verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Es war im Juni 1847, als der Stadtrath von Weimar das ehemalige Wohnhaus des Dichters aus Privatbesitz erwarb und in dem neugeweihten Hause ein „Schiller-Museum“ begründet wurde. Einige Weimarische Verehrer Schiller’s faßten den Entschluß, ein „Schiller-Album“ hinzuzufügen; die einzelnen Blätter wurden an die hervorragendsten Persönlichkeiten des Tages gesandt, und im Beginn des Jahres 1848 erfolgten die ersten Einzeichnungen. Seit Abschluß des Albums liegt dasselbe in zwei stattlich eingebundenen Büchern den Besuchern des Schiller-Hauses zur Einsicht vor.
Daß in einem Album zu Ehren Friedrich Schiller’s eine ausgewählte Gesellschaft zusammenkommen und Gaben des Geistes mitbringen werde, die des Gefeierten sich würdig erweisen, war wohl im Voraus als sicher anzunehmen. Nicht voraussehen, kaum ahnen konnten aber die Stifter desselben, daß sie mit diesem „Schiller-Album“ die Gelegenheit bieten würden zur Aufstellung des treuesten Spiegelbildes einer der denkwürdigsten Zeiten der deutschen Geschichte.
Wenn nämlich auch ein gut Theil dieser Blätter sich abseits von den politischen Bewegungen der Zeit stellt, den Dichter feiert, Handzeichnungen und musikalische Autographen berühmter Meister giebt (auch manche Schiller-Reliquie hat im Album ihren Platz gefunden), so beanspruchen doch zahlreiche andere ein geschichtliches Interesse: da haben von den Wehen der Zeit erregte Geister aller Schattirungen ihrem Herzen mehr oder weniger Luft gemacht, und wer die politisch-nationalen Strömungen des Jahrzehnts vor dem Sturmjahr von 1848, dieses selber und die Zeit bis zur beginnenden Reaction sich vor Durchblätterung des Albums einen Augenblick in die Erinnerung zurückruft, dem wird dasselbe einen ganz eigenartigen Genuß bereiten.
Alle vorherrschenden Gedanken und Stimmungen im Kopf und Herz der Zeit- und Kampfgenossen jener Tage – sie treten uns frisch und lebendig noch heute aus dem „Schiller-Album“ entgegen, und daß alle diese hochstehenden und hochbegabten Männer und Frauen die unumwundensten, dem Augenblick entsprungenen Darlegungen ihrer Gedanken und Gefühle, ihrer Hoffnungen und Wünsche, ihrer Klagen und Verwünschungen in der ganzen Reihenfolge der damaligen Schicksale der Nation dem „Schiller-Album“ anvertrauten, daß sie gleichsam ihr Herz dem Dichter ausschütteten, gerade das gereicht unserm Friedrich Schiller zur höchsten Ehre: er ist dadurch vor Allem gefeiert als der Sänger des Vaterlandes und der Freiheit, als der geistige Mitkämpfer in jedem Kampfe um die höchsten Güter der Nation.
Ehe wir aber in diesen Ehrenbau eintreten, lassen wir uns wie von einführenden Herolden an der Pforte von einem Dichter und einer Dichterin begrüßen. Hören wir schon einzelne weimarische Stimmen ihre Freude über die neue Weihe des alten Schiller-Heim aussprechen, so hat den rechten Thorgruß doch am gelungensten Oscar Ludwig Bernhard Wolff[1], Deutschlands erster und größter Improvisator († 1851), ausgesprochen in dem Gedichte, das er in Jena, am 20. Januar 1848, also noch vor der Revolution, dem Album widmete:
„Schiller’s Manen.
Dir hat in diesen engen Räumen
Einst Liebe sanft die Stirn gekühlt,
Wenn, trotz urmächt’gen Dichterträumen,
Du schwer des Alltags Last gefühlt.
In dieser Heimath Heiligthume
Barg sich die Freude Deiner Welt,
Wo Du dem Adler, Deinen Ruhme,
Die Friedenstaube zugesellt.
Nun erst, nach mehr denn vierzig Jahren,
Ward es der Bürger edles Ziel,
Vor schnödem Untergang zu wahren
Das Haus, das fast zusammenfiel.
Sie eilen froh, es auszuschmücken,
Selbst des Geringsten frommer Sinn
Legt mit dem innigsten Entzücken
Sein Scherflein Deinem Altar hin.
Auch diese tief empfundnen Zeilen
Sind nur ein Scherflein solcher Art,
Ein Streben, das Gefühl zu theilen,
Das treu Dein Vaterland bewahrt.
So muß die Wahrheit sich entschleiern,
Die ernst der Nachwelt Kunde giebt:
Nicht, wie Dich deutsche Fürsten feiern,
Nein, wie das deutsche Volk Dich liebt!“
Die Dichterin, die uns am Eingang mit begrüßt, Henriette Ottenheimer, deren Dichtungen von der Frauenwelt nicht hätten vergessen werden dürften, stand mitten im Revolutionssturm, als sie (zu Regensburg am 27. April 1849) in edler weiblicher Bescheidenheit, und doch von ihrer Zeit und Schiller’s Geist erhoben, sang:
„Dir huldigen?! – Zum Lächeln ist es fast,
Nicht Du bist’s, den so arme Klänge ehren;
Sie sind der Opferrauch, der aufwärts steigt,
Ein Zeugniß, daß wir heil’ges Feuer nähren.
Dein Ziel war göttliche Vollkommenheit
Und Deine Spur, für alle Zukunft, Segen;
Jetzt liegt wohl Deine klare Sonnenbahn
Weit ab von dieser Welt verworrnen Wegen.
Im Liede aber lebst Du mit uns fort
Und streitest mit in unsrem Freiheitskriege;
Du weißt es nicht, doch hilft Dein Geist gewiß
Dem Heile unsres Vaterlands zum Siege.
Auch sagt man, und ich glaube es so gern,
Daß Liebe leicht Verständniß jenseits findet,
Sie sei im Himmel ja des Hauses Kind,
Die milde Kraft, die Stern mit Stern verbindet.
O ist es so, so kannst Du nimmermehr,
Verklärter, unsern Herzensgruß verschmähen;
Denn daß der Liebe Athem ihn durchweht,
Du wirst es wohl erkennen und verstehen.“
Und nun treten wir ein, und wenn wir die beiden von Künstlerhand und Familienliebe mit Schiller’s Bildniß und einer Locke seines Haares geschmückten Bande durchblättert haben, und Anfang und Ende vergleichen, so stehen wir überrascht von der wunderbaren Fügung, daß zwei Männer, für uns beide gleich ehrwürdig durch ihr hohes Alter, der Eine der beharrlichste Vaterlandsverherrlicher bis an seinen Tod und als „treues deutsches Gewissen“ unsterblich – der Andere der Erbe und Vollender all der Kämpfe um Deutschlands Befreiung, Einigung und des Reiches Wiederaufstehen, daß beide wie zwei höchste Ehrensäulen am Anfang und am Ende dieses Albums stehen: dort der Vater Arndt und hier – der Kaiser Wilhelm! Und würdig ihres Charakters sind ihre eigenhändigen Inschriften im „Schiller-Album“.
Arndt schrieb am 14. Hornung (Februar) 1848 (also, wie Wolff, noch vor der Revolution):
„Wer sich des Muths erkühnt, zu singen und zu klagen
Dein Weh’, o Vaterland, und dein’s, o Menschenherz,
Wer die Lawine wälzt der Schicksalsräthselfragen,
Bald fliegend himmelauf, bald stürzend höllenwärts,
Der horche nimmer auf, wo Späne, von Philistern
Mit schalem Spott besprützt, durch Himmelsflammen knistern.
Hat Einer der Erde prometheische Flammen zugetragen, so trug sie Deutschlands idealistischster Dichter. Sein unsterblicher Name ist auch oft angesprützt worden und wird es zuweilen noch, aber die Flammen, die er ausgesäet hat, werden brennen und leuchten, so lange deutsch noch ein Name ist.“
Unser Kaiser, damals „Prinz von Preußen“ und aus dem Revolutionskrieg heimgekehrt, citirt, am 1. December 1850, als seine Schiller-Albumsausgabe die Stelle der „Piccolomini“ in der sechsten Scene des zweiten Acts, so bedeutungsvoll für ihn nach seinen Erlebnissen in dieser Zeit:
„Auch des Menschen Thun
Ist eine Aussaat von Verhängnissen,
Gestreuet in der Zukunft dunkles Land,
Den Schicksalsmächten hoffend übergeben.“
Wir ordnen die folgenden Mittheilungen aus dem Album nach der Zeit und beginnen mit den Inschriften politischer Farbe vor dem Ausbruche der Februarrevolution. Dies giebt uns das Recht, auch hier einen alten Volksmann, und zwar einen aus dem Volke, an die Spitze zu stellen.
Der weimarische Buchbindermeister Adam Henß schrieb am 20. Januar 1848 in das Album:
- ↑ Vergl. „Gartenlaube“ 1867, S. 808.
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_522.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)