rathhauses war das Schliemann-Nordenskjöld-Banket im Kaiserhof gefolgt; dann hatte das deutsche Kronprinzenpaar Nordenskjöld zur Tafel im Neuen Palais bei Potsdam eingeladen; weiterhin nahm er an verschiedenen Festen des Anthropologen-Congresses Theil, schließlich aber erhielt er vom Kaiser Wilhelm eine Einladung zum Diner in Babelsberg für Sonnabend den 14. August.

Somit sah es für Diejenigen, welche mit dem berühmten Erforscher der Polargegenden in engere, rein wissenschaftliche Beziehungen zu treten wünschten, nicht vielversprechend aus. Endlich bot aber doch der Abschiedsabend für derartige persönliche Anknüpfungen die erwünschte Gelegenheit.

Dr. G. Nachtigal, der berühmte Afrikareisende, ergriff mit einigen Freunden die Initiative, und Schönlank lud die gewünschte Anzahl von Herren zu einem – auf Wunsch der Betheiligten einfachen – Souper ein. Die Stunde vor diesem Feste hatte Nordenskjöld die große Güte gehabt mir zu einer Besprechung über die Polarfrage zu bewilligen, da es mir höchst wichtig erschien, die Ansicht dieses erfahrungsreichsten aller Polarforscher bei seiner Anwesenheit in Deutschland über diese auch unser Vaterland wie die ganze gebildete Welt in so hervorragender Weise interessirende Frage zu hören.

Es war kurz nach halb acht Uhr Abends, als Nordenskjöld am gedachten Tage von dem Kaiserdiner in Babelsberg nach Hause zurückkehrte. Obgleich sonst schweigsam, strömte unser nordischer Gast, noch voll von den Eindrücken, die er an der kaiserlichen Tafel erhalten hatte, doch über in Worte hoher Bewunderung für unseren greisen Monarchen, dessen imponirende Haltung, dessen in Folge der Reise gebräunte, blühende Gesichtsfarbe, sowie dessen Freundlichkeit und große Leutseligkeit er wiederholt hervorhob:

„Ihr Kaiser Wilhelm ist wahrlich ein großer Mann voll echter Majestät!“ rief er aus.

Uebergehend auf das Thema der Polarforschung betonte er zunächst, daß die Erreichung des Nordpols auf einem der bisher gewählten Wege unmöglich zu sein scheine. Hiermit documentirte er zugleich, daß ihm die Entdeckung des Poles selbst als das Endziel der Forschung gelte.

„Aber wie wird man denn einst den Pol erreichen?“

Nordenskjöld war aufgestanden und durchmaß das Zimmer.

„Man muß,“ sagte er, „der Erfüllung dieser Aufgabe ein ganzes Leben widmen. Wer dieses Ziel erreichen will, muß schon in seinen Jugendjahren sich an die Polarnatur und an körperliche Strapazen jeder Art gewöhnen. Eisern und kernfest muß seine Gesundheit sein; keine körperliche Anstrengung darf ihn so leicht erschüttern; er muß selbst jede Arbeit, die für den hohen Norden nöthig ist, gelernt haben und ausführen; er muß persönlich mit Hand anlegen, wo es Noth thut. Er mag zuerst Jahre lang in den arktischen Gegenden fischen und jagen, sammeln und forschen; das Leben in eisiger Polarnacht und hellem Polarsommer muß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_700.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)