Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Die Holzschneidekunst war damals in Leipzig nur durch einen strebsamen Anfänger, Eduard Kretschmar, vertreten, und in Berlin waren Unzelmann, Gubitz, die beiden Vogel anderweitig vollauf beschäftigt. Weber wandte sich also an die besten Meister der Engländer und Franzosen. Die ersten ersehnten Probedrucke kamen und gingen nach Berlin, aber Schrecken über Schrecken: Menzel hatte sie, durchstrichen, mit dem Marginal à la Friedrich zurückgeschickt: „Lieber jeden anderen Tod erleiden, als sich von französischen und englischen Messern zerfleischen lassen.“
Doch gelang es endlich der unermüdlichen Anstrengung Kretschmar’s und dem Eifer Weber’s, der keine Kosten gescheut hat, Menzel’s strengen Anforderungen zu genügen und damit, man darf es sagen, eine Schule der neueren deutschen Xylographie heranzubilden.
Die Bewährung des Holzschnitts zum Schmuck der Druckwerke ermuthigte, nach dem Vorbilde der „Illustrated London News“ und der Pariser „Illustration“ auch die Tagesgeschichte durch Illustrationen zu erläutern und durch Bild und Wort eine Anschaulichkeit der Zeitvorgänge hervorzurufen, die das Interesse an derselben erhöht, das Verständniß derselben erleichtert und die Rückerinnerung um vieles reicher und angenehmer macht. Am 1. Juli 1843 erschien die erste Nummer der „Illustrirten Zeitung“, und schon nach sechs Monaten war eine Auflage von 7500 Exemplaren nothwendig. Die Probe war ruhmvoll und erfolgreich. Das Unternehmen wuchs fort und fort zu außerordentlicher Bedeutung, und was es seitdem geleistet, wie es seinen Werth in Wort und Bild fortwährend erhöht, das liegt vor in den 37 Jahrgängen, in 74 Foliobänden mit 40,000 Bildern und zwingt auch das blödeste, wie das tadelsüchtigste Urtheil zu respectvoller Anerkennung. Kretschmar’s Atelier wurde ganz für die Bedürfnisse der „Illustrirten Zeitung“ eingerichtet und ging nach seinem Tode 1858 in den Besitz Weber’s über; es beschäftigte regelmäßig etwa 40 Holzschneider, und zahlreiche Schüler haben sich in demselben zu Meistern ausgebildet, deren Leistungen vielfach die englischen und französischen Vorbilder übertroffen, jedenfalls alle sonst noch auftauchende Concurrenz weit überflügelt haben.
Wohl wäre es von Interesse, hier auch noch die technische Vervollkommnung der Holzzeichnung und des Holzschnitts, die Zunahme seiner Anwendung für Illustrationen, die nationale Verschiedenheit der Engländer, Franzosen, Deutschen in der künstlerischen Behandlung der Zeichnung, des Schnitts, des Drucks in Betrachtung zu ziehen. Wir sind indeß schon hart an dem Rahmen des für unseren Zweck zugemessenen Raumes, und so sei nur noch wiederholentlich hervorgehoben, daß die meisten der in Weber’s Verlag erschienenen Werke durch Illustrationen verschönert und veranschaulicht wurden. Eine Perle derselben ist Tschudi’s „Thierleben der Alpenwelt“, illustrirt von Rittmeyer und Georgy, oft neu aufgelegt, in künstlerischer Naturtreue ein wahres Prachtwerk, bei dessen Kostenaufwand materielle Geschäftszwecke, wie bei manchem andern Werke, wohl unbeachtet geblieben sein mögen.
Zu den „Illustrirten Katechismen“, Belehrungen aus dem Gebiete der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, ist wohl die Idee lediglich von Weber selbst ausgegangen, und daß er auch hier das Richtige getroffen, beweist der Umstand, daß ihre Zahl schon fast hundert erreicht hat und viele derselben in oft wiederholten Auflagen, der „Katechismus für Musik“ in der zwanzigsten, erschienen sind. Aus dem reichen Bilderschatz der „Illustrirten Zeitung“ wurden auch die Prachtwerke, die „Kriegschroniken“ der Jahre 1849, 1864, 1866, 1870 und 1871, 1876 bis 1878 auf das Splendideste ausgestattet. Hatte doch Weber überall die besten Zeichner und Schlachtenmaler an Ort und Stelle, die mit den französischen und englischen Künstlern auf das Erfolgreichste wetteiferten.
Und welche werthvolle Blätter in diesem Schatze der „Illustrirten Zeitung“ noch immer aufgehäuft blieben, das beweisen die in jüngster Zeit begonnenen Ausgaben der „Meisterwerke der Holzschneidekunst“ sowie der „Bilder für Schule und Haus“, zwei Werke, die nach der Schönheit und der Menge des Gebotenen im Verhältniß zu der außerordentlichen Billigkeit des Preises in hohem Maße bemerkenswerth erscheinen.
Wir sind am Schluß und charakterisiren die in langem Leben eigenthümliche Gesammtthätigkeit des unermüdlichen Mannes mit dem kurzen Wort: sie war für die Vervollkommnung des Holzschnitts als Illustration, für die Verschönerung des Drucks und der Ausstattung von Schriftwerken bahnbrechendes Muster und Vorbild.
Wir geben versprochenermaßen im Nachfolgenden einen ausführlicheren Bericht von Ort und Stelle über das traurige Geschick der Oberlausitzer, das augenblicklich in Sachsen und im weiteren Vaterlande die Herzen bewegt und die Hände öffnet, fügen aber zugleich einen Hinweis auf die nicht viel geringeren Verwüstungen hinzu, welche die Wassersnoth auch im preußischen Schlesien angerichtet hat und welche die Mildthätigkeit ganz in der nämlichen Weise herausfordern, wie der Wasserschaden in der Oberlausitz.
„Der südliche und östliche Theil der sächsischen Oberlausitz, der zu den am dichtesten bevölkerten und industriereichsten Gegenden nicht nur Sachsens, sondern ganz Deutschlands gehört“ – so schreibt unser Berichterstatter – „erlitt einen furchtbar schweren, in allen seinen Folgen noch gar nicht zu ermessenden Schlag durch die Wuth entfesselter Elemente, die binnen wenigen Stunden zahlreiche Menschenleben zum Opfer forderte, das Hab und Gut Tausender vernichtete und überhaupt die grauenhaftesten Verheerungen anrichtete, die in ihrem ganzen Umfange keine Feder zu schildern vermag.
Am Morgen des 14. Juni strömte der Regen, der schon in der vorhergehenden Nacht sehr stark gefallen war, unaufhörlich und mit zunehmender Heftigkeit herab, sodaß bald alle Bäche anschwollen. Doch ahnte Niemand etwas Schlimmes.
Da aber fiel am Kottmar ein gewaltiger Wolkenbruch, und die tosenden Wassermassen ergossen sich nun in südlicher und östlicher Richtung mit solcher Gewalt in die Niederungen, daß es schien, als solle die alte Volkssage Bestätigung finden, welche den Kottmar einst für die Oberlausitz verderblich werden läßt, denn derselbe soll – so spricht die Sage – in seinem Innern großartige Wassermassen bergen, die dereinst sich ergießen und das ganze Land überfluthen werden.
Südlich am Kottmar liegt Ober-Oderwitz, und an dieses schließen sich Mittel- und Nieder-Oderwitz, welche drei Orte eine eng zusammenhängende, fast zwei Stunden lange Häuserreihe bilden, und fast in jedem Hause klappert der Webstuhl, denn hier ist ein Hauptsitz der sächsischen Leinenindustrie. Ober-Oderwitz wurde zunächst durch die vom Kottmar und den umgebenden Berghängen herabströmenden Wassermassen auf eine furchtbare Weise überschwemmt, und dabei strömte unter schweren Donnerschlägen der Regen ununterbrochen mit größter Heftigkeit nieder, die Wassermassen stets nährend, sodaß sie, gleich einem reißenden Strome dahinbrausend und von Minute zu Minute steigend, bald die ganze Thalsohle füllten und die furchtbarsten Verwüstungen anrichteten. Die Fluthen rissen fast alle in den letzten Jahren von der Gemeinde unter großen Opfern erbauten Brücken und die Stege mit fort, wühlten metertiefe Löcher in die Dorfstraßen, drangen in die tieferliegenden Häuser, die Wohnstuben manchmal bis an die Decke füllend, demolirten Häuser, drückten Wände ein und schwemmten alles ihnen Erreichbare mit fort – Hausgeräthe, Gartenzäune, Bretter, Balken, Bäume, Reisigbündel trieben in wildem Chaos dahin. Die Bewohner der bedrohten Häuser mußten eilends flüchten und Hab und Gut dem tobenden Elemente überlassen. Doch zu allem Glück ging hier kein Menschenleben zu Grunde.
Gräßlicher noch wüthete die Fluth in Mittel- und Nieder-Oderwitz, wo sie die Höhe von neun Meter über dem gewöhnlichen Wasserstand erreichte, eine Höhe, wie sie seit dem 17. August 1595 nicht mehr dagewesen. Kleine Häuser standen bis an das Dach im Wasser, in anderen Häusern drang das Wasser in die Oberstuben, das dorthin Gerettete verderbend und die dahin Geflüchteten auf die Dachböden scheuchend. Mehrere Häuser wurden hier gänzlich weggerissen, andere dem Einsturze nahe gebracht, und eine große Zahl mehr oder minder schwer beschädigt. Auch fielen hier neun Menschenleben dem rasenden Elemente zum Opfer.
Von hier ergoß sich die Fluth in die Mandau, die nun, hoch anschwellend, in Zittau die niederen Stadttheile überschwemmte und an Häusern, Brücken, Gärten und Straßen höchst bedeutenden Schaden anrichtete. Die gleichfalls ihre Ufer überströmende Neiße verursachte in Hirschfelde – besonders in der Müller’schen Flachsspinnerei – und in Ostritz große Verwüstungen.
In östlicher Richtung befindet sich am Kottmar die Quelle der Pließnitz, bis zu Euldörfchen die Patersbach genannt. Die durch Ruppersdorf fließende, erst so winzige Wasserader schwoll in Folge jenes Wolkenbruches schnell zu einem wüthenden Strome an, der um so höher stieg, als der große herrschaftliche Teich in Ober-Ruppersdorf seinen Damm zerriß und seine Wassermassen mit jenen vereint über das unglückliche Dorf ergoß, Alles zerstörend und acht Menschenleben vernichtend. Das Unglück voll zu machen, fiel in der Gegend von Euldörfchen ein neuer Wolkenbruch nieder, schwellte die von Ruppersdorf sich daherwälzenden Fluthen noch höher an, und die ganze ungeheure Wassermasse ergoß sich über Rennersdorf, die Thalsohle in der Höhe von vierzehn Meter füllend und in rasendem Wirbel Alles mit sich fortreißend, Häuser, Brücken und Menschen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_463.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)