Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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tritt, da verbirgt er sich bald auf’s Neue zwischen dunkelrothen wie aus Erz gegossenen Felskolossen, die den Mauern einer Burg ähnlich sehen; am Ende führt er steil abwärts der Sohle des Thales zu und – leuchtendes, sonnendurchschienenes Smaragdgrün überrascht das Auge des Wanderers, das durch ein Felsenthor in eine freiere Waldlandschaft blickt.
Ganz verschieden von diesem Thale ist das Wildensteinerthal, das sich an den mächtigen Abhang des Herculesberges schmiegt. Inmitten einer Wildniß, der jedes Gepräge der Menschenhand fehlt, ragt auf fast unnahbarem Felsenkegel zwischen zwei waldigen Bergrücken der Wildenstein empor, nur niedrige Trümmerreste mit dem noch erhaltenen Brunnen der Burg tragend. Netze wilder Ranken, wilde Immortellen, seltene duftende Blumen und Brombeergestrüpp bedecken den steilen Pfad, der seitwärts über den hohen Rücken des „grauen Thurmes“ uns plötzlich der Burg dicht gegenüber führt, von der uns nur die tiefe Schlucht trennt. Der Blick schweift hier über die in weiten Wellenlinien abfallenden Bergrücken nach der Ebene und dem Dorfe Steinbach.
In dieser Wildniß hausten die Rauhgrafen vom Wildenstein, verwandt mit den Grafen von Bolanden, ein wildes, übel berüchtigtes Geschlecht. Wer sich vom Berge her der Schlucht nahte, den suchte es durch herabgerollte Felsblöcke zu zerschmettern, die oft leichter ihr Ziel trafen als die Mordwaffe. Und wehe den Zügen der Kaufleute, die am schwarzen „Spitzfels“ vorbei die Schlucht passirten! Im Waldesschatten geborgen, lag der Hinterhalt, und das Hülfegeschrei der Ueberfallenen verhallte in der sonst menschenleeren Einsamkeit.
Durch die Thalsohle führt der Weg nun am Bache entlang nach dem „reißenden Fels“, einer phantastisch ausgezackten, in zwei scharfen Spitzen hoch über das Walddickicht aufstrebenden Felsenwand. Etwa hundert Schritte von da ragt wie ein Zuckerhut der Spitzfels empor, oben mit einem eisernen Pfeile geziert.
Das sind die zum Donnersberge gehörenden Partien, von denen die Falkensteiner Partie recht rüstige Fußgänger fordert. Die Villa stellt indeß auch einen Wagen zur Disposition.
Wer nun diese Bergwelt lieb gewonnen und mit ihr für die ganze schöne Pfalz ein erhöhtes Interesse empfindet, der versäume nicht, dem Zuge in die Berge weiter zu folgen!
In Annweiler erschließt sich ihm schon vom hohen Kegel des Trifels, und mehr noch von der Höhe des gewaltigen Rehberges aus eine Bergwelt, die ein Meer von spitzen Berg- und Felsenhäuptern aus mächtigem Hochwald hebt; hochrother Sandstein giebt selbst dem nackten Grunde an den Abhängen und auf den Wegen eine fremdartige Färbung; Burg steigt auf neben Burg; neben dem Trifels, wo Richard Löwenherz gefangen saß, bis der Sänger Blondel ihn fand und befreite, wo des heiligen Reichs Insignien von dem Truchseß Werner von Bolanden gehütet wurden, ragen die Ruinen der Burgen Anebos und Scharfenstein auf gleichen Bergspitzen empor. Am Schlusse des Thales schaaren sich Hunderte von Berghäuptern an der Grenze des Elsaß, darunter der Drachenfels, der Berwartstein, die Lützelnburg, der Wassichenstein, der Orensberg mit seiner absonderlichen, doch imposanten Form. Die gewaltigste Burgruine der Pfalz, die Madenburg, welche sich hier noch hinter dem nackten „Wetterberg“ verbirgt, bietet den großartigsten Blick in die Berge auf der einen und in die Ebene auf der anderen Seite.
Noch eigenthümlicher, wenn auch nicht so großartig, wie die eben geschilderte Partie, ist das „Dahner Thal“. Von Annweiler aus ist die Station Hinterweidenthal leicht erreicht, von da fährt die Post in einer halben Stunde nach Dahn. Hier überraschen uns Felsenformen höchst bizarrer Art. Wie gewaltige indische Götzen, oft mit einem Schlapphute angethan, treten die Felsen hinter einander aus dem Walde hervor. All dies übertrifft aber das Felsenschloß von Alt- oder Grevendahn, das Cyclopenhände aus aufgethürmten Blöcken errichtet zu haben scheinen, während Menschenhände nachhalfen und Gänge, Treppen, Keller und Verließe hinein gruben. Auch einen „Jungfernsprung“ mit entsprechender Sage giebt es im Dahner Thal.
Wer die schöne Bergkette entlang nach Süden wandert, dem bieten reiche, blühende Städte wie Dürkheim, Neustadt, Landau die edelsten Trauben und feurigen Wein bei guten und nicht theuren Gasthöfen. Ein gemüthliches, heiteres Völkchen macht ihm die Landschaften noch lieber, denen Geschichte und Sage den Zauber höchster Romantik verleihen, während allenthalben der thätige pfälzische Verschönerungsverein auch für den verwöhnten Fuß sorgte und Berge und Wälder mit den schönsten Wegen schmückte.
Unzählige Jahrtausende führen uns zurück in jene große Epoche der Erdentwickelung, welche von den Geologen die Tertiärzeit genannt wird. Längst dahingesunken in den Staub waren damals schon die riesigen Sauriergeschlechter; hoch bedeckten die Schichten des Jura die Reste des Urvogels, des Archäopteryx, und tief im Grunde des Kreidemeeres lagerten die Reste der früheren Meeresfauna neben mächtigen Knollen des deutschen Urculturmaterials, des Feuersteins. Die beiden ersten großen Säugethierperioden folgten auf einander; die Vorläufer der Wiederkäuer und Pferde, das Urschwein, die Waldaffen wurden abgelöst durch riesige eigenthümliche Elephanten- und Rhinocerosarten, durch anders geartete Pferde und Affen, durch Hirsche, Giraffen, hunde- und katzenartige Raubthiere.
Das Relief von Europa tritt uns zur Tertiärzeit als ein beträchtliches, von zahlreiche Meeresarmen durchschnittenes Festland entgegen, in dessen immergrünen Urwäldern mit ihren Feigen-, Lorbeer-, Kampher- und Seifenbäumen, mit ihren Myrthen und Palmen, späterhin aber mit Sumpfcypressen, Tannen und Bäumen mit fallendem Laub sich der allmähliche Uebergang des paradiesischen, echt tropischen Klimas in ein subtropisches kennzeichnet. Eine Zeit großartigster vulcanischer Thätigkeit vollführt der Hauptsache nach die Hebung der heutigen Hochgebirge, der Pyrenäen, Alpen, Karpathen, des Kaukasus, und durch den vulcanischen Ausbruch ungeheurer Lavamassen werden die Basaltgebirge in Mitteldeutschland, Eifel, Siebengebirge, Westerwald, Vogelgebirge, Rhön, die Basaltgebirge Böhmens und die ungarischen und siebenbürgischen Trachytgebirge gebildet. Höher und höher steigen in den Hochgebirgen die Gipfel und Ketten in die oberen kälteren Schichten der Atmosphäre empor, deren Niederschläge auf ihnen sich bald in gewaltigen Mengen von Schnee und Eis anhäufen und, zu riesigen Massen vereint, ausgedehnte Gletscher bilden, welche langsam, mit unwiderstehlicher Gewalt ihre Eisströme gegen die Ebene vorschieben und die Felstrümmer der Gebirge als langgestreckte Moränen hinabtragen.
Das ist die Weltbühne, auf der sich das jüngste Zeitalter der Erde, die Quatenär-Epoche abspielt, jene Periode, die mit dem Auftreten des Herrn der Schöpfung, des Menschen, bei uns in Deutschland zusammenfällt. Das ist jene gewaltige Zeit des Diluvium, der Sündfluth, wie man sie nach uralter Sage benennt, wo der Schutt des Hochgebirges und die verwitterten und abgebrochenen Felsstücke der Bergeshöhen sich auf dem Rücken der Eisströme hinuntertragen ließen in die Ebene, wo die Gletscher Skandinaviens die Gesteine der nordischen Gebirge als Findlinge oder erratische Blöcke über Norddeutschland und bis in die Mitte von Holland hinein ausstreuten, wo die Alpengletscher über den Bodensee hinaus und weit in die Rheinebene vordrangen und die obersten Schichten der Tertiärperiode oft Hunderte von Fuß hoch mit Geröll- und Lehmablagerungen bedeckt wurden.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_583.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)