Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
|
Als er sich dann auf das Pferd schwang, irrete sein Auge über die dunklen Fenster.
„Darf ich wiederkommen, Heinz?“ fragte er itzo laut.
„So oft Du willst, Christel; es ist meinem Hause eine Ehre und Freude, und bin ich nicht daheim, so triffst Du Friederiken; nur darfst Du ihr nicht von Paris sprechen,“ setzte ich lachend hinzu, „Du weißt itzo, wie sie darüber denket.“
Friederiken fund ich aber noch wach in ihrem Stüblein; sie las in einem Gebetbuch, und der Lichtschimmer floß um ihr blondes Haupt als ein Heiligenschein.
„Friederike,“ fragte ich, „warum ließest Du uns allein? Mißfällt Dir Prinz Christian?“
„Nein,“ sagte sie kurz, „er ist Dein Freund.“
„Wolltest fürderhin freundlicher sein zu ihm,“ bat ich und setzte mich zu ihr auf das gepolsterte Bänklein. Sie neigte gewährend das Haupt, aber ihr Mund blieb stumm, und die Augen blieben gesenket.
„Der weiße Falk, Friederike, er gefällt Dir?“ begann ich; ich wollt' ihr den Vogel schenken, an dem sie eine Freude hatte; ich sehnete mich nach einem Lächeln von ihr, seit ich wußte, daß sie lächeln konnte.
Sie schlug überrascht die Augen auf. „Ich hatt' einen solchen daheim,“ sagte sie leise. Dann stand sie eilig auf. „Es ist Mitternacht vorüber, und Du gehst früh in den Wald.“
Mir lag das Herz auf der Zunge; ich hätt' so gern ihr schmales Händlein erfasset und ihr gesagt: „Warum bist Du so kalt, und warum spielet nicht ein einzig Mal ein Lachen um Deinen Mund, wenn Du bei mir bist? Und ich weiß doch nun, wie hold Deine Lippen lächeln, Deine Augen strahlen können, wie ruhig Du zu erzählen vermagst! Sage mir, was Dir fehlet! Ich will Alles, Alles schaffen; nur sieh' mich einmal gütig an!“ – Aber ich blieb stumm; ich verstund eben nicht zu sprechen. O, daß ich nicht geschwiegen hätte, vielleicht wär' doch noch Alles gut geworden! Ihr Lachen aber verfolgete mich im Traum und im Wachen, und immer meinte ich, das silberne Getön zu hören und die süßen Worte „Rupf' an, mein Vöglein, rupf' an, Du trotziger Gesell!“
Ich mocht' den Vogel nicht mehr leiden seit jenem Tage.
Johannes, die Feder sträubt sich, das niederzuschreiben, was nun gekommen; ich will es rasch zu Ende bringen.
Prinz Christian kehrete täglich im rothen Hause an – wunderst Du Dich? Es war ja ohnedem auch kein Tag vergangen, an dem wir uns nicht gesehen. Mitunter fund ich sie beisammen, im Schein der Abendsonne mir entgegenschreitend, oder er saß ihr genüber im Gemach, wenn draußen Regenwolken über den Wald schauerten, und sah, wie sie spann, aber lachen hört' ich sie nie wieder, wie an jenem Abend. Sie war auch wieder bleich, noch bleicher fast, denn zuvor, und stiller, aber ein unruhig Wesen war über sie gekommen; nur secundenlang weilte ein purpurn Roth auf ihren Wangen. Einmal aber, da ich erst spät nach Hause kehrte, dieweilen mich eine halbe Mondennacht auf dem Anstande gehalten, und mich nun leise in mein Gemach stahl, ihren Schlummer nicht zu stören, trat sie bald darauf zu mir ein, rascher als ich es sonsten gewöhnt war von ihr, und da ich ihr „guten Abend!“ bot, merkete ich, daß sie geweint hatte und daß sie es gleichfalls zu verbergen trachtete.
Ich sagte daher nichts davon, und fragete nur so nebenher, ob Prinz Christian hier gewesen?
Da veränderte sich ihr Gesicht, und ein glänzend Roth flog darüber. „Er ist erst eben heimgeritten“ antwortete sie, „es sollt' mich Wunder nehmen, so Du ihn nicht getroffen auf dem Wege.“
„Ich bin aus den Reindorfer Buchen gekommen,“ gab ich zurücke.
„Ich meine, Du lässest Deinen Freund oftmalen vergeblich harren,“ sprach sie dann, und ihre Stimme klang verschleiert, als ob das Herz ihr stürmisch poche.
„Ei, trifft er doch meine Frau Liebste, so meine Stelle vertritt,“ scherzte ich und schlang meinen Arm um sie; „oder meinst Du nicht, Friederike, daß ihm solche Vertretung gar angenehm ist?“ Aber ihr Gesicht blieb weiß; sie wand sich aus meinen Armen und schritt hinaus, und ich wußt' mir nicht zu erklären, was ihr räthselhaft Wesen bedeuten solle.
Ein paar Male auch fand ich sie eingeschlossen in ihrem Stüblein, und da ich mich wunderte und sie neckte, sie habe wohl Angst vor Räubern und Dieben, und ob ich ihr solle eine gute Büchse zum Troste reichen, lachte sie auf und sagte seltsam betonend: „Ei freilich, meine thörichte Angst, was sollt' hier auch sein, das sich der Mühe verlohnte zu stehlen?“
Ich nahm dies als ein Zeichen fröhlicher Laune; wie hätt ich auch ahnden können, was für ein Sinn sich hinter diesen Worten barg? Ich plumper Gesell, dem nur eine ehrliche Sprache verständlich war. –
Und da – ja, genau weiß ich nicht mehr zu berichten, wie es war an diesem grauenvollen Tage – ich mußt' frühe fort; denn Serenissimus hatt' etliche vornehme Gäste invitiret auf eine Schweinshatz, und ich mußt' sorgen, die Garne und Lappen zu stellen und die Leute zu ordnen, doppelt sorgsam heut, dieweilen auch die hochfürstlichen Damen die Jagd mit ihrer Gegenwart zu beehren gedachten; ich vermißte auch während der Hatz Prinz Christian nicht, der sonsten niemalen gefehlet; ich that Alles rein aus Gewohnheit ab, da meine Gedanken bei Friederiken waren, hatte gemeint in der Nacht ein leises Weinen von ihr zu hören, konnte mir aber nicht klar werden, ob es im Traum oder Wachen gewesen. Wurde auch ein Keiler, nachdem er etliche Hunde darnieder geschlagen, im Garn gefangen, und ihm von dem fremden Prinzen der Fang gegeben, und fuhren die Herrschaften bald nachher zum Jagdschmaus auf das Schloß Elchsburg.
Mich aber hatte plötzlich eine Angst erfaßt, daß ich quer durch ein Tannengestelle drang, um rascher heim zu kommen. Das Geäst schlug mir die Augen wund – ich achtete es nicht; rasch athmend stand ich endlich unter der Linde neben dem Brunnen; es lag ein unheimlich fahlgelb Dämmern über dem alten Gemäuer und den herbstlichen Wipfeln der Bäume, und da ich Alles so friedlich und still vor mir sah, kam auch Ruhe über mich und ein fast übermüthig Thun. Ich schlich mich durch das Hofpförtlein, klomm an dem Epheu, der ihr Fenster umrankte, ein paar Fuß in die Höhe, und wollte schauen, was sie in der Einsamkeit wohl beginnen möge.
Die Spuren des vorgeschichtlichen Menschen in Deutschland.
Von A. Woldt.
„Vielleicht niemals wird jener große Zeitraum gemessen werden, welcher die Periode der alten Höhlenmenschen, die zur Zeit des Mammuth und der übrigen diluvialen Tiere lebten, von jener sehr viel späteren Epoche trennt, die durch die ältesten Pfahlbauten u. A. m. gekennzeichnet ist. Hier haben wir nicht mehr nach Jahrhunderten, vielleicht nicht mehr nach Jahrtausenden, möglicher Weise nach noch längeren Zeiträumen zu rechnen.“ Mit diesen Worten leitete einer der bedeutendsten Forscher der Gegenwart auf dem Constanzer Anthropologen-Congreß im Jahre 1877 seine große Rede über die Pfahlbauten ein. In der That hüllt sich die Vorgeschichte des Menschen in Deutschland unmittelbar nach der Diluvialzeit in geheimnißvolles Dunkel. Was thaten unsere Urväter inzwischen? Verließen sie, scheu und flüchtig, wie sie gekommen waren, wieder das Land? Oder bevölkerten sie allmählich die Jagdgründe der deutschen Ebene und machten ihre reglmäßigen jährlichen Streifzüge. Wir wissen es nicht. Bis
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_612.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)