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Seite:Die Gartenlaube (1880) 447.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


und Gefürchteten, ‚ich habe an Sie eine ästhetische Frage zu richten.‘

‚Da stehen Sie vor der unrechten Schmiede; ich bin Soldat und traue mir in solchen Dingen kein Urtheil zu.‘

‚Herr General, es handelt sich auch nicht so sehr um ein Urtheil, und ich möchte Sie in der eiteln Voraussetzung, daß Sie vielleicht einen flüchtigen Blick in meine Geschichte In Salamanca geworfen haben, nur fragen ob Ihnen diese Arbeit mißfallen hat.‘

‚Im Gegentheil, sie gefällt mir ganz außerordentlich, und ich freue mich auf die Fortsetzung.‘

‚Excellenz, die Fortsetzung werden Sie nicht lesen.‘

‚Warum nicht?‘

‚Weil Ihr Censuramt schon am Eingange über einen Stein des Anstoßes gestrauchelt ist und mir die weitere Veröffentlichung untersagt hat.‘

‚Welcher Dummkopf hat da wieder die plumpe Hand im Spiel?‘“

War das der vielverlästerte Tyrann Kempen? Ei gewiß, nur hatte diesmal sein Verfahren einen ganz eigenthümlichen Grund. Kempen war den Clericalen spinnefeind. Hatte er zwischen diesen und den Liberalen zu wählen, so sah er die Letzteren als das kleinere Uebel an. Eines Tages wendete sich Cardinal Rauscher, weiland Fürst-Erzbischof von Wien, mit dem Ansinnen an ihn, durch die Polizei-Organe Tabellen über alle in „wilder Ehe“ lebenden Personen anfertigen zu lassen. Darauf gab Kempen bündig zur Antwort, er halte ein derartiges Begehren von kirchlicher Seite für unzulässig und werde seinerseits nie zu einer solchen Familien-Inquisition die Hand bieten. Der Cardinal habe übrigens ein leichtes Spiel, über jene Personen, bei denen ihm in seinem Sprengel eine Spionage zustehe, das Gewünschte in Erfahrung zu bringen, dürfe sich aber darüber nicht verwundern, wenn er finden sollte, daß fast eben so viele „wilde Ehen“ wie Pfarrämter vorhanden seien.

Bei Herrn von Kempen also war der Proceß Nordmann und seiner „spanischen Geschichte“ anscheinend gewonnen.

Aber dieser „Salon“, diese leidige Revue, war noch anderen Leuten ein Dorn im Auge, und deren Haß schrieb sich aus den Tagen her, da Nordmann die Erlaubniß zur Herausgabe seiner Zeitschrift förmlich erzwungen hatte. Das hatte nämlich folgende Bewandtniß. Nordmann war zum Minister Bach gegangen, der, als er im Jahre 1848 „dem Weltgeiste die Thüren angelweit öffnen“ gewollt hatte, ein Bekannter des Schriftstellers gewesen war.

„Sie wollen eine belletristisch-kritische Revue herausgeben?“ fragte Bach. „Ich finde ein solches Unternehmen unpraktisch, und Sie werden damit keine Geschäfte machen. Warum versuchen Sie es nicht lieber mit einer politischen Wochenschrift? Darüber ließe sich allenfalls sprechen.“

Der Minister hätte Nordmann gern für seine eigenen Dienste gewonnen, aber da dieser beharrlich that, als ob er den Wink nicht verstehe, so erklärte Bach schließlich:

„Mich soll es freuen, wenn Sie mit Ihrem Unternehmen durchdringen, und von mir wird die Sache rasch und anstandslos erledigt werden.“

Es geschah aber weder rasch noch anstandslos. Der Stadthauptmann Weiß von Starkenfels hatte auch ein Wort dazwischen zu reden und er that es dem Demokraten Nordmann gegenüber auf seine Weise. Nordmann bekam plötzlich von der Polizei die Mittheilung, daß er aus Wien ausgewiesen und in eine Kreisstadt zu interniren sei.

Nun wieder zu Bach, dem Minister.

„Excellenz, Ihre Verwendung für meine literarische Angelegenheit war nicht besonders wirksam. Anstatt die nachgesuchte Concession zu erhalten, soll ich aus Wien ausgewiesen und in einer kleinen Landstadt internirt werden. So lautet der drakonische Befehl des Herrn Weiß von Starkenfels, der mir aber nur mündlich durch einen Polizei-Commissär mitgetheilt wurde.“

„Hat man Ihnen keine Gründe dieser Maßregel angegeben?“

„Nein.“

„Ich sichere Ihnen schon vorwegs zu, daß Sie Wien nicht zu verlassen haben. Dennoch möchte ich Sie ersuchen, sich zu dem Stadthauptmann zu begeben und ihn um die Gründe Ihrer Ausweisung und Internirung zu befragen.“

In die Höhle des Raubthieres. Das war ein wirkliches Wagstück; denn vor Weiß von Starkenfels zitterte buchstäblich ganz Wien. Dieser Polizei-Pascha blickte finster und lauernd, sprach „wie ein Kettenhund“, handelte gewaltthätig.

Nordmann trat bei ihm ein.

„Was wollen Sie? Wie heißen Sie?“

„Ich heiße Nordmann. Es kann offenbar nur ein Versehen Ihrer Untergebenen sein, daß ich heute die polizeiliche Weisung erhielt, Wien zu verlassen.“

„Es ist kein Versehen; denn es geschah auf meinen Befehl.“

„Und was veranlaßte diesen Befehl?“

„Darüber habe ich Ihnen keine Rechenschaft zu geben.“

„Doch, Herr Stadthauptmann. Ich habe mir diese Frage auf Anregung des Ministers des Inneren, von dem ich komme, erlaubt.“

„Sie werden doch nicht in Abrede stellen wollen, daß Sie eine politisch compromittirte Persönlichkeit sind? Als solche müssen Sie am besten wissen, wie Sie sich im Jahre 1848 und später vergangen haben. Was Sie damals im Café Sch. vor vielen Leuten ausgesprochen haben, das könnte Sie an's Messer bringen.“

„Ich bin bis zur Stunde niemals in dem genannten Café gewesen.“

„Und ich habe mich mit Ihnen in keine Discussionen einzulassen.“

Der Dialog ist knapp, wuchtig und grob, wie man sieht. Der Schriftsteller duckt sich vor dem Polizei-Pascha nicht. Im Gegentheil, dieser kommt schließlich so sehr in die Enge, daß er in seiner Verlegenheit an Nordmann plötzlich die Frage richtet:

„Wann sind Sie geboren?“

„Am 13. März 1820.“

„Sie freilich konnten keinen anderen Geburtstag als den 13. März haben.“

Dieses Dictum verdient unsterblich zu sein. Nordmann galt als Demokrat, und der 13. März war der Tag des Beginnes der Wiener Revolution. Ein Weiß von Starkenfels mochte wollen, daß dieses ominöse Datum überhaupt aus dem Kalender der Weltgeschichte gelöscht werde. Es geht nun allerdings auch über die Kräfte der Polizei, eine geschichtliche Thatsache ungeschehen zu machen, allein dem armen Nordmann gegenüber Sieger zu bleiben, schien für den Stadthauptmann keine Schwierigkeiten zu haben. Der Ausweisungsbefehl stand einstweilen aufrecht. Der Finanzminister Kraus sagte zu dem Poeten:

„Wenn Sie ein Jude wären, so würde ich mir die Verfolgungswuth des Stadthauptmanns gegen Sie erklären können. Er hat mir in seinem Fanatismus gegen die Juden schon die ganze Börse rebellisch und kopfscheu gemacht, und seine Uebergriffe gehen so weit, daß er bei den Firmen der ersten jüdischen Handelshäuser die Einsicht in die Geschäftsbücher beansprucht.“

Für ein Weilchen trat Bach glücklicher Weise dazwischen. Er befahl die Aufhebung des Ausweisungsbefehls und Weiß von Starkenfels mußte zähneknirschend gehorchen. Aber Bach unternahm eine Reise, und sofort war Weiß von Starkenfels mit der Ausweisung wieder da. Nur daß diesmal der gehetzte Autor seine letzte Kraft zusammennahm und geraden Weges an den Polizeiminister ging, das wendete die Lage. Nordmann begehrte nicht mehr und nicht weniger als eine regelrechte Untersuchung über sein Verbrechen. „Ich will nicht vogelfrei sein,“ sagte er zu Kempen. Sein Verlangen ward erfüllt, und wie vorauszusehen war, stellte sich trotz der genauesten Prüfung seiner Personalacten nichts heraus, was ihn compromittirt hätte.

Die Ausweisung unterblieb demnach, aber wie stand es um die Erlaubniß zur Herausgabe des „Salon“? Kempen hatte nichts gegen sie einzuwenden; Bach widerstrebte nicht. Das Censuramt zerrte hin und her, zögerte, verschleppte, aber schließlich mußte es sich fügen. Es hatte jedoch, wie man zu sagen pflegt, einen Zahn auf die neue Zeitschrift; es dürstete nach Rache an dem kecken Literaten, der sich erfrecht hatte, über die Häupter von Preß-, Hof- und Polizeiräthen hinweg bei den Ministern selbst sein Recht zu suchen. Bevor der „Salon“ erschien, hatte er bereits mächtige Feinde, und als er sich mit der Erzählung „In Salamanca“ producirte, gerieth der gesammte polizeiliche Preßapparat in feindselige Bewegung. Die Parole ging aus, es sei in dieser Geschichte eine Blasphemie gegen die herrschende Staatsreligion enthalten. Nichts destoweniger oder vielleicht gerade deshalb hielt Herr von Kempen seine schützende Hand über der lästigen Novelle; er sorgte dafür, daß ihr völliger Abdruck im „Salon“ nicht gewaltsam unterbrochen werde.

„Auch Patroclus ist gestorben und war mehr als Du!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_447.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)