Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Jenaer Wochen fiel, wühlten sich nach Deutschland hinüber – eine Bewegung, ungleich radikaler, als die, welcher seine Jugend gehört hatte; aber er hörte sie hier ebenso fern grollen, wie den Todeskampf der alten populären kirchlichen Freisinnigkeit in Preußen. Die Jenaer theologische Facultät war theils rationalistisch, theils supranaturalistisch – die beiden Strömungen der älteren, von Pietismus und Orthodoxie noch nicht berührten Kirchlichkeit; Alles athmete hier den Geist der Toleranz. Allerdings die Kirchengeschichte, die Hase nun zu lesen begann, hatte einen Vertreter, wie er in größerem Gegensatze zu ihm nicht gedacht werden konnte. Es war der unter der Misere der Jenaischen Verhältnisse verkümmerte grundgelehrte Professor Lobegott Lange, dem sein „deutsches Maul“ so viel Schaden gethan; er redete von keinem Papste anders, als mit der Bezeichnung: „der Hallunke“; von Gregor dem Siebenten erzählte er: „Der Schurke machte selbst den Wunderthäter;“ eine Würdigung der katholischen Kirche des Mittelalters, wie man sie von Hase hörte, war ihm in der Seele zuwider. Mit den übrigen Collegen aber, vor Allem mit dem ehrwürdigen Baumgarten-Crusius, der Vielen als der gelehrteste Theolog der Zeit galt, begründeten sich die freundschaftlichsten Beziehungen. Der Philosoph Jenas war der edle Jacob Friedrich Fries; auch zu ihm und gleichzeitig zu seiner Philosophie gewann Hase bald ein näheres Verhältniß. Nicht minder berührte er sich in seinen politischen und kirchlichen Anschauungen mit dem Historiker Luden, dem glänzendsten Lehrer der Universität, der in der katholischen Kirche des Mittelalters das Bollwerk gegen die Tyrannei der Fürsten und selbst in der gegenwärtigen katholischen Kirche bei dem Mangel an politischer Bedeutung und der Fürstendienerei des protestantischen Kirchenwesens ein zuweilen der politischen Freiheit nützliches oppositionelles Element erkannte, ohne darum die Kehrseite dieser Medaille zu übersehen. (Vergl. sein Lebensbild in Nr. 15 dieses Jahrgangs.)
Seit dem Jahre 1831 mit Pauline Härtel verheirathet, konnte er sich so recht seiner Unabhängigkeit freuen, welcher allmählich die wachsenden Erträge der Firma Breitkopf und Härtel zu Gute kamen. „Absonderlich frei“ nennt er seine Stellung, und sicher hat er hier in Wort und Schrift nie von einer Behörde das Mindeste zu befahren gehabt. Mit nur 300 Thaler berufen, auch, als er 1836 ordentlicher Professor wurde, nur mit dem gewöhnlichen Gehalt eines damaligen Jenaischen ordentlichen Professors dotirt, hat er es bis in seine alten Tage auf eine Besoldung von nur 700 Thalern gebracht. „Man muß in Jena laufen können, wenn man Zulage haben will,“ sagte ein College; „Hase kann nicht laufen.“ Dennoch konnte er sich bald ein Wohnhaus bauen, und hier hat er seitdem gelebt. Im Erdgeschoß liegt der ausreichend große Hörsaal, dessen Wände mit den Bildern aller möglichen kirchlichen und theologischen Größen geschmückt sind. Die Bücher, die Hase in seinen Vorlesungen erwähnt, liegen auf einem Tische aus, und jeder Hörer kann davon mitnehmen, was er will; eine Notiz an den Famulus genügt.
Eine Wirksamkeit im großen Maßstabe war in Jena unmöglich; die Universität hatte durch die Demagogenverfolgungen ungeheuer gelitten; sie war Jahre lang allen Preußen verboten, und die Süddeutschen blieben gleichfalls weg. Bei der Begünstigung der Orthodoxie seitens der meisten Regierungen konnte die Jenaer theologische Facultät wenig Anziehungskraft besitzen. So waren es außer den meist sehr armen Thüringern nur Oldenburger, Braunschweiger, Hanseaten, Schweizer und Ungarn, die in Jena Theologie studirten. Wer aber hier Theologie studirte, hat Hase gehört.
Regelmäßig früh zehn Uhr, bisweilen auch noch in einer früheren Morgen- oder in einer Abendstunde füllt sich das Auditorium, bis sich etwa zehn Minuten nach dem Schlag die Hausthür schließt. Dann tritt der verehrte Lehrer ein, eine kräftige edle Gestalt, von feinster Haltung, das sinnige Auge streift die Zuhörerschaar; auf dem Katheder ist sein Vortrag melodisch und von schönstem Fluß, meist in kurzen Sätzen sich bewegend, mit einer Fülle der glücklichsten Bilder. Jeder seiner Studenten hat bei ihm Zutritt; zu seinen großen Abendgesellschaften, welche die Elite der Jenaer Gesellschaft versammeln, sind stets ihrer viele geladen. Und wie er selbst in den Ferien auf Reisen nicht nur jede größere Stadt, jede wichtigere Landschaft Deutschlands und einen guten Theil des Auslandes besucht, sondern namentlich auch alle für ihn wichtigen Männer kennen gelernt hat, so ist auch wiederum sein Haus in Jena ein Sammelpunkt geworden aller bedeutenden Menschen, welche seit fast fünfzig Jahren die thüringische Musenstadt besucht haben. Jetzt repräsentirt Hase gleichzeitig in lebendiger, wenn auch nicht ganz unmittelbarer Ueberlieferung Fremden gegenüber, die großen Tage von Weimar-Jena. Als er kam, waren die letzten Repräsentanten derselben noch am Leben. Er ist unter Goethe’s Ministerium berufen worden und hat an dessen Sarge gestanden; Knebel und Frau hat er noch oft erzählen hören, und zur Schwägerin Schiller’s, Frau von Wolzogen, kam er in so freundschaftliche Beziehungen, daß ihm die Herausgabe ihres Nachlasses übertragen wurde.
Nicht mehr in der Lage, um „Geld und Gut“ schreiben zu müssen, obendrein als Mitbesitzer einer Buchhandlung fortan sein eigener Verleger, konnte Hase nun auch mit voller Muße an sein eigentliches Lebenswerk gehen, an seine „Kirchengeschichte“. Sie erschien 1834 und wurde sofort mit dem lautesten Beifall begrüßt, der sich in immer neuen Auflagen kundgab. Ihm schwebte vor, wenn auch in der spröden Form eines Compendiums, doch in großem historischem Stil eine Kirchengeschichte zu schreiben, die den mustergültigen Darstellungen weltlicher Geschichte ebenbürtig sei. Aus der Fülle der Erscheinungen jedes Zeitalters sollten, unmittelbar aus den Quellen geschöpft, die charakteristischsten, individuellsten Züge mitgetheilt werden, sodaß die Vergangenheit dem Leser zur unmittelbaren Gegenwart werde. Dies ist auch meisterlich gelungen. Es hat sicher vor und vielleicht neben Hase gelehrtere Kirchenhistoriker gegeben, aber keinen, der einen so äußerst reichen Inhalt so künstlerisch zu gruppiren, der kernig und schlagend mit wenigen Worten so viel zu sagen verstanden hätte. Dazu kam, daß Hase die Kirchengeschichte bis zum Erscheinungsjahre des Werkes darstellte und in jeder neuen Auflage weiterführte, sodaß es für die neueste Zeit, bei des Verfassers eingehender Kenntniß aller Personen und Verhältnisse, geradezu zur Quelle wird.
Aus den verschiedensten theologischen Lagern her wurden diese Vorzüge des Werkes anerkannt. Der katholische Theolog Hefele (der jetzige Bischof, von Rottenburg) verglich es in einer geistvollen Recension einem Meisterwerke der Florentinischen Malerschule, zu welchem sich ein katholisches Kirchengeschichtswerk wie ein Gemälde der römischen Schule verhalte. Der große Urkundenforscher Böhmer fand hier erreicht, was er in den Werken über deutsche Geschichte vergebens gesucht. Hegelianer – unter ihnen Baur – und Schüler von Neander fanden bei manchem Tadel, der Auffassung doch das Epochemachende des Buches sofort heraus. Im niederländischen Lager ward es von Herzog Bernhard und Friedrich von Gagern gelesen, in Dänemark und Schweden, später auch anderwärts übersetzt; es bürgerte sich ein in Palästen und Pfarrhäusern. Unzufrieden war im Grunde nur Einer, und gerade derjenige Mann, welcher Hase berufen hatte – Röhr.
Von Balduin Groller. Mit Illustrationen von J. J. Kirchner.
I.
Wien ist im Hochsommer nicht zu Hause; es ist ausgegangen, ausgeflogen, ausgezogen, man könnte fast meinen ausgestorben. Und doch ist Wien wahrlich eine Stadt, in welcher es sich auch im Sommer sehr wohl existiren läßt, eine Stadt, die auch in sanitärer Beziehung vor vielen Großstädten so Manches voraus hat.
Durch eine großartig angelegte Wasserleitung bezieht sie ein klares, gesundes, erfrischendes Trinkwasser direct von den nur wenige Meilen entfernten Hochgebirgsquellen; Reservoirs für frische, stärkende, würzige Luft hat sie gleich vor der Thür an dem unvergleichlichen Prater, und im Hause selbst, um im Bilde zu bleiben, an dem Stadtpark, diesem köstlichen, funkelnden Smaragd an dem „Ringe“ Wiens; ferner an den weitläufigen Gartenanlagen längs der Ufer des Donaucanals und der Wien, an dem schattigen, düftereichen Schwarzenberg-Garten, dem Belvedere-
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_491.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)