Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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No. 34. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
„Thalatta! Thalatta!
Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer,
Sei mir gegrüßt zehntausendmal
Aus jauchzendem Herzen!
„Könnte ich gleich ein Fuhrwerk nach dem Eichenhof haben?“ fragte ich den Wirth „Zur goldenen Sonne“, indem ich den letzten Fuß von der hohen Stufe des Marterkastens herabzog, dem ich meine armen Glieder auf der letzten Station hatte anvertrauen müssen. „Der Baron hat doch keinen Wagen geschickt?“
Der kugelrunde Wirth mit dem kirschbraun angelaufenen, jovialen Gesicht schüttelte den dicken Kopf; dann wühlte er sich nachdenklich in dem Kraushaar und rief laut über den Hof fort nach „Jochen“, der mit der gehörigen Langsamkeit in der Stallthür erschien. Die Leute hier zu Lande schienen alle übermäßig viel Zeit zu haben.
Jochen kam schwerfällig, einen Strohhalm zwischen den Zähnen kauend, auf uns zu, gab als Zeichen des Grußes der Mütze noch einen leisen Ruck, daß sie vollends im Genick saß, glotzte uns aus runden hellblauen Augen ziemlich ausdruckslos an und hatte auf das Examen seines Herrn immer dasselbe phlegmatisch langsame:
„Neeh, dat gäht nich, Herr.“
Die „Liese“ wurde beschlagen; der „Foss“ war mit dem Milchwagen nach Grauwald; an der Chaise war die Deichsel caput, und den kleinen Kremser hatte ja Na'ber (Nachbar) Ohlerich geliehen, kurz, es stellte sich heraus, daß meine übergroße Eile wahrscheinlich umsonst gewesen, wenn sich bei irgend einem der Ackerbürger des Oertchens nicht Pferd und Wagen auftreiben ließ. Mit dem nächsten Zug erwartete man mich ohne Zweifel auf dem Edelhof und schickte ein Fuhrwerk an die Bahnstation. Was nützte mir das aber? Sollte ich in dem fürchterlichen Omnibus noch einmal den Weg zurück machen? Bei allen Göttern nicht! Lieber den Weg zu Fuß nach Eichenhof antreten. Ich fragte den Wirth, welcher sich rathlos hinter dem Ohre kratzte, wie weit es bis dort sei?
„Zwei Meilen.“ Und der Abend brach schon herein. Zu Wasser sei es freilich nur eine Viertelstunde quer über die Bucht hin, erklärte der Wirth. Die Lichter, die ich da drüben schimmern sähe, wären die vom Dorfe Eichenhof; er wolle 'mal gleich nachsehen, ob einer der Knechte mit dem Boot zu Hause sei; denn selber rudern (und dabei sah er mit geringschätzendem Mitleid meine geschonten Hände an) könne ein Stadtherr doch wohl nicht.
Dem Jochen mußte ein Einfall – etwas Seltenes in seinem Leben – gekommen sein. Er brauchte eine geraume Zeit, sich mit dem Einfall vertraut zu machen; denn er ließ seinen Herrn und mich während einer Weile noch hin- und herberathen, nachdem sich herausgestellt, daß keiner der Fischerknechte zur Hand sei.
„I, Herr,“ meinte er gedehnt, „dat Frölen is jo man eben irst hier west, ward denn wol noch nich furt sin, dat Eichenhof-Frölen, Herr.“
Für mich waren diese Worte natürlich ohne Bedeutung, während sie für den Wirth eine zu haben schienen; denn sein Vollmondgesicht glänzte noch einmal so freundlich, und urgemüthlich meinte er:
„Na, Herr Doctor – Sie sind ja wohl der Herr Doctor oder Professor, den sie auf dem Schloß erwarten? – dann könnten wir ja Courage fassen; ich werde 'mal laufen und nachsehen, ob das Eichenhofboot noch unten liegt. Oder kommen Sie man lieber gleich mit, Herr Doctor!“
Den Mann mit den kurzen Beinen „laufen“ zu sehen, wäre zu anderen Zeiten ein unbezahlbares Vergnügen gewesen. Mir aber war furchtbar ernst zu Muthe, und der Boden brannte mir unter den Füßen. Meine Finger knitterten das bedeutungsvolle Telegramm, das mich aus meinen Berufspflichten, aus meiner Ruhe und Behaglichkeit herausgerissen, in der Rocktasche, während wir den langen schmalen Bauerngarten entlang dem Strande zu gingen. Mein Wirth hielt die beiden hohlen Hände wie eine Trompete gegen den Mund und rief ein kräftiges „Hallo“ nach dem andern.
„Ho – ho!“ antwortete es schallend; mein Begleiter spähte erwartungsvoll in das Halbdunkel hinaus und schien wirklich in der Ferne etwas zu sehen – und dann sah ich auch etwas, ein dunkles unförmiges Etwas, das sich nachher als schwerfälliger Kahn kundgab, eine hochragende Gestalt, die unbeweglich am Steuer saß, und einen Mann, der, die Hosen in den hohen Wasserstiefeln, den Südwester im Nacken, überrascht in der Beschäftigung inne hielt, das Fahrzeug vom seichten Ufer über den knirschenden Meeressand fort in's Wasser zu schieben. Seine braunen sehnigen Hände – ich sah es jetzt, als ein bleiches Mondviertel die dunkle Wolkenschicht durchbrach – stemmten sich fest gegen den Bootsrand, während er den Kopf rückwärts uns zugewandt hielt.
„Na, Herr Jürs, denn man fixing!“ rief er uns aus voller Kehle entgegen.
Mein Wirth, der außer Athem war und pustete und keuchte, ohne zu Worte kommen zu können, brachte nur „Professor, Hauptstadt!“ hervor. Das wirkte wie ein Zauberwort. Mit einem Rucke war das Boot zurück am Ufer, und der Mann hielt mir
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_545.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)