Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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des Lebens zeigten, aber um sie zu bessern, um den Staat und der Gesellschaft ihre Pflicht für den Einzelnen, den Armen, den Unglücklichen, ja auch den Lasterhaften zu zeigen, und der zuletzt erzählte, wie er einen wüsten Trunkenbold, der Frau und Kind mißhandelte, durch Lesung gerade des „Assommoir“ gerettet! Großer Beifall zeigte, wie sehr seine Rede gezündet. (Wir unsererseits müssen die Romane Zola’s auch fernerhin für eine wüste Lectüre halten. D. Red.)
Zwischen den einzelnen Debatten hatte ich das oben erwähnte Museum neuerer Meister – ein würdiger, schöner Bau, durchweg mit Oberlicht – besucht, und Abends ging ich in das Alhambra-Theater, wo als eine der acht Gratisvorstellungen ein fünfactiges Drama Potvin’s (des Redners aus dem Congresse) gegeben wurde: „La mère de Rubens“. Es behandelt die Geschichte der Eltern des Rubens, das Verhältniß des Vaters mit Anna von Sachsen, die edle Opferwilligkeit der Mutter und endlich den Sieg ihrer Liebe und Treue über die Machinationen der Nebenbuhlerin. Das Ganze, in Versen geschrieben, spannend, voll edler Gedanken fand großen Beifall, und der Verfasser wurde dreimal gerufen, obwohl ich mich mit der Darstellung und dem hohlen declamirenden Pathos der französischen Schauspieler nicht befreunden konnte, sie sogar herzlich schlecht fand; nur die Darstellerin der Titelrolle, eine Madame Caty-Dorback, bildete eine rühmliche Ausnahme.
Am folgenden Tage – verzeihen Sie, es gab so viel Schönes, daß ich es tagebuchartig und der Reihe nach erwähnen muß – waren wir fremden Journalisten zur Ausstellung geladen, wo uns Commissäre herumführten und dann der Vorsteher des Concils uns zu einem solennen Lunch im Restaurant der Ausstellung geleitete. Es wurde viel und gut gegessen und getrunken, viel getoastet, und als Einer der Herren die „freie“ Presse gefeiert und Einer der Gäste, ein Deutscher, ihm erwiderte, daß leider die Presse noch nicht überall frei sei, daß er aber die Herren bitte, mit ihm dahin zu wirken und jetzt darauf zu trinken, daß die freie Presse bald ein Eigenthum aller Völker sein möge, da zeigte der jubelnde Zuruf, wie sehr dieses Wort gezündet. Berlin, Leipzig, Paris, Amsterdam, Madrid, Frankfurt am Main, Barcelona, Wien, London, Moskau, Haarlem, Genf, Lausanne, Utrecht, Pest und Mailand waren die Städte, welche Vertreter für einheimische Journale gesandt hatten.
Den Nachmittag (nach unserer Zeiteintheilung; dort aber dinirt man von fünf bis sieben Uhr) besuchte ich das Rathhaus, das schönste des ganzen Landes, das schon in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts vollendet worden. Rings umgeben von den alten Gildehäusern, welche in ihrer Eigenart erhalten sind und den Platz vor dem Rathhaus originell umfassen, ragt es weit über alle hinaus, mit seinem hundertvierzehn Meter hohen prachtvollen Thurme und den weit über hundert Statuen, welche die Vorderseite schmücken; im Innern sind die Corridore und Säle geziert mit historischen Gemälden aus der belgischen Geschichte und mit Gobelins, welche ebenfalls solche Vorwürfe behandeln. In dem Saale der bürgerlichen Trauungen dürfte es manchem jungen Paare einen eigenthümlichen Eindruck machen, wenn sie denken, daß an derselben Stelle, wo sie jetzt für’s Leben verbunden werden – einst die Grafen Egmont und Hoorn zum Tode verurtheilt wurden!
Nahe dabei sah ich auch „Le plus ancien bourgeois de Bruxelles“, wie ihn seine Landsleute nennen, den kleinen Manneken-Piß, den naivsten aller Springbrunnen, einen kleinen, auf einem Brunnen stehenden ehernen Cupido. Heute hatte der kleine Herr, des Festes wegen, seinen Gala-Anzug angelegt; er besitzt nämlich acht Anzüge, mit denen er an Festtagen bekleidet wird; jetzt war es die stattliche Uniform der Bürgergarde. Auch eigenes Vermögen besitzt er, aus Schenkungen herrührend; er hält sich einen eigenen Kammerdiener, der für seine Anzüge zu sorgen hat und, von der Stadt ernannt, zweihundert Franken Gehalt bezieht.
Am folgenden Tage – um in der Tagebuchform fortzufahren – folgten wir einer Einladung des „Cercle Artistique“ von Antwerpen, und wir hatten es nicht zu bereuen, diese alte Scheldestadt mit ihren mächtigen Bassins, ihrem Hafen, ihren vielen, zum Theil sehr großen Seeschiffen, die bis in die Stadt hineinfahren können, da Ebbe und Fluth bis hierher reichen, besucht zu haben. Um elf Uhr fuhren wir mit einem Zuge der Nordbahn ab, und wieder sah ich voll Verwunderung die große Fruchtbarkeit der Gegend, namentlich von Mecheln ab, wo nicht zwei Minuten vergingen, ohne daß wir zu unserer Seite eine Anzahl freundlicher und wohlhabend aussehender Häuser, theils vereinzelt, theils in ganzen Dörfern erblickten. Es war gegen zwölf Uhr, als wir in das berühmte, mit großen Bronzestatuen gezierte Festungsthor einfuhren. Im Cercle Artistique empfing uns der Präsident mit herzlicher Begrüßungsrede und dem Ehrentrunke nach guter alter Sitte; ein Frühstück wartete unser im Nebensaale. Dann vereinzelte sich die Gesellschaft; Viele blieben im Garten, wo ein Concert die Elite der Stadt versammelt hatte; ich suchte die wundervolle Kathedrale mit ihrem hundertdreiundzwanzig Meter hohen, wie in feinster Filigranarbeit ausgeführten Thurm auf.
Antwerpen ist so recht die Pflanzstätte der niederländischen Kunst; hier besteht noch eine Akademie, die aus der alten St. Lucas-Gilde entstanden ist; hier stehen die Standbilder der Rubens, Teniers, van Dyck und Anderer; hier ist die Hauptsammelstätte ihrer Werke; sie und andere Meister, wie Massys, Jordaens, de Crayer, Zeghers, Neefs etc., lebten und wirkten hier und hinterließen ihre Traditionen den Nachstrebenden, unter denen van Brée, Braekelaer, Wappers, de Keyser und namentlich Leys (der auch ein Denkmal erhalten) die bedeutendsten aus unserer Zeit sind. Jedes Mitglied der Lucas-Gilde ist verpflichtet, dem Museum ein Werk zu liefern.
In der Kathedrale bewunderte ich zuerst Rubens’ weltberühmtes Meisterwerk: „Die Kreuzesabnahme“; daneben Murillo’s „Sanct Franciscus“; am Hochaltar Rubens’ „Mariä Himmelfahrt“ – kurz diese Kirche ist gefüllt mit den herrlichsten Werken der Malerei und der Bildhauerkunst. Da übrigens gerade das Fest der Himmelfahrt Mariä begangen wurde, war das Standbild der Jungfrau besonders ausgestellt und geschmückt mit silberbrokatenem Mantel und goldener Krone, und die Kirche war so gefüllt von mächtigen Blumensträußen, welche Andächtige gebracht, daß selbst der Weihrauchgeruch vom Blumenduft überwunden wurde.
Antwerpen selbst ist streng katholisch, wie schon die vielen, an den Häusern angebrachten Marien- und Heiligenbilder zeigen, und dabei vorwiegend vlämisch, so sehr, daß nicht einmal die Droschkenkutscher französisch verstanden.
Als ich zum Cerele zurückgekehrt, statteten wir Alle gemeinsam dem Rathhaus einen Besuch ab, wo uns die städtischen Behörden empfangen und durch Beamte in den interessanten alten Zimmern und Sälen mit ihren vielen historischen Gemälden umherführen ließen; auch den weltberühmten Kamin im Bürgermeisterzimmer bewunderten wir; derselbe, aus Marmor, im Renaissancestil, zeigt in reicher Bildhauerarbeit „die Hochzeit zu Cana“, „die Aufrichtung der Schlange“, „die Kreuzigung“ und „das Opfer Abraham’s“.
Von hier aus besuchten wir eine andere Merkwürdigkeit Antwerpens, das „Musée Plantin“. Es ist dies ein ganz altes, in seinem Bau, seiner inneren Einrichtung getreu erhaltenes, sehr umfangreiches – Buchdruckerhaus. Die Firma wurde gleich nach Erfindung der Buchdruckerkunst von Plantin gegründet, dann von seinem Schwiegersohn Moretus fortgeführt, in dessen Familie das Haus bis vor Kurzem geblieben; der letzte Sproß hat es der Stadt billig verkauft, damit es als Ganzes erhalten bleibe. Hier sahen wir all die großen Säle, Gänge, Zimmerchen und Ecken, welche ein altes Bürgerhaus so wohnlich machten, noch in ihrer vollen, gediegenen Einrichtung, mit Gobelins- oder gepreßten Ledertapeten; in den Sälen reiche Sammlungen der herrlichsten alten Mönchsschriften mit ihren kunstvollen Initialen, Bilder, Münzen, die ältesten Druckwerke, auch die alten Typen, Pressen und Schriftgießereien, sowie Holzschnitte und Kupferstiche, theils auf den Platten, theils im Druck, eine riesige Bibliothek in altehrwürdigem, schweinsledernem Aussehen und auch Zimmer für die Correctoren, so bequem und praktisch eingerichtet, daß sich manche moderne Druckerei ein Muster daran nehmen könnte.
Dann ging ich zum Museum und staunte die Menge der auf brabantischem Boden entsprossenen Meisterwerke an; es ist nicht möglich, sie hier alle auch nur zu nennen; das Museum ist ja in der Kunstwelt bekannt genug; ich darf nur anführen, daß jeder der Heroen der Malerei und jeder namhafte Künstler des Landes hier in seinen besten Werken vertreten ist.
Endlich widmete ich dem Hafen einen Besuch, besichtigte die neuen im Bau begriffenen großen Docks, welche die Kleinigkeit
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_663.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)